Читать книгу Nikolai Roerich: Kunst, Macht und Okkultismus - Ernst von Waldenfels - Страница 16
Kapitel 10
ОглавлениеVersuche mit der Anderwelt
Nikolai Roerich und seine Frau Helena waren als typische Kinder des silbernen Zeitalters an jeder Form des Okkultismus brennend interessiert, wobei einiges wohl ewig im Dunkeln bleiben wird. Da wäre die Frage, ob der Künstler nicht Mitglied einer jener esoterischen Geheimgesellschaften war, in denen sich viele der einflussreichsten Männer des Landes versammelten. Zu denken wäre dabei vor allem an die Martinisten. Mit ihrer Mischung aus russischem Nationalismus und esoterischer Verschwörungstheorie könnten sie zur damaligen Geistesverfassung Roerichs gepasst haben. Auch hätte die Mitgliedschaft engster Verwandter des Zaren an seine lebenslange Neigung appelliert, sich die Unterstützung höchster Kreise zu sichern.
Doch sosehr russische Journalisten eben dies nach dem Ende des Kommunismus zu beweisen suchten, über bloße Behauptungen sind sie nie hinausgekommen. Belegbar sind nur seine Affinität zu diesen Kreisen und vielfältige Verbindungen mit ihnen. Dazu kommen noch seine eigenen Behauptungen wie die, schon sein Großvater sei Freimauer und überhaupt seine Familie von alters her, beginnend mit den Templern, bei allen okkulten Bewegungen des Abendlandes prominent vertreten gewesen. Doch das hat dieselbe Überzeugungskraft wie die These, der Name Roerich sei auf Rurik zurückzuführen.
Anders steht es mit Naum Kotik, dem Theoretiker von der materiellen Wirksamkeit von Gedanken, und dem Psychiater Bechterew. Dem von Maxim Gorki so sehr geschätzten Naum Kotik setzte Nikolai Roerich 1928 in seinem Buch Altai-Himalaya ein Denkmal als »hochinteressanter Wissenschaftler«, der die materielle Wirklichkeit von Gedanken bewiesen habe.89 An derselben Stelle findet sich auch eine Beschreibung der Begegnung Gorkis mit einem indischen Fakir, der dem Schriftsteller auf eine glatte Metallfläche Bilder indischer Städte mit lebhaften Farben gezaubert habe. Gorki soll diese Begebenheit Roerich selbst erzählt haben.
Mit dem berühmten Psychiater Bechterew, dem Verfechter von der Realität der Gedankenübertragung, war Nikolai Roerich persönlich gut bekannt. In Roerichs Tagebuch seiner letzten Lebensjahre sind ihm mehrere Passagen gewidmet. Selbstredend teilte er die Auffassungen des Nervenarztes, der im Rahmen seiner Forschungen auch die ungewöhnlich lebhaften Träume Helena Roerichs analysiert hatte.
Schließlich und endlich teilte Nikolai Roerich und nicht minder seine Frau das Lieblingsinteresse des silbernen Zeitalters, die Kommunikation mit der Geisterwelt nämlich. Und diese Beschäftigung begann bereits sehr früh. Wir erinnern uns, als die Briefe Helenas in Paris ausblieben, wandte sich der junge Künstler an ein Medium, um auf anderem Weg Nachrichten über seine spätere Frau zu bekommen. Mit vollem Erfolg übrigens, wie er ihr in einem seiner unbeantworteten Briefe mitteilte.
Nach der Heirat führte er, diesmal zusammen mit seiner Frau, die Unterhaltung mit dem Jenseits fort. Wie Alexandre Benois, selbst häufiger Teilnehmer von Seáncen, in seinen Erinnerungen schreibt, habe er persönlich diese Beschäftigung zwar aufgegeben, nicht jedoch sein Bekannter, »der berühmte Maler N. K. Roerich, der nach der Jahrhundertwende zusammen mit seiner Frau systematisch Kontakt mit der Geisterwelt hielt«.90
Die Beschreibung eines dieser »Kontakte mit der Geisterwelt« des Ehepaars Roerich findet man in den Erinnerungen Grabars. Diese herrliche, aber für ihn peinliche Episode sollte Nikolai Roerich zwar später abstreiten, aber das scheint wenig glaubhaft. Zu dem Zeitpunkt nämlich, als er dies abstritt, hatte er bereits eine so hohe Position nicht nur in der Einschätzung seiner selbst, sondern auch in der seiner »Jünger« erreicht, dass er gar nicht anders konnte.
Die Séance in der Wohnung der Roerichs sollte mit einem Polen namens Jan Gusik stattfinden, der 1909/1910 das Lieblingsmedium der guten Gesellschaft war. In Rebus, dem Zentralorgan der Spiritisten, wird er mehrmals erwähnt. »Wie man uns mitteilt, kommt es bei Séancen mit ihm zu recht starken Erscheinungen. Gewöhnlich ist der Begleiter Janeks ein ›materialisiertes Tier‹, das bei rotem Licht sogar sichtbar ist.«91 Wie man weiter aus Rebus erfährt, waren die Geister Gusiks ungewöhnlich aggressiv, und einige Teilnehmer seiner Séancen mussten sich danach wegen erlittener Verletzungen an einen Arzt wenden. Aber Gusik beschränkte sich nicht nur auf seine »Hausgeister«. Er rief auch Napoleon, Puschkin und Alexander den Großen, die offensichtlich auch die »Lieblingsgeister« anderer Spiritisten waren, denn Rebus schrieb in diesem Zusammenhang von Gewalt gegenüber Verstorbenen und rief dazu auf, auch einmal andere Geister zu beschwören.
Aber zurück zu Grabar: »Ich war kein Liebhaber des Tischrückens. Mir tat es immer um die Zeit leid, die auf derartige Nichtigkeiten verschwendet wurde, und war dagegen, einen ganzen Abend lang in ein Objekt findiger, aber nicht allzu schlauer Scharlatane verwandelt zu werden. Benois überredete mich, indem er sagte, es könnte lustig und interessant werden. Da ich fest davon überzeugt vor, dass all das Materialisieren und dergleichen Wunder nur durch die Scharlatane selbst, sowie durch die Mitwirkung anderer zum Haus gehöriger Personen durchzuführen war, verabredete ich mit zwei der Gäste, die mit mir einer Meinung waren, dass ich die ›Kette durchbrechen‹ würde.
Man hatte uns gewarnt, die Kette zu durchbrechen sei lebensgefährlich und werde im besten Fall dazu führen, dass man von dem herbeigerufenen Geist einen Schlag mit dem Knüppel auf den Kopf bekäme, von dem man sich nie wieder erholen werde. Außerdem informierte Roerich uns, dass Janek das stärkste Medium der heutigen Zeit sei und die Geister, die er materialisiere, völlig reale Formen annehmen würden. Bis hin zur Spürbarkeit. Ein gewisser Berggeist sei ihm besonders geneigt, der sich als Mann mit langen wilden Haaren materialisiere. ›Aber Gott bewahre, ihn zu berühren. Das würde ein Unglück geben.‹
Das Licht wurde ausgeschaltet, und von der Menge der Leute, die sich um den Tisch die Hände gaben, wurde es im Zimmer unerträglich heiß. Auf einmal hörte man seltsame Schläge. Wie von einer Gitarre oder einer Balalaika. Irgendetwas bewegte sich im Zimmer und machte die Geräusche.
›Es fängt an‹, hörte man ein Flüstern.
Unter dem Tisch war es besonders unruhig. Offensichtlich versuchte sich der Geist mit allen Kräften zu materialisieren. Ich beschloss, es war Zeit zu handeln. Leise befreite ich meine Hände von den Nachbarn zur Rechten und zur Linken und begann unter dem Tisch herumzufuchteln. Nach einigen Sekunden ertastete ich irgendetwas Festes, einen Kopf oder ein Knie, das von einem Fell bedeckt war, und begann es zu mir zu ziehen. Doch es gab nicht nach, es wurde kräftig festgehalten. Nach einigen Minuten fühlte ich einen kräftigen Schlag mit der Faust in den Rücken, von dem ich aufschrie und mich erhob. Danach machte jemand das Licht an und alles hörte auf. Die Séance wurde als ›unterbrochen‹ oder besser als ›nicht völlig geglückt‹ bezeichnet.«92
Die Karriere Gusiks in St. Petersburg war übrigens steil, aber kurz. Ihm wurde sein Impresario, ein geschäftstüchtiger Deutschrusse namens Czeslaw von Czinski, zum Verhängnis.
Czeslaw von Czinski war nach einem dreijährigen Aufenthalt in einem deutschen Gefängnis – der ehemalige Psychiater war mit einer minderjährigen Patientin aus dem Hochadel durchgebrannt – in St. Petersburg aufgetaucht, mit dem Ziel, sich rasch zu bereichern. Für 500 Rubel, eine gewaltige Summe für die damalige Zeit, versprach er die Aufnahme in so prestigeträchtige Geheimorden wie den der Martinisten oder die Freimaurer. Glaubwürdigkeit verlieh ihm das Oberhaupt der Martinisten, der berühmte Franzose Papus höchstpersönlich, indem er ein Vorwort zu einem Buch Czinskis schrieb, das dieser über Gusik 1909 veröffentlichte (derselbe Papus, der Nikolaus II. während der Revolution von 1905 zu der Beratung mit seinem verstorbenen Vater verhalf).
Das Ende der Karriere von Czinskis wurde nicht etwa durch Jan Gusiks Tiere verursacht, sondern durch eine von ihm selbst veranstaltete Séance. 1910 beschwor er publizitätsträchtig das Opfer eines Mordes, den Ingenieur Andrej Gilewitsch, der grauenhafte Einzelheiten des aufsehenerregenden Verbrechens preisgab und von seinen Leiden im Jenseits berichtete. Nur leider stellte sich nach einigen Monaten heraus, das Opfer des Verbrechens war nicht etwa Gilewitsch selbst, sondern ein Angestellter von ihm, ein verarmter Student aus der weiten Provinz, der seit dem Mord spurlos verschwunden war. Fälschlich identifiziert hatte die Leiche ein Bruder von Gilewitsch, der aus der beträchtlichen Lebensversicherung des angeblich Ermordeten monatlich Geld nach Paris überwies – an Andrej Gilewitsch selbst, der bald darauf ausgeliefert und wegen Mordes verurteilt wurde. Czeslaw von Czinski wurde danach auf sein Landgut verbannt.
Ebenso charakteristisch für das silberne Zeitalter wie der Okkultismus war die Faszination durch alles, was aus Indien kam. Man las die indischen Philosophen Ramakrishna und Vivekananda, vertiefte sich aber auch in die Veden und andere Texte des indischen Altertums. Das war ein gesamteuropäisches Phänomen. Da es in den alten Texten heißt, als hellhäutig beschriebene »Arier« hätten das Sanskrit und die in ihm geschriebenen heiligen Texte nach Indien gebracht, sollten die Nationalsozialisten eben diesen Namen für die von ihnen auserwählte Rasse übernehmen. Doch wie die Slawophilen in Russland zeigten, konnte man auch zu ganz anderen Schlüssen kommen. Nikolai Roerichs Mentor Stassow war durch die These bekannt, »die slawischen und die indischen Kulturen des Altertums seien eng miteinander verwandt und das indische Epos Mahabharata habe die alte russische Epik beeinflusst«.93 Alexander Blok spürte bekanntlich dem »Skythischen« in der russischen Seele nach, und unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg war der Gedichtzyklus Gitanjali des indischen Dichters Rabindranath Tagore, der 1913 den Literaturnobelpreis erhielt, in ganz Europa eine Sensation.
Nikolai Roerich teilte diese Faszination von Indien und las Vivekandanda, Ramakrishna und die Veden.94 Indien läutete eine neue Phase im Werk Nikolai Roerichs ein. Er malte Bilder wie »Dewassari Abuntu«, »Lakhmi die Siegreiche«, »Die Grenze des Kaiserreiches«, »Krischna«, »Träume Indiens« und »Gaijatris Gebot«. Er schrieb Märchen mit indischer Thematik, und eines davon, »Dewassari Abuntu« versuchte er sogar aufführen zu lassen.
Kunst ist bekanntlich Geschmackssache, und nicht bei jedem fand Roerichs neue Richtung Anklang. Benois zum Beispiel notierte anlässlich der letzten Ausstellung Roerichs vor der Revolution in sein Tagebuch, seine Bilder seien nicht überzeugend. »In allem merkt man viel zu sehr die Absicht. Auf der anderen Seite erinnern diese komplizierten und gewollt monumentalen Kompositionen auf das Verblüffendste an Illustrationen in deutschen Märchenbüchern oder deutschen Zeitschriften wie ›Jugend‹.«95
Aber der Effekt dieser Bilder war oft erstaunlich. Besonders wenn die Betrachter sich für Mystik interessierten. Sina Lichtmann, seine treueste Anhängerin, die seine Bilder vier Jahre später, bei einer Ausstellung in New York, zum ersten Mal erblickte, schrieb, ihr sei gewesen, als wäre die Menge plötzlich verstummt. »Ich stand direkt der Unendlichkeit gegenüber und dem ersten Menschen, der sich selbst eine Behausung geschaffen hatte, die sich dem Abbild Gottes verneigte.
Große Weiten kosmischen Maßstabes, Berge, Ströme von Wasser, massive Felsen, irdische und überirdische Boten, friedvolle Heilige und Helden bevölkerten Roerichs Welt. Mir stockte der Atem, Tränen rannen in die Augen, Gedanken und Gefühle überfüllten das Herz. Meine bis zu diesem Moment verschlossene Welt machte einer anderen Platz: einer Welt nicht irdischer Schönheit und Weisheit.«96
Auch schrieb Roerich, von Tagore beeinflusst, Gedichte, die im Exil als Blumen aus dem Garten Moryas veröffentlicht wurden. Dieser Gedichtzyklus, zweifellos das Beste, was er je veröffentlicht hat, rief die Bewunderung so verschiedener Persönlichkeiten wie Maxim Gorki und Tagore selbst hervor. »Wir begeben uns auf die Suche nach heiligen Zeichen« begann das 1915 geschriebene Gedicht »Wir werden sehen«. Auf der Suche nach dem Heiligen begegnete der Dichter dem Licht, dem Pfad, dem Labyrinth des Waldes, den Blumen, dem Wasser, den Bergen und der Ewigkeit. So banal und offensichtlich berechnend seine Zeitungsartikel mit ihren Aufrufen zur Schönheit und Kultur klangen, so subtil waren seine Gedichte. Auf den ersten Blick täuschend einfach, waren sie voll archetypischer Symbole, mystisch und schwer zu verstehen.
Die Suche nach »heiligen Zeichen«, die Faszination von den gleichermaßen schwer fassbaren Mitteilungen aus der Welt des Jenseits und den Theorien Bechterews und Kotiks führten folgerichtig zur Beschäftigung mit der Muse des »silbernen Zeitalters«, der genialen Zusammenfasserin aller okkulten Traditionen und Künderin von der »fünften Wurzelrasse«, deren fortschrittlichster Bestandteil eben die Slawen waren. Dies war Madame Blavatzky, die von sich behauptete, im Namen einer »großen, weißen Bruderschaft«, zu sprechen, die die Menschheit im Verborgenen anleite, und im Auftrag eben dieser Bruderschaft sollte sich Nikolai Roerich 1926 aufmachen, um im sibirischen Altai sein eigenes, ganz persönliches Utopia zu gründen.