Читать книгу Nikolai Roerich: Kunst, Macht und Okkultismus - Ernst von Waldenfels - Страница 11
Kapitel 5
ОглавлениеHelena
»Alle, die sie erblickten, waren von ihrem Äußeren bezaubert. Sie war von hoher Gestalt, schlank, wohlproportioniert, voller Eleganz, Weiblichkeit, Grazie und besaß eine Ausstrahlung, die unwillkürlich alle Blicke auf sich zog. Sie war immer nach der letzten Mode gekleidet, trug Ohrringe, Halsketten und teuren Schmuck. Sie hatte eine sehr melodische, zärtliche Stimme und liebte es, ihr nahestehende Menschen mit Koseworten anzusprechen.«25
Diese Zeilen stammen von einer engen Freundin, die sie 1956 in einem Invalidenheim im kasachischen Karaganda niederschrieb, vermutlich ihre letzte Station in einer langen Kette von Straflagern und Verbannung. Doch diese Beschreibung der in der Erinnerung ewig jungen Helena trifft genau den Eindruck, den auch später noch Helena auf alle Betrachter machen sollte. Helena Schaposchnikowa war eine blendende Schönheit, »toujours belle«, wie 1918 Alexandre Benois in sein Tagebuch notierte, und dazu noch intelligent, hoch gebildet und eine starke Persönlichkeit. Ein weiterer Beobachter, der amerikanische Börsenmakler Louis Horch, beschreibt sie später als »eine der klügsten Frauen, die je an diese Ufer gekommen sind«.26
Zum ersten Mal begegnete Nikolai Roerich seiner späteren Frau im Sommer 1899. Das war im Waldai, einer hügeligen Landschaft zwischen Moskau und St. Petersburg, im Schloss ihres Onkels, des Fürsten Putanin, in dem in den 1860er Jahren der Zar und seine Familie öfter selbst zu Gast gewesen waren. Doch Putanin entstammte nicht nur einer der namhaftesten Familien des Landes, sondern war auch der bedeutendste »Gentleman-Ausgräber« Russlands. In dem gewaltigen, von Efeu umrankten Bau befanden sich eine archäologische Fachbibliothek wie auch eine Dauerausstellung der Funde des Fürsten. Das war der Grund, warum Nikolai Roerich, der sich gerade in der Gegend aufhielt, eines Abends vorbeikam, um sich dem berühmten Mann vorzustellen. Wenn man den Erinnerungen der späteren Helena Roerich glauben darf, so hielt man den Mann mit den staubigen Stiefeln erst für einen Pächter oder einen Kurier, gewann aber bald einen günstigeren Eindruck von ihm und ließ ihn schließlich im Arbeitszimmer des Fürsten, der verreist war, sein Nachtlager aufschlagen. Drei Tage blieb der »angenehme junge Mann« zu Gast und »nahm alle für sich ein«.27
Es war eine Begegnung, die Nikolai Roerichs Leben von Grund auf veränderte. Die nächsten zwei Jahre bis zur schließlichen Heirat beherrschte ihn nur ein Thema: Helena und immer wieder Helena. Und auch nach der Heirat sollte er seine Frau »vergöttern« – in genau dem metaphysischen Sinne, der in dem Verb mitschwingt.
Doch vorerst musste er nicht nur sie, sondern auch ihre Familie für sich gewinnen.
Helena stammte mütterlicherseits von den Golenischtsch-Kutusows ab, einer Familie, deren Name noch heute in einer der bekanntesten Straßen Moskaus nachklingt. Ihr Urgroßonkel war Michail Kutusow, der Befehlshaber in den Kriegen gegen Napoleon und der größte russische Kriegsheld des 19. Jahrhunderts. Helena Schaposchnikowa war sich ihrer Abstammung immer voll bewusst und erfreute ihre Jüngerinnen im amerikanischen Exil mit farbigen Geschichten über die willensstarken Frauen der Golenschischtsch-Kutusow. Über ihre Urgroßmutter erzählte sie, jene sei »eine machtbewusste Frau,« gewesen, »die der Zarin Katharina II. einen Drohbrief schrieb, als diese einen Wachtmeister der Landpolizei zu dem Gut schickte, um darauf zu achten, dass die Gutsbesitzer ihre Leibeigenen nicht zu sehr unterdrückten«.28
Die alte Dame habe ein so strenges Regiment geführt, dass sich selbst ihre Söhne nicht setzen durften, wenn sie im Zimmer war, und ihre Gäste habe sie je nach Rang empfangen. »Einige in der ersten Halle, andere im Salon und wieder andere in ihrem persönlichen Zimmer.«29
Ein Onkel wiederum sei über den Tod seiner Frau so betrübt gewesen, dass er drei Jahre lang nicht das Zimmer verlassen habe. Schließlich habe die Verwandtschaft ihn gezwungen, eine reiche Grundbesitzerin zu heiraten, die den armen Mann grausam quälte. Als er sich schließlich nicht mehr zu helfen wusste und sich an ein Gericht wandte, habe seine Frau, eine große Schönheit, ihre Schultern gezeigt, die voll blauer Flecken waren. Darauf wurde sie natürlich freigesprochen. »Als dieser Onkel schließlich vor Kummer und Leiden starb, ging sie, als er in der Kirche aufgebahrt lag, zu ihm hin und schlug ihn ein letztes Mal auf die Nase.«30
Ein weiterer Onkel, ein Bruder ihrer Mutter, sei von seiner Braut erschossen worden, als er scheinbar von der Hochzeit zurücktreten wollte, und schließlich erzählte sie ihren Jüngerinnen auch von den wüsten Streitigkeiten ihrer Eltern, als ihre Mutter den viel älteren Vater wegen eines Liebhabers verlassen wollte.
Vielleicht war eine Neigung zu Affären eben der Grund, warum die Mutter Helenas bereits mit 18 Jahren an einen schon 42 Jahre alten Nichtadeligen, den Architekten und Universitätsdozenten Iwan Schaposchnikow, verheiratet wurde. Erst ein Jahr vor seinem Tod wurde er ob seiner Verdienste in den erblichen Adelsstand erhoben. Ihre drei Schwestern machten wesentlich bessere Partien. Eine von ihnen, die elegante und willensstarke Opernsängerin Ewdokija, heiratete erst den »bekannten Krösus und Wüstling Mitusow« und dann Fürst Putanin, und auch die beiden anderen Schwestern heirateten Männer aus den höheren Kreisen des Reiches.31
Zur weiteren Verwandtschaft Helenas gehörte schließlich auch der geniale Komponist Modest Mussorgski, der von den vier Schwestern so angetan war, dass er extra für sie Kosenamen erfand.
Nikolai Roerich versuchte also, in eine in jeder Hinsicht formidable Familie einzuheiraten. Wohl nicht zufällig tauchte kurz darauf zum ersten Mal ein »Wappen« der Familie Roerich auf. Doch zuallererst galt es Helena selbst zu erobern, die von Verehrern aus besten Kreisen umschwirrt war. Doch die fünf Jahre jüngere Helena, die es liebte, die »kalte Kokette« zu spielen, wie sie im Rückblick zugab, machte es ihm nicht leicht.32
Sie war ein Einzelkind und in der Obhut ihrer Kindermädchen und Gouvernanten aufgewachsen. Die kleine Helena bekam, wie in Adelskreisen Petersburgs üblich, eine hervorragende Erziehung, lernte Deutsch, Englisch, Französisch und Klavier. Später wird sie erzählen, »wie schrecklich es manchmal im Winter war in dieser großen Wohnung, und wie sie abends im Gästezimmer auf dem Flügel üben musste. Das Gästezimmer war an einem Ende der Wohnung, und die Zimmer der Diener und der Gouvernanten waren am anderen Ende. Mutter und Vater waren abends nie zu Hause.«33
Das Mädchen war der Schrecken ihrer Erzieherinnen, zu denen unter anderen ein adeliges Fräulein aus Deutschland gehörte. Eine der eindrücklichen Episoden, die Helena später ihren Vertrauten in Amerika und Indien erzählt, handelt davon, wie die Gouvernante, die mit den Nerven am Ende war, sie im Badezimmer einschloss, sich aber damit ein nur noch größeres Fiasko einhandelte. Das Mädchen nämlich kündigte an, es werde kaltes Wasser in die Wanne einlassen, sich hineinsetzen und dort so lange bleiben, bis sie sich erkältet habe. Die Gouvernante glaubte ihr nicht, stellte sich aber trotzdem auf einen Stuhl am Außenfenster, um sie zu beobachten. Als sie sah, dass Helena ihre Drohung tatsächlich wahr machte, öffnete sie sofort die Tür. Das ganze Haus eilte herbei, und man rieb dem Mädchen, dem die ganze Sache großen Spaß machte, mit Spiritus die Füße ein.
War es die Einsamkeit des Mädchens, das praktisch elternlos aufwuchs, oder die Leere des »goldenen Käfigs«, in den sie sich eingesperrt fühlte, oder auch nur Zeichen ihrer außerordentlichen Fantasie, auf jeden Fall wurde sie, wie sie später im Exil berichtet, »von früher Kindheit an von Stimmen verfolgt, die Gott lästerten. Die Stimmen verfolgten sie schrecklich und flüsterten die ganze Zeit gegen Gott. Weil sie Angst hatte, den Erwachsenen davon zu erzählen, setzte sie sich gewöhnlich auf das Sofa im dunklen Zimmer, schloss die Augen und wiederholte immer wieder: ›Gott ist gut, Gott ist gut.‹ Und das musste sie manchmal ganze Stunden wiederholen, bis die Stimmen schließlich aufhörten, sie zu quälen. Von da an hat der Gedanke an Gott sie nie verlassen.«34
Mit sechzehn wurde Helena ins Ausland geschickt, »weil ihre Nerven in sehr schlechtem Zustand« waren.35 Dort schleppte ihre Mutter, die sich bereits nach einem Ehemann für die Tochter umsah, sie gegen ihren Willen auf Bälle und machte mit ihr Besuche.
Zurück in Russland ging der Krieg zwischen Mutter und Tochter weiter. Als ein Arzt zum Fahrradfahren riet, radelte Helena stundenlang in den Parks der Hauptstadt, »um endlich allein zu sein«, während die Mutter vergeblich versuchte, ihr in einer Kutsche zu folgen.36 Die Mutter habe während dieser Zeit zwei Pud abgenommen, wie Helena schadenfroh anmerkte, und ihr das Radfahren schließlich verboten.
Als sie 18 Jahre alt war, starb der Vater, dessen Tod sie vorausgeahnt haben will. Und nicht nur den Tod des Vaters, der ihr später im Traum Ratschläge gab, habe sie gespürt, auch den Tod von anderen Verwandten.
Die Beziehungen zwischen Tochter und Mutter – über die Helena übrigens kein einziges gutes Wort überliefert hat – wurden nach dem Tod des geliebten Vaters nur noch schlechter. Helena, eine begabte Pianistin, wollte aufs Konservatorium, die Mutter jedoch legte ihr Veto ein. Sie hatte Angst, ihre rebellische Tochter könnte von der Unruhe an den höheren Bildungseinrichtungen Petersburgs angesteckt und zur Revolutionärin werden. Umso dringlicher wurde es, für sie rasch einen Mann zu finden. Wie wir aus Briefen Helenas an Nikolai, den sie damit hin und wieder quälte, erfahren, gab es keinen Mangel an wohlhabenden und hochgestellten Kandidaten, die die Billigung ihrer Mutter gefunden hätten.
Es dauerte zwei Jahre, bis Nikolai Roerich schließlich alle Widerstände überwunden hatte. Er schickt seiner »Lada« bis zu fünf Briefe täglich, sie antwortet bedeutend seltener.
In dem Briefwechsel, der sich beinahe vollständig erhalten hat, finden sich zahllose Stellen wie die folgende: »Meine Liebe, Teure, Gute. Gestern Abend habe ich endlich deinen Brief erhalten, den ich, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, fünf Mal durchgelesen habe und jetzt mit mir herumtrage.«37
Ein anderes Mal bittet er um Fotos von ihr und fügt hinzu: »Du sollst wissen, ich werde sie jeden Abend und Morgen küssen und sie in den Ecken meines Zimmers aufstellen, um mein Teuerstes, meine liebste Lada, aus allen Richtungen sehen zu können.«38
Helena stellte ihren Verehrer heftig auf die Probe. Nach Erhalt einer ihrer kälteren Epistel antwortet der sonst so kontrollierte Nikolai, er trage alle ihre Briefe beständig mit sich herum und habe beim Versuch, sie zu ordnen, so heftig weinen müssen, dass es ihm nicht gelungen sei.
Unablässig versuchte er, sich die Mutter und vor allem die »Fürstinnen«, wie er deren Schwestern nannte, geneigt zu machen. Diese hielten die junge Frau fest im Griff und kontrollierten sogar ihren Briefverkehr. So lesen wir am Ende jedes Briefes nicht nur von den Küssen, die er seiner Lada schenke, sondern auch von denen für ihre Mutter. Was die weibliche Verwandtschaft anging, so erfahren wir aus dem Tagebuch einer Vertrauten Helenas, »der arme Nikolai war damals immer schwer beladen, wenn er zu ihr ging, da er für all die Tanten und Kusinen zehn Schachteln Pralinen mitnehmen musste, damit niemand beleidigt war.«39
Man kann sicher sein, Helena erwiderte die Gefühle Nikolais ziemlich früh, auch wenn sie seine Gefühlsausbrüche hin und wieder recht kalt quittierte. Einer Vertrauten berichtete sie später, sie habe schon beim zweiten Treffen in die Heirat eingewilligt, aber »ihn um zwei Jahre Zeit gebeten, da die Familie gegen die Heirat mit einem Künstler gewesen sei«.40
Tatsächlich ging es nicht an, dass ein Künstler unklarer Herkunft – das Roerich’sche »Wappen« wird die »Fürstinnen« kaum sehr beeindruckt haben – in eine so illustre Familie einheiratete. Zumindest Geld und einen »Posten«, ein festes Gehalt, sollte der Bräutigam schon vorweisen können.
Aus den Briefen an »Lada« erfahren wir, wie Nikolai Roerich von nun an mit allen Mitteln um eben einen solchen Posten intrigierte. Am besten einen mit der Aussicht auf »Rang«, der ersten Stufe der 14-stufigen Beamtenlaufbahn, die ab der vierthöchsten Stufe den erblichen Adelstitel einbrachte. Ausgangspunkt der Bemühungen war die untergeordnete Stelle, die Nikolai Roerich bei der »Kaiserlichen Gesellschaft« bereits innehatte. Im Auge hatte er eine viel bessere bei derselben Institution, nämlich die von Alexandre Benois, der beim Museum der Gesellschaft nicht nur 3000 Rubel im Monat verdiente, sondern auch noch ein kostenloses Atelier zur Verfügung hatte.
Am 2. Juni des Jahres 1900 schrieb Nikolai an seine Braut, sobald sein »Feind« (sic!), aus dem Weg sei, werde er bei der Großfürstin – einer Verwandten des Zaren und Schirmherrin der Gesellschaft – gut Wetter machen und dann werde es seiner Laduschka gut gehen, das heißt, sie könnten heiraten.
In einem Brief sechs Tage später war er bester Laune, denn nicht nur hatte man ihn in den höchsten Tönen gelobt, sein Mitstreiter in der Gesellschaft, ein gewisser Swinin, hatte auch gute Neuigkeiten: »Der Abgang von Benois aus dem Museum ist nur eine Frage der Zeit, und zwar keiner langen, und man wird mir wahrscheinlich seinen Posten geben.«
Am 29. August schrieb er Helena, seine Mutter habe ihm vorgeworfen, er würde zu sehr auf Swinin hoffen und »dieser werde nichts für ihn tun, andernfalls hätte man Benois schon längst rausgeworfen. Ich versuchte ihr beizubringen, dass es nicht leicht ist, den General [sic!] Benois loszuwerden, und dass Swinin und Tewjaschtschew [ein weiterer Vertrauter Roerichs] schon eine Menge für mich tun, indem sie seine Lage untergraben. So etwas braucht eben seine Zeit.«
Es sollte Nikolai Roerich nicht gelingen, den Posten des »Generals« zu erobern. Aber er ließ von den Intrigen auch nichts nach außen dringen, sondern war, wie man in den Memoiren von Alexandre Benois nachlesen kann, seinem »Feind« gegenüber immer gleichbleibend freundlich. Seine wahren Gefühle zu verbergen und schon gar nicht Feindschaft oder Abneigung zu zeigen, das war ein Prinzip, das Nikolai Roerich sein ganzes Leben lang beibehalten sollte.
Nach dem Tod des Vaters änderte sich die Lage Nikolais, denn er machte eine substantielle Erbschaft. Zur Heirat reichte sie nicht, denn noch immer hatte er keinen »Posten«.
Nikolai beschloss, nach Paris zu reisen, um sich fortzubilden. Dabei scheint er sich die konservativ-symbolistische Variante des Pariser Lehrangebots gezielt herausgesucht und die Impressionisten nachgerade vermieden zu haben. Er nahm Unterricht bei Fernand Cormon und Pierre Cécile Puvis de Chavannes. Der Erste war ein akademischer Historienmaler und der Zweite ein wichtiges Mitglied der symbolistischen Bewegung und ist für seine Wandmalereien u.a. im Panthéon bekannt. Beide Lehrer erklären gut gewisse Tendenzen in Nikolai Roerichs Werk: dass er nie, was für seine Zeit keineswegs selbstverständlich war, »von der eindeutig figurativen Malerei abwich, und die wichtige Rolle der Konturlinie in seinem Werk«.41
Paris war nichts für den asketischen jungen Künstler, wie man aus den Briefen an »Lada« erfährt. Er erkannte durchaus an, dass es in der französischen Hauptstadt viel zu lernen und zu sehen gab, aber die Ausschweifungen des Fin des Siècle stießen ihn ab. Typisch diese Zeilen aus dem Spätwinter 1901: »Je mehr ich mir Paris anschaue, desto weniger gefällt es mir. Zur Arbeit ist es hier sehr gut, aber das Volk ist zynisch und verdorben. Auf einen frischen Menschen machen die Pariser Damen einen geradezu abstoßenden Eindruck.« Weder damals noch jemals später hatte Nikolai Roerich auch nur das geringste Interesse an jenen feuchtfröhlichen Abenden oder flüchtigen Liebesaffären, die seine Künstlerkollegen an der Stadt so reizten. Mehr als einige neue Maltechniken brachte ihm Paris für seinen weiteren Lebensweg nicht ein.
Er führte ein einsames Leben und ging wenig aus. Seine einzige Bekanntschaft war eine Familie russischer Emigranten, die neben der Hausmusik ein weiteres interessantes Hobby pflegte: den Kontakt mit dem Jenseits nämlich. Ein Kontakt übrigens, den Nikolai und später auch Helena Roerich nie wieder ganz werden abbrechen lassen.
An sich glaube er »überhaupt nicht« daran, schrieb er an Helena nach Russland, »aber kannst Du Dir meine Verblüffung vorstellen, als auf meine Frage, welches meiner Sujets das beste sei, geantwortet wurde, ›Die Skythen beerdigen einen Toten‹? Keiner der Anwesenden wusste davon, denn ich hatte mit dem Bild erst an diesem Tag begonnen. Welch Wunder! Und trotzdem glaube ich noch nicht wirklich daran, ich muss noch mehr Versuche anstellen.«42
Und das tat er. In einem der nächsten Briefe aus Paris lesen wir: »Bist Du Sonntagabend bereits zwischen Mitternacht und ein Uhr schlafen gegangen? Schreib mir darüber. Die Sache ist die, wir haben gestern eine spiritistische Séance abgehalten und ich habe gefragt, was die Person mache, an die ich jetzt denke. Es ertönte ein Schlag mit der Bedeutung: ›Schläft‹. Ich fragte auch, wann ich nach Petersburg reise, und die Antwort war: im Mai.«43
Nikolai ließ sich sogar einschläfern, um seiner Liebsten wenigstens in hypnotisiertem Zustand nahe zu sein. »Ich sah Dich im Schlafzimmer, auf dem Bett sitzend.« Über die Gespräche mit der Russin, die ihn hypnotisiert hatte, berichtete er Helena, diese rate ihm ständig, »ich soll heiraten und ich müsse mich meiner Frau unterwerfen«.44
Ein anderes Mal beauftragte Nikolai ein Medium, sich in Trance zu versetzen, um seine geliebte Helena besuchen. Zurückgekehrt berichtete die Frau, Helena habe drei Besucher gehabt und gerade Chopin gespielt.
Besonders das letzte Medium muss äußerst überzeugend gewesen sein, denn als es Paris verließ, schrieb Nikolai an »Lada« voll Verzweiflung, jetzt habe er niemanden mehr, der ihm berichten könne, welcher Stimmung sie sei und wie es ihr gehe. Grund für all die fieberhaften Versuche, über das Jenseits mit Lada Kontakt aufzunehmen, war das Ausbleiben der Briefe von Helena. Urheber waren Helenas Mutter und die »Fürstinnen«, die einen letzten Versuch unternommen hatten, die Verbindung zu sabotieren. In der Tat einen letzten Versuch, denn Anfang 1901 kam die Nachricht aus Petersburg, dass Großfürstin Olga, die Kusine des Zaren und Leiterin der »Kaiserlichen Gesellschaft«, den liebenswürdigen Nikolai Roerich keineswegs vergessen hatte. Und auch nicht Swinin und Tewaschtschew, seine Verbündeten im Krieg um den Posten des »Generals« Benois.
Man trug ihm eine noch viel bessere Stelle an, die eines Sekretärs der »Kaiserlichen Gesellschaft« nämlich. Aus der Tatsache, dass Helena sich noch drei Jahrzehnte später an das genaue Datum der Ernennung, den 7. Mai 190145, erinnern konnte, darf man auf die Bedeutung dieses Vorgangs schließen. Als Sekretär der »Kaiserlichen Gesellschaft« war der erst 26 Jahre alte Nikolai Roerich auch Privatsekretär der Großfürstin und damit jemand, an dem im Kunstleben der Hauptstadt niemand mehr vorbeikam.
Nun, da der »Posten« gesichert war, stand auch der Heirat nichts mehr im Wege. Sie fand am 28. Oktober statt. »Alle waren sehr gespannt«, wie Helena später erzählt, »wer zuerst auf den rosa Teppich vor dem Altar tritt, denn es heißt, dass der, der dort zuerst seinen Fuß hinsetzt, auch im Haus das erste Wort haben wird.«46 Keine Frage, es war Helena.