Читать книгу Nikolai Roerich: Kunst, Macht und Okkultismus - Ernst von Waldenfels - Страница 17
Kapitel 11
ОглавлениеDie große weiße Bruderschaft
»Eine genaue und völlig faktentreue Biografie dieser bemerkenswerten Frau wird nie geschrieben werden. Sie verbrachte ihr Leben lang damit, sicherzustellen, dass es unmöglich sein würde, Fakten von ihrer Fantasie zu trennen«.97
Das schreibt die amerikanische Biografin Madame Blavatzkys, Maria Carlson, über Madame Blavatzky, eine Frau, die für wichtig genug erachtet wurde, 2008 von der Universität Oxford in ein Lexikon der hundert bedeutendsten Frauen der Weltgeschichte aufgenommen zu werden. Madame Blavatzky, oder Helena Petrowna Blavatzky, kurz H.P.B., war die Begründerin der Theosophie, einer religionsartigen Bewegung, die ungemein großen Einfluss auf das Geistesleben des späten 19. und des 20. Jahrhunderts hatte. Allein in Russland kann man Einflüsse der Theosophie auf das Werk Kandinskys, Skriabins und Malewitschs nachweisen, um nur die bekanntesten Namen zu nennen. Nicht zu vergessen Anatoli Lunatscharski und Maxim Gorki, deren Doktrin vom »sozialistischen Realismus« nicht nur von Bechterew und Kotik, sondern auch von der Theosophie beeinflusst wurde.
Das allerdings hinderte später die Bolschewiki nicht daran, die Theosophie zu unterdrücken und ihren Einfluss auf führende Protagonisten des sowjetischen Kulturlebens aus der Geschichte zu streichen. In England und Amerika jedoch dauerte ihr Einfluss an und weitete sich sogar aus. Neben Künstlern wie William Butler Yeats, einem der bedeutendsten Dichter englischer Sprache, bekannten sich eine Reihe Abgeordneter des britischen Unterhauses zur Theosophie, und der wichtigste Bankier seiner Zeit, Sir Norman Montagu, der Leiter der britischen Notenbank, war ebenfalls Theosoph. Wie in England war die Theosophie in den USA gerade unter den Reichen und Mächtigen weit verbreitet. Henry Wallace, der neben Roosevelt lange Zeit mächtigste Politiker der Vereinigten Staaten, glaubte an die Lehren der Blavatzky, und auch Roosevelt selbst waren, wie wir noch sehen werden, theosophische Gedanken keineswegs fremd.
Nur Deutschland ging einen Sonderweg. Rudolf Steiner, der dortige Vorsitzende der theosophischen Gesellschaft, verließ diese 1912, nahm die große Mehrheit ihrer Mitglieder mit sich und gründete die anthroposophische Gesellschaft.
Helena Blavatzky wurde 1831 als Tochter des russischen Obersten Peter Hahn von Rottenstein und seiner Ehefrau Helena im damaligen Jekaterinoslaw, dem heutigen Dnjepropetrowsk, in der Ukraine geboren. Ihr Vater stammte aus einer mecklenburgischen Adelsfamilie, über die Mutter war sie mit dem Architekten der russischen Industrialisierung, dem berühmten Finanzminister Sergej Witte, sowie der Zarenfamilie selbst verwandt.
Die junge Helena wird von ihren Biografen übereinstimmend als störrisch und unzugänglich beschrieben. Sie soll schon früh ausgeprägte mediale Fähigkeiten gehabt haben und ließ in ihrer Umgebung Spukgestalten auftauchen. Mehrmals wurde sie von ihren Verwandten dem Exorzismus unterworfen, was »sicherlich der Psyche ihrer Tochter nicht gerade dienlich war«, wie ein deutscher Biograf anmerkt.98
Mit 17 Jahren verheiratete man sie an den 60-jährigen General und Staatsrat Blavatzky. Gerade einmal drei Monate lang hielt sie bei ihm aus, bis sie, als Matrose verkleidet, in die Türkei floh und ein unstetes Wanderleben begann.
Man weiß relativ wenig über ihr Leben von 1849 bis 1859. Wie auch für spätere Zeiten in ihrem Leben gibt es eine »offizielle« Biografie, die einzig und allein auf ihren Behauptungen gründet, und eine »inoffizielle«, die sich auf das beschränkt, was sich nachweisen lässt.
Laut ihrer »offiziellen« Biografie soll sie bis zu ihrem 29. Lebensjahr an so verschiedenen Orten wie Kairo, wo ein koptischer Meister sie drei Monate in die Geheimnisse der Magie einweihte, in New Orleans, wo sie sich mit Voodoo beschäftigt habe, und in Indien und Tibet gewesen sein. Eine unglaubliche Reise, wenn man bedenkt, dass Tibet Ausländern verschlossen war und Blavatzky weder damals noch später Tibetisch konnte.
Russische Briefe und Erinnerungen deuten darauf hin, dass sie in diesen Jahren tatsächlich unterwegs war, aber zusammen mit einem Opernsänger namens Arkadi Metrowitsch und nur innerhalb des russischen Reiches und in Europa. Mit Sicherheit befand sie sich in den frühen 1850er Jahren in London, um die Weltausstellung im Hyde Park zu besuchen. Wie sie – allerdings Jahrzehnte später – berichtete, traf sie dort zum ersten Mal einen jener Mahatmas oder Meister, die ihr späteres Leben bestimmen sollten. Es sei ein schöner, indischer Prinz namens Kut Humi gewesen, der der zwanzig Jahre alten Helena eröffnete, sie sei als seine Schülerin auserwählt, eine Gesellschaft zu gründen, die sich über die ganze Welt ausbreiten werde.
Ihr Biograf Karl H. Frick merkt an dieser Stelle übrigens sarkastisch an, dass es vermutlich nicht nur der Scheinleib des Prinzen war, der die junge Helena interessiert habe. Aber weiter in der Geschichte dieser bemerkenswerten Frau.
Folgt man der theosophischen Geschichtsschreibung, dann gelangte sie drei Jahre später zum ersten Mal »in einem Heuwagen versteckt, in das verbotene Land Tibet, wo ihr Meister wohnte, und brachte unter der Obhut von dessen Schwester drei Jahre zu. Sie lernte in Tibet Sanskrit und wurde in die okkulten Wissenschaften eingeweiht.«99
Dieser zweite Weise aus dem Himalaya, den Blavatzky Master oder Mahatma Morya nennt, wird beschrieben als »ein Mann von ungewöhnlicher Größe, reich und unabhängig, in die Geheimnisse der Magie und Alchemie eingeweiht«.100 Obgleich vom Aussehen her nur 40 Jahre alt, habe er schon mehr als 300 Jahre in seiner jetzigen Inkarnation zugebracht. Master Morya übrigens sollte noch gehörig in die Geschicke Nikolai Roerichs eingreifen.
Zurück zu dem, was man in Blavatzkys Biografie nachweisen kann. 1858 wurde sie in Paris mit dem berühmten Medium D. D. Home bekannt und ein häufiger Besucher von spiritistischen Kreisen.
Im Winter 1859/60 kehrte sie nach Russland zurück und blieb eine Zeit lang in Pskow im Norden Russlands bei ihrer Schwester Vera, wo sie bald das Zentrum der Aufmerksamkeit wurde. Ihre Schwester schreibt, Helena Petrowna sei in Begleitung von Poltergeistern (»Esprits frappeurs«) eingetroffen und habe Tische dazu gebracht, zur Decke zu schweben, oder sie zu schwer zum Aufheben gemacht. Sie habe Séancen abgehalten, bei denen der russische Dichter Alexander Puschkin auftauchte, und mit ihren unglaublichen psychischen Kräften einen Mord aufgedeckt
Nach dem Besuch bei ihrer Schwester reiste Helena Petrowna nach Süden, um ihre Familie in Odessa und Tiflis zu besuchen. Sie verbrachte geraume Zeit damit zu, ihre Verwandten zu besänftigen, die nicht sehr froh waren, das schwarze Schaf der Familie wiederzusehen.
Später behauptete sie, 1863 habe sie Russland verlassen, um über Italien, Griechenland und den Fernen Osten wieder nach Tibet zu reisen, wo sie angeblich als Chela (Jüngerin) von den Mahatmas der großen weißen Bruderschaft unterrichtet wurde. Auch diese Reise ist nicht belegt. Tatsächlich blieb sie einen großen Teil dieser Zeit in Russland, hatte eine Affäre, wurde schwanger und gebar ein uneheliches Kind. Ihr Sohn war behindert und starb, als sie 1864 oder 1865 mit Arkadi Metrowitsch wieder ins Ausland reiste. Sie kehrte nach Hause zurück, um das Kind zu beerdigen, und verließ Russland erst 1871.
1873 kam Madame Blavatzky, wie sie sich nun nannte, in die USA, ließ sich in New York nieder und verdiente sich ihren Lebensunterhalt als Journalistin. Sie veröffentlichte sensationelle Zeitungsartikel, die sich gegen die Jesuiten und den Papst richteten, schrieb für den amerikanischen Leser über den Kaukasus und vor allem über den Spiritismus, das Lieblingsthema der Zeit. Sie beschäftigte sich ausgiebig mit verschiedenen östlichen okkulten Systemen und ermunterte ihre amerikanischen Kollegen, sie als Hellseherin, als Medium und als Mystikerin zu sehen. Am 8. September 1875 gründeten sie und ihr getreuer Adlat, Colonel Henry Olcott, ein ehemaliger Soldat und inzwischen Journalist, die Theosophische Gesellschaft.
»Ziel ist ein esoterischer Bruder- und Schwesternbund für die ganze Menschheit, der zur Erkenntnis des Wahrheitskerns jeglichen religiösen Lebens verhelfen soll. Durch die Erforschung der tieferen geistigen Kräfte und mit Hilfe der theosophischen und mystischen Elemente der Magie, sowie durch andere ›klassische‹ Geheimwissenschaften sollen alle geheimnisvollen, dem Menschen noch nicht aufgeschlossenen Naturgesetze erklärt und verständlich gemacht werden. Schließlich sollen die im Menschen verborgenen okkulten Kräfte entwickelt werden, um ihm übersinnliche Wahrnehmungen zu vermitteln.«101 Ganz im Geist der Zeit verstand sich die Theosophie ausdrücklich als »Wissenschaft« und nicht als religiöser Glaube und gab sich das Motto: Keine Religion ist wichtiger als die Wahrheit. Religionsähnliche Elemente, wie der Glaube an die Reinkarnation, galten durch die Praxis, d.h. den Spiritismus, als wissenschaftlich bewiesen.
Zwei Jahre später veröffentlichte Blavatzky ihr Buch Die entschleierte Isis. In diesem komplexen Buch (und einem noch komplexeren zweiten, dem 1888 erschienenen Die Geheimlehre) verglich sie die Weltreligionen unter Einbeziehung okkulter Traditionen wie Gnosis, Kabbala und Alchemie, aber auch Hellsehen, Spiritismus und Hypnose. Durch die »vergleichende Esoterik«, wie sie ihre Methode nannte, destillierte sie eine universelle Ursprungsdoktrin heraus und behauptete, diese »Weisheitsreligion« oder »Geheimlehre« sei der Kern aller Weltreligionen und werde von unsterblichen Eingeweihten seit Tausenden von Jahren behütet.102 Die Religionsstifter Jesus, Mohammed und Buddha seien Inkarnationen der »Mahatmas« oder »Meister« gewesen, folglich seien diese, wie auch die anderen Weltreligionen, in der Theosophie enthalten. Diese uralten Weisen würden im Himalaya leben, und zwar an einem Ort namens »Schambala«. Die letztere Idee hatte Blavatzky dem tibetischen Buddhismus entnommen, wo »Schambala« besonders für die einfachen Gläubigen eine Rolle spielte, die man am ehesten mit der vergleichen kann, die die Vorstellung vom Paradies für europäische Christen spielte.
Schon länger hätte die Bruderschaft nicht mehr in die Weltgeschichte eingegriffen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jedoch wäre die »Bruderschaft der weißen Loge, die Hierarchie der Eingeweihten, die die Evolution der Menschen beaufsichtigen und führen und die diese Wahrheiten unbeeinträchtigt erhalten haben«103, zu dem Entschluss gekommen, es sei nun Zeit, einige dieser Wahrheiten durch Auserwählte nach und nach enthüllen zu lassen. Die erste Auserwählte sei sie, Blavatzky, selbst, und sowohl Die entschleierte Isis als auch später Die Geheimlehre seien ihr von den Mahatmas diktiert worden, mit denen sie in direktem psychischem Kontakt stehe.
Die Geheimlehre, die sie in ihrem gleichnamigen zweiten Buch auslegte, war eine »eklektische, synthetische, dogmatische Doktrin mit pantheistischen Beimischungen und stark durchtränkt von exotischem buddhistischem Gedankengut und Vokabular«, weshalb man die Theosophie auch als Neobuddhismus bezeichnet hat.104 Das aber führt in die Irre. Wie die Kennerin Maria Carlson darlegt, mischte »die Theosophie Teile und Bruchstücke des Neuplatonismus, Hinduismus, der Kabbala, des Rosenkreuzertums, des Hermetismus und anderer okkulter Doktrinen aus Vergangenheit und Gegenwart zusammen und versuchte eine ›wissenschaftliche Religion‹, eine moderne Gnosis zu sein, die sich auf das absolute Wissen geistiger Dinge, statt auf den Glauben gründete.«
Dem Ganzen war eine im Wesentlichen jüdisch-christliche Ethik unterlegt, der eine Art spiritueller Darwinismus beigemischt wurde. Angeblich würden die mit dem stärksten Geist überleben, oder aber die, die sich spirituell am weitesten entwickelten.
Die von Madame Blavatzky dargelegte Kosmologie der Theososophie ist hochkomplex und stark vom Hinduismus beeinflusst. In unendlichen Zeiträumen wechseln sich »Pralaya« genannte Perioden der Ruhe und Auflösung mit solchen der »Manvantara«, der Aktivität und Entwicklung, ab. Was den Einzelmenschen betrifft, so durchläuft er eine komplizierte evolutionäre Abfolge, die rund 800 Inkarnationen umfasst. Und das nur auf dem Planeten Erde, denn gemäß der Geheimlehre muss er sie auch auf den sechs anderen Planeten des Sonnensystems (mehr waren damals nicht bekannt) durchlaufen.
Es gibt »dunkle« und »helle« Phasen, und was die Menschheit betrifft, so habe es einmal eine große Zivilisation, Atlantis, gegeben, die untergegangen sei, deren »Weisheit« sich aber in den »Mahatmas« erhalten habe. Jetzt sei die Zeit der »fünften Wurzelrasse«, der Arier nämlich, und innerhalb der arischen Rasse wiederum seien es die Slawen, die »siebte Unterrasse«, die nach der stürmischen, materiellen Entwicklung des Menschen den nächsten »Schub« der Evolution, die »geistige« Evolution nämlich, anführen werde. Sie wird zur Verwirklichung einer mehr spirituellen Menschheit beitragen, die mit der sechsten Wurzelrasse erreicht wird.
Im Einzelnen schrieb Madame Blavatzky in der Geheimlehre, »die grundlegende Mission dieser Epoche der Zivilisation ist es, den Menschen an die physische Ebene anzupassen, um die Vernunft und die praktische Logik zu entwickeln, den Verstand in die Materie zu vertiefen, damit sie verstanden und schließlich beherrscht werden kann«. Sobald diese Mission vollendet sei, »hat die Evolution den Gipfel der physischen Entwicklung erreicht und sie mit dem physisch Perfekten gekrönt. Von diesem Moment an beginnt die geistige Entwicklung.«105 Daher hätten die Mitglieder der großen weißen Bruderschaft diesen historischen Augenblick gewählt, um die Theosophie den Massen durch ihre Jüngerin zu offenbaren. Der Abstieg der Menschheit in die Materie sei vollendet, und damit sei sie bereit, das Wissen von der Geheimlehre zu erhalten, welches sie auf ihrer Reise Richtung Vergeistigung zur endlichen Vereinigung mit dem Göttlichen führen werde.
Anfänglich fand Madame Blavatzky wenig Anklang. Dann aber reiste sie mit Oberst Olcott nach Indien und wurde dort mit großem Erfolg empfangen. Von indischen Intellektuellen allerdings und nicht von den britischen Oberherren. Deren Überlegenheitsgefühl gegenüber den »Eingeborenen« war zu dieser Zeit so groß, dass sie, wie auf Ceylon, wo der Buddhismus betroffen war, versuchten, örtliche Religionen zu unterdrücken und die Bevölkerung mit allen Mitteln zur britischen Staatsreligion zu bekehren.
Die Kolonialbeamten, die an der angeblichen »Bürde des weißen Mannes« trugen, »die Eingeborenen zu zivilisieren«, witterten in der Theosophie eine gefährliche Tendenz, das indische Selbstbewusstsein zu heben, und in Madame Blavatzky eine russische Spionin. Madame Blavatzky, die jede Art Aufmerksamkeit genoss, sollte später Andeutungen machen, die diese – bis heute unbewiesenen – Gerüchte bestätigten. Damit verstärkte sich nur noch die Antipathie der Behörden, und Annie Besant, Blavatzkys Nachfolgerin, sollte den Ersten Weltkrieg im Gefängnis verbringen. Auch Nikolai Roerich, der nächste Auserwählte der Mahatmas, sollte dieses Misstrauen noch zu spüren bekommen.
Nach Errichtung zahlreicher Zweigstellen in Indien und der Erwerbung eines großen Areals in Adjar, einem Vorort von Madras, wo das Hauptquartier der Gesellschaft eingerichtet wurde, kehrte Madame Blavatzky nach Europa zurück, um für die Theosophische Gesellschaft werben. Dabei geriet sie ins Visier der Gesellschaft für psychische Forschungen in London.
Abgesehen von Blavatzkys angeblichen psychischen Fähigkeiten waren die Mahatmas und die große weiße Bruderschaft das größte Problem der Glaubwürdigkeit der theosophischen Bewegung. Hätten die Mahatmas weiter ruhig im Himalaya gelebt und nur über ihre »Chela« Blavatzky mit der Welt Verbindung gehalten, hätte ihre Existenz wie bisher nur auf den Behauptungen der Madame beruht und wäre unüberprüfbar geblieben. Doch mit dem stürmischen Wachstum der Gesellschaft in Indien gingen die Mahatmas dazu über, mit führenden Mitgliedern der Theosophischen Gesellschaft direkt zu kommunizieren. Briefe fielen von der Decke oder wurden geheimnisvoll auf anderen Wegen zugestellt. Als dann große, schweigsame, asketische Hindus, ganz in Weiß und mit einem Turban bedeckt, einzelnen Personen erschienen, vermutete die Gesellschaft für psychische Forschungen eine Täuschung.
Im Mai 1878 kam es zu einem ersten großen Skandal, als sich Emma Goulomb, eine alte Freundin und Verbündete von Blavatzky, gegen sie wandte. Mrs. Goulomb verkündete öffentlich, Madame Blavatzky sei eine Fälscherin und in dem okkulten Zimmer gebe es »eine Falltür, um Briefe von der Decke regnen zu lassen«.106
Darauf schickte die Gesellschaft für psychische Studien eines ihrer Mitglieder, Richard Hodgson, nach Adjar, um die Sache an Ort und Stelle zu untersuchen. Dort angekommen, entdeckte er, dass man die Beweise im okkulten Zimmer zerstört und die Wände neu verputzt hatte. Damit nicht genug, fand er in den nächsten drei Monaten auch noch heraus, dass die Briefe der Mahatmas ausschließlich auf Englisch und noch dazu in Blavatzkys Handschrift verfasst waren. Von Kleinigkeiten wie dem »tibetischen« Briefpapier gar nicht zu reden, das man in Darjeeling käuflich erwerben konnte und das zum Schreiben der Briefe erst nach dem Besuch der Blavatzky eben dort in Gebrauch gekommen war. Schließlich gaben indische Mitglieder der Gesellschaft zu, in die Verschwörung eingeweiht zu sein.
Die Gesellschaft für psychische Studien zog folgenden Schluss: »Was uns betrifft, so betrachten wir sie weder als die Sprecherin verborgener Weiser noch als bloße und vulgäre Abenteurerin. Wir glauben, dass Sie es verdient hat, auf ewig als eine der erfolgreichsten, erfindungsreichsten und interessantesten Hochstaplerinnen der Geschichte bezeichnet zu werden.«107
Der Skandal war gewaltig. Oberst Olcott, der Mitbegründer der Theosophischen Gesellschaft, verbannte sie aus Adjar, und Blavatzky kehrte nach Europa zurück. Erstaunlicherweise war das keineswegs das Ende der Theosophie und schon gar nicht der Blavatzky. Ganz im Gegenteil. Ihre Wohnung in der Lansdowne Road 17 wurde zur Pilgerstätte, und »Schriftsteller, Maler, Wissenschaftler, Aristokraten und Okkultisten jeglicher Art kamen, um die große Russin mit den enormen und eindringlichen Augen, den langen Fingern und eleganten Händen und der scharfen Zunge zu besuchen«.108 1888 veröffentlichte sie in London ihr zweites, großes Werk Die Geheimlehre, und als sie in London 1891 starb, wurde sie von Tausenden betrauert. Ihr Todestag, der 8. Mai 1891, wird bis heute von Theosophen in aller Welt als »Tag des Weißen Lotus« begangen.
Auch Master Morya und Kut Humi, die beiden Mahatmas und persönlichen Lehrer Blavatzkys, waren alles andere als diskreditiert. Nach dem Tod der Blavatzky fing ihr Siegeszug erst richtig an. Sie tauchten bei Séancen auf, gaben Malern wie dem Deutschen Hermann Schmiechen via »psychischer Eingebung« ihre Porträts ein und fuhren fort, Theosophen aller Nationen mittels »automatischen Schreibens« zu instruieren. Schließlich sollten sie niemand anders als Nikolai Roerich als ihren Lieblingsschüler und Messias auswählen. Allerdings das erst später, obgleich der Maler schon in seiner Petersburger Zeit mit den Schriften der Blavatzky vertraut war.