Читать книгу Nikolai Roerich: Kunst, Macht und Okkultismus - Ernst von Waldenfels - Страница 19
Kapitel 13
ОглавлениеKrieg und Revolution
Der Erste Weltkrieg durchkreuzte die Reisepläne. Die Kriegsjahre verbrachte Nikolai Roerich weiter als Leiter der Kaiserlichen Gesellschaft.
Indirekt bekam er die antideutsche Stimmung in der nun zu Petrograd umbenannten Hauptstadt zu spüren, als der Mob bei Kriegsbeginn nicht nur deutsche Geschäfte verwüstete, sondern auch Brand an die Druckerei Knebel legte, in der sich nur kurze Zeit zuvor Bilder Roerichs befunden hatten, die für einen Bildband benötigt wurden. Proteste gegen die Ausschreitungen sind von Nikolai Roerich nicht bekannt. Dafür startete Roerich anlässlich der Bombardierung der Kathedrale von Reims durch die Reichswehr eine laute Kampagne gegen diese Barbarei, bei der er nicht mit kräftigen Worten sparte und Deutschland für alle Zeiten den Rang einer Kulturnation absprach. Er richtete seine Schreiben auch an die Diplomaten neutraler Staaten in Petrograd, was die Presse in Frankreich und England dankbar aufnahm. Hier war er ein Kind seiner Zeit. Auch deutsche Geistesgrößen wie Gerhart Hauptmann oder Thomas Mann ließen es nicht an chauvinistischen Äußerungen fehlen.
Doch Nikolai Roerich ging noch einen Schritt weiter: Der prominente Künstler forderte eine internationale Konvention zum Schutz von Kulturgütern im Kriegsfall. Sicher war sie ernst gemeint, litt aber unter dem Mangel, implizit nur die gegnerische Seite solcher Taten für fähig zu halten. Nebenbei darf man vermuten, dass der »Prophet der Schönheit und Kultur« an dem guten Licht nicht uninteressiert war, das solche löblichen Absichten auf ihn warfen.
Von kleineren Reisen in die Umgebung der Hauptstadt abgesehen, blieb Nikolai Roerich während der ganzen Kriegszeit in Petrograd. Bis zur Nacht vom 16. zum 17. Dezember 1916, als er die Stadt verließ und mit seiner Familie nach Finnland reiste. Eine aus mehrerlei Gründen seltsame Reise. Zum einen ist der angebliche Grund, den er in seinen Erinnerungen anführt, er habe die Feiertage auf dem Land verbringen wollen, nicht überzeugend. Zumindest nicht, wenn man bedenkt, dass bis zum Weihnachtsfest noch eine Woche Zeit war und der vielbeschäftigte Künstler einen Posten hatte, den er nach eigener Auffassung gerade in der Kriegszeit für sehr wichtig hielt. Immerhin ging es darum, mittels der Kunst die Moral des Heeres zu heben. Und dann war es eine eiskalte Nacht, die Temperatur lag bei minus vierzig Grad und im Waggon war die Heizung ausgefallen. »Natürlich waren die Großmütterchen und Tantchen strikt gegen die Reise, aber wir kamen bestens an«, wie sich Roerich später erinnert. »Das Hotel in Serdobol war völlig leer.«123
Was Nikolai Roerich in seinen Erinnerungen nicht erwähnt, ist, dass in eben dieser Nacht der Favorit der Zarin, der Wunderheiler Grigori Rasputin, ermordet wurde. Und das war wohl mehr als ein Zufall. Nicht in dem Sinne, dass Nikolai Roerich Teil der Verschwörung war. Dazu wäre er viel zu vorsichtig gewesen, und die Bluttat hätte auch nicht seinem Charakter entsprochen. Auch wenn er sie aller Wahrscheinlichkeit nach, wie fast die gesamte Öffentlichkeit, gebilligt hat. Aber es ist sehr gut möglich, dass er von dem geplanten Attentat Kenntnis hatte. Denn der Mörder war niemand anders als der schwerreiche Fürst Felix Jussupow, einer der Patienten Dr. Rjabinins. Und dass Jussupow aus seinen Absichten großen Hehl machte, kann man wirklich nicht behaupten. Selbst der »unrussische« Benois, alles andere als ein Freund ultranationalistischer Ansichten, wie sie die Verschwörer vertraten, notierte einige Wochen vor dem Attentat in sein Tagebuch, Jussupow habe ihn besucht und die ganze Zeit nur über seinen Hass gegen Rasputin gesprochen. Weite Kreise waren in die Pläne eingeweiht. Kreise, mit denen der gut vernetzte Nikolai Roerich wahrscheinlich auch Verbindung hatte. Verließ also Nikolai Roerich in eben dieser Nacht Petrograd, um nicht fälschlich unter Verdacht zu geraten? Spürte er, dass diese Tat zum Auftakt für Revolution und Bürgerkrieg werden sollte? Jedenfalls waren die Folgen unabsehbar und Nikolai Roerich war, wie sich zeigen sollte, niemand, der sich in dem bald entstehenden Chaos gut zurechtfand.
Doch vorerst blieb alles ruhig, und Anfang Januar 1917 war Nikolai Roerich wieder in Petrograd. Der Zar hatte so sehr an Einfluss verloren, dass die Mörder, die schnell gefunden waren, nicht einmal in Haft kamen. Felix Jussupow selbst wurde nur unter Hausarrest gestellt.
Bis Mai 1917 blieb Roerich in Petersburg.124 Er erlebte die Hungerunruhen, Schießereien und den Vandalismus, die der Februarrevolution vorausgingen. Nach der Revolution bildete Maxim Gorki ein Komitee zur Bewahrung der russischen Kulturgüter, das weiteren Zerstörungen vorbeugen sollte. Die prominentesten Kulturschaffenden der Hauptstadt, so auch Nikolai Roerich, wurden zur Mitwirkung eingeladen. Der gleichfalls anwesende Alexandre Benois notierte die chaotischen Sitzungen in seinem Tagebuch. Am 4. März schrieb er: »Bei Gorki versammelten sich mehr als 50 Personen. Zum Vorsitzenden wurde Roerich bestimmt, ich hatte mich geweigert. Bei der Sitzung kam, wie ich vorausgesehen hatte, nur totaler Wirrwarr heraus – wunderbares Material für eine Satire. [...] Gorki brummte mit seiner Bassstimme gutmütig, die Künstler sollten die Bewachung der Museen selbst unternehmen. Dröhnend unterbrach ihn der Hooligan Majakowski in seiner Soldateninform. [...] Überhaupt nicht am richtigen Ort erwies sich Roerich, der in grobem Ton und hastig die Namen der Personen vorlas, die zur provisorischen Regierung abgestellt werden sollten. Als Minister für Kultur schlug ich Diaghilew vor, dann Grabar und als Dritten Roerich. Der Letztere wäre vor Stolz fast geplatzt und machte nicht einmal eine abwehrende Geste. Welch bescheidener Ehrgeiz.«125 Tatsächlich sollte Nikolai Roerich die Tatsache, dass man ihn einmal zum Kulturminister vorgeschlagen hat, noch öfters mit Stolz erwähnen. Aber der Würdenträger des Zaren und Leiter der Schule der »Kaiserlichen Gesellschaft«, der Okkultist und »Sucher nach heiligen Zeichen«, zeigte sich der neuen, chaotischen Lage nicht gewachsen. Mit der Zerstörung der alten Rangordnung kam er nicht zurecht. Das zumindest legt das Tagebuch von Benois nahe, der in Gorkis Komitee die Zügel übernommen hatte. Am 21. März lesen wir: »Als völlig fehl am Platz hat sich Roerich erwiesen, der den Anschein macht, als wäre er von mir eingeschüchtert. Vermutlich daher stimmt er allem, was ich vorschlage, sofort zu. Ein wenig Leben kommt in ihn nur dann, wenn es um irgendwelche unbedeutenden Einzelheiten geht.«126
Im April erkrankte Nikolai Roerich an einer schweren Lungenentzündung. Anfang Mai reiste er mit seiner Familie wieder nach Finnland, der Auftakt zu einem lebenslangen Exil. Nur noch besuchsweise sollte er nach Russland zurückkehren. In Finnland verschlimmerte sich seine Krankheit so sehr, dass er ein Testament verfasste, in dem er alles seiner Frau vermachte. Auch zog er angesichts des Todes eine Bilanz seines bisherigen Lebens. Zählte seine Freunde auf, darunter Remisow, Gorki, Benois und die Tennischewa, und seine Feinde, zu denen er bemerkenswerterweise nur zwei Personen, mit Namen Tolstoi und Botkin, zählt. Beide hatten ihm das Leben bei seinem Aufstieg in der Kaiserlichen Gesellschaft schwergemacht. »Man kann mein Leben unmöglich als arm bezeichnen. Es war ein besonderes Leben, und nur wenige hatten Einblick in es. Ich war nie ein Wolf im Rudel. Ich bin als einsamer Bär unterwegs. In einem ersten Buch vergleiche ich den Menschen der Steinzeit mit einem Bären. Dieser Bär gleicht mir. Lieber ein Bär sein, bloß kein Wolf. Versteht Ihr?«127
In dieser Bilanz erweist sich einmal mehr, wie gut es Roerich zeitlebens verstand, seine Geheimnisse zu wahren. Da wäre zum Beispiel folgende Begebenheit, über die sonst nichts weiter bekannt ist: »Verleumdungen und Lügen verfolgten mich, aber die Wahrheit siegte. Man hat mich beschuldigt, einen Menschen getötet zu haben, aber auch diese Verleumdung habe ich überstanden.«128
In Finnland malte Roerich die düsteren Steinlandschaften Kareliens, es herrschen bleierne, schwere Töne vor. Auch in seinen Gedichten herrschte ein dunkler Ton. Vergeblich suchte er nach »heiligen Zeichen«:
Vergeblich
Nicht sichtbar sind die heiligen Zeichen
Lass Deine Augen ruhen
Ich weiß, sie sind ermüdet. Schließe sie
Ich werde für Dich nachsehen. Ich sage
Dir, was ich erblicke. Höre zu!
Um uns ist dieselbe Ebene
Graue Büsche rascheln.
Stählern schimmert der See.
Verschlossen schweigen die Steine
kalt schimmern sie in den Wiesen.
Kalte Regenwolken, die sich zu Krähenfüßen
runzeln. Auf ewig sind sie weggegangen.
Sie wissen, schweigen und bewahren.
Vögel sehe ich nicht. Keine Tiere eilen durch
die Ebene. Wie zuvor ist niemand da.
Niemand kommt. Keinerlei Zeichen.
Kein einziger Wanderer.
Ich verstehe, sehe und weiß nicht.
Angestrengt hast Du Dein Auge völlig
vergeblich.129
Ganz zog Nikolai Roerich sich nicht von der Welt zurück. Er führte einen ausgedehnten Briefwechsel mit den Mitarbeitern der »Kaiserlichen Gesellschaft«, die jetzt nicht nur umbenannt, sondern auch völlig umorganisiert werden musste. Aber das geschah alles aus der Ferne, und die Briefe machen einen halbherzigen Eindruck. Zwar entwarf er detaillierte Pläne, aber betonte immer, erst müsse er gesund werden. Benois gegenüber bekannte er in einem Brief im Dezember, er wisse selbst nicht, welche Krankheit er habe. Sei dies Tuberkulose oder irgendetwas mit den Nerven. Weiter berichtete er, er schreibe an einem Mysterienspiel, und ganz zum Schluss riet er Benois eindringlich, doch die Prophezeiungen von Ramakrishna zu lesen. Dies sei eine sehr ernsthafte und sehr humane Lehre.130
In Russland spitzten sich die Dinge 1917 zu. Auf der einen Seite standen die Radikalen, die Bolschewiken, die den Krieg gegen Deutschland beenden und das Land der Grundbesitzer verteilen wollten, auf der anderen Seite die Anhänger der alten, patriarchalischen Ordnung und die Vertreter der besitzenden Klassen. In der Mitte fanden sich die Liberalen, die Sozialdemokraten und sonstige Anhänger gemäßigter Reformen. Vorläufig herrschte noch Frieden zwischen den Fraktionen, doch der Bürgerkrieg kündigte sich bereits an. Im September führte die provisorische Regierung den ersten Schlag. Man verbot zwei Zeitungen der Bolschewiken und inhaftierte, soweit fassbar, ihre Führer.
In dieser Situation ergriff Nikolai Roerich Partei. Am 15. Oktober beendete er – aber veröffentlichte erst zwei Jahre später – einen Artikel mit wütenden Angriffen gegen die Bolschewiki. Er bezeichnete sie als »wilde Horden« mit »offenem Hang zu Raub und Gewalt«, als »Versammlung verwilderter Arbeiter, die das menschliche Antlitz verloren haben und beim ersten Schuss auseinanderlaufen«. Man sollte »diese verwilderten Haufen vernichten«.131
Bekanntlich vollzogen die »verwilderten Haufen« wenige Tage später, am 25. Oktober, einen erfolgreichen Staatsstreich, die welthistorische Oktoberrevolution.
Anfang Januar 1918 traute sich Nikolai Roerich zusammen mit seiner Frau ein letztes Mal nach Petrograd und besuchte Benois, der die zwei Begegnungen ausführlich, und wie immer ironisch, in seinem Tagebuch notierte. Beim ersten Mal beschwerten sich die beiden über das Leben in Finnland, was Benois allerdings nicht sehr beeindruckte. Sein Kommentar: »Diese Klagen hatten hauptsächlich zum Ziel, dass – gebe Gott – nicht andere Russen Finnland überschwemmen.«
Beim zweiten Mal ging es einen Abend lang in erster Linie um die Schule der ehemaligen Kaiserlichen Gesellschaft. Ein energischer Bolschewik hatte die Sache an sich gerissen und dominierte den noch von Roerich eingesetzten Verantwortlichen, Helenas Cousin Stepan Mitusow, nach Belieben. Doch dann, gegen Ende des Gesprächs, stellte sich heraus, die Schule war gar nicht der Hauptgrund für Roerichs Reise nach Petrograd gewesen!
»Beiläufig wurde klar, dass Roerich wegen seines Safes hier ist, Helena Iwanowna aber, die sonst so Umsichtige, in Finnland den Schlüssel für den feuerfesten Safe vergessen hat, der wiederum den Schlüssel für den Safe ihrer verstorbenen Mutter enthält. Deswegen zurückzufahren hat keinen Sinn, denn es ist eine Revision der Schließschränke zu erwarten. Der arme Roerich! Erst hat er sich vor der Revolution in Sicherheit gebracht und jetzt ist er mittendrin gelandet und steckt hier fest. Das ist selbst für einen solchen Schlaukopf und Weisen keine einfache Lage!«132
Lange blieben die Roerichs nicht in Petrograd, aber die verpasste Gelegenheit, wenigstens einen Teil dessen mitzunehmen, was während all der Jahre angesammelt worden war, sollte seine Helena später, im Exil, noch öfter beklagen. Zurück blieb auch die wertvolle Gemäldesammlung mit Cranach und Rembrandt, die danach in der Eremitage aufging.