Читать книгу Ein Coach für alle Fälle - Erna Hüls - Страница 16

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10 EMOTIONALITÄT
Ehrlichkeit macht wirklich frei

Ob es meine eigenen oder die von anderen Menschen waren – Emotionen erwischten mich immer direkt. Ungefiltert und ohne Pufferzone wirkten sie sich auf meinen Gemütszustand und auf meinen Körper aus. So brauchte ich immer eine gewisse Zeit, bis ich mich wieder im Griff hatte. Lange habe ich mich darüber geärgert – und damit eine neue, negative Emotion erschaffen, nämlich Ärger. Außerdem wollte ich nicht so emotional sein. Damit erschuf ich schon wieder eine neue, belastende Emotion, nämlich Widerstand. Um frei von solchen negativen Gemütsschwankungen zu werden, nahm ich mir vor, mich emotional zu befreien. Ich wollte ruhig und gelassen sein, egal, was um mich herum passierte. Doch das funktionierte nicht, so sehr ich mich auch bemühte. Dann las ich in dem Buch „Frauenkörper, Frauenweisheit“11 von Christiane Northrup eine Aussage, die mich zur Lösung führte. Statt diese Empfindungen zu verdrängen, gibt die Autorin folgenden Rat: „Du musst es spüren, damit es heilen kann.“ Es ging also gar nicht darum, sich von negativen Emotionen zu lösen, sondern sie zu fühlen, was nichts anderes bedeutet, als sie zuzulassen. Denn was passiert mit starken Emotionen, die wir verdrängen? Richtig! Sie kommen dreifach verstärkt auf anderen Wegen wieder zu uns zurück.

Warum wir mitunter emotional überreagieren, lässt sich relativ einfach erklären: Schmerzhafte Erlebnisse in Kindertagen lösen negative Emotionen aus. Da wir als Kinder noch nicht damit umgehen können und sie von den Erwachsenen auch nicht gerne gesehen werden, unterdrücken wir sie. Werden wir als Erwachsene mit ähnlichen Situationen konfrontiert, kommen dieses alten, verdrängten Gefühle wieder hoch und wir werden emotional. Dann wundern wir uns, warum wir so heftig reagieren, obwohl es sich doch „nur“ um eine Kleinigkeit handelt. Als Coach weiß ich, dass man solche Muster ändert, indem man die frühkindlichen Gefühle von den erwachsenen Gefühlen trennt und lernt, mit den Ressourcen eines bewussten, reifen Menschen darauf zu reagieren. Soweit die Theorie. Der Verstand kann es begreifen, aber das alleine reicht nicht aus. Zu begreifen heißt noch lange nicht, auch entsprechend zu fühlen! Ein tiefer Schmerz sitzt ja nicht im Verstand, sondern in der Seele. Damit die Seele heilen kann, muss sie es fühlen. Es kann Ihnen jemand die Wärme der Sonnenstrahlen erklären, aber das ist nicht das Gleiche, als wenn Sie die Wärme auf Ihrer Haut spüren. Ich bin davon überzeugt, dass nur deshalb so viele Menschen die Stille, das Nichts-Tun, Nähe oder Intimität vermeiden, weil das alles Situationen sind, in denen sie spüren, was in ihnen ist. Damit sind vor allem die negativen Emotionen gemeint. Der Wahrheit über sich selbst ins Auge zu sehen, kann beängstigend sein, ist aber notwendig, wenn Sie ein authentisches Leben führen wollen. Sie sind damit ja nicht allein. Im Coaching erlebe ich diese Momente immer wieder. Das sind so wertvolle Augenblicke, in denen meine Klienten ihre unterdrückten, schmerzhaften Emotionen aus Kindertagen endlich fühlen und somit heilen können.

Möglicherweise fragen Sie sich jetzt, weshalb so viele Menschen eigentlich so randvoll mit alten, negativen Emotionen sind. Der Grund ist, dass wir als Kinder früh merken, dass diese bei unseren Erziehern nicht willkommen sind. Es handelt sich hierbei um eine „erlernte Unfähigkeit“, denn auch unsere Eltern haben es ja von der vorherigen Generation nicht anders erfahren. Sie wurden – genauso wie wir – nur geliebt, wenn sie lieb, brav und angepasst waren. Aber sind wir etwa nicht liebenswert, nur weil wir aufbrausend, zornig, ängstlich oder unangepasst sind? Sicher sind Ihnen die Aussagen von Eltern bekannt, die ihre Kinder mit den Worten trösten: „Du brauchst keine Angst zu haben“ oder „Das ist doch gar nicht so schlimm“ oder „Jetzt hör‘ auf zu weinen!“ Was soll das Kind denn tun mit der Angst, dem Schmerz oder der Wut, wenn es bemerkt, dass diese Emotionen nicht gerne gesehen werden? Besser ist es, wenn wir als Eltern sagen: „Komm‘ her mit deiner Angst. Ich halte dich. Bei mir bist du sicher.“ Danach sehnen wir uns doch alle: Wir wollen angenommen werden mit allem, was zu uns gehört. Wir wollen die Emotionen kommen lassen und uns selbst – wie auch unseren Kindern – erlauben, sie zu fühlen und die Tränen von Trauer oder Schmerz zuzulassen.

Das braucht Zeit und Geduld, aber es wird Ihnen umso besser gelingen, je weniger Sie Angst vor Ihren eigenen Emotionen haben und je mehr Sie dazu übergehen, diese Emotionen ganz behutsam zu erleben, statt sie zu verdrängen. Und in Augenblicken, in denen ein Ihnen nahestehender Mensch gerade so einen emotionalen Schmerz durchlebt, ist es wichtig, dass Sie ihn nicht sofort umarmen und trösten wollen, damit derjenige erst einmal selbst ganz in seinem emotionalen Erleben ankommen kann. Denn sonst kann es passieren, dass die Heilungswelle unterbrochen wird. Denken Sie daran, dass heilen kann, was ganz zu fühlen wir uns erlaubt haben.

Meine eigenen emotionalen Achterbahnen haben sich seither weitestgehend gelegt. Ich kämpfe einfach nicht mehr dagegen an. Ich nehme Sie wahr und akzeptiere sie. Das ist der eigentliche Weg von der emotionalen Wahrheit in die emotionale Freiheit. In meiner Arbeit hilft mir das sehr. Denn jede Emotion, die ich in mir angenommen habe, kann ich auch in meinem Gegenüber annehmen.

REFLEXION

• Unterdrückte Emotionen finden immer einen Umweg und tauchen wieder auf.

• Erst dann, wenn Sie negative Emotionen fühlen können, werden sie auch heilen.

• Nur in der Stille erkennen Sie, was Sie wirklich fühlen.

• Die beste Hilfe für emotional verletzte Menschen besteht darin, dass Sie ohne Aktivismus für diese da sind.

• Jede Emotion, die Sie in sich selbst angenommen haben, können Sie auch bei anderen Menschen annehmen.

Ein Coach für alle Fälle

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