Читать книгу Nikolai Roerich: Kunst, Macht und Okkultismus - Ernst von Waldenfels - Страница 12
Kapitel 6
ОглавлениеDer Prophet der Schönheit
Nikolai Roerichs Petersburger Jahre spielten sich direkt im prächtigen Zentrum der Hauptstadt des Zarenreiches ab. Nie wohnte er weiter als dreißig Minuten zu Fuß vom Winterpalast, dem Sitz der Zarenfamilie. Seine erste Wohnung, die er direkt nach seiner Ernennung zum Sekretär der Kaiserlichen Gesellschaft bezog, war noch am weitesten vom Zentrum der Macht entfernt. Sie lag in einem klassizistischen Neubau an der Galernaja Ulitza, kaum hundert Meter von einem gewaltigen Werftgelände und bereits am Rand des »anderen«, des proletarischen und revolutionären Petersburg. Anfang 1904 zog er wieder um, diesmal auf die Wassiliinsel. Sein neues Domizil war in einem vierstöckigen, großen Wohnhaus aus der Gründerzeit, wenige Schritte von dem Haus, in dem er geboren wurde, und auch bedeutend näher an seinem Arbeitsplatz.
1902 wurde sein erster Sohn Juri, seine spätere rechte Hand, geboren und 1904 der zweite Sohn Swjatoslaw, in der Zukunft ein bedeutender Künstler, der aber bei den verschiedenen Auftritten des Vaters als Weltretter eine eher zweideutige Rolle spielte.
In diesen ersten Jahren seiner Ehe mit Helena jonglierte Nikolai Roerich, wie auch sein ganzes weiteres Leben, mit mehreren anstrengenden Tätigkeiten auf einmal. Er war noch in seiner »altrussischen« Phase und malte große Ölbilder, auf denen er vorpetrinische Klöster, warägische Recken auf Drachenbooten oder heilige Einsiedler abbildete. Während der Sommermonate betrieb er umfangreiche Ausgrabungen oder reiste auf den Spuren des Mittelalters durch das Land.
Helena war meist mit einer Kamera mit von der Partie und dokumentierte die weißen, meterdicken Kremlmauern vergessener Provinzstädte, die orthodoxen Kirchen und kleinen Holzhäuser, die die Katastrophen des 20. Jahrhunderts meist nicht überstehen sollten.
Das alles spielte sich in seiner Freizeit ab, denn dienstlich führte Nikolai Roerich »das Leben eines Sekretärs der Kaiserlichen Gesellschaft, das von Kleinigkeiten, Intrigen und Verleumdungen beherrscht wird«, wie er es selbst in einem Brief an Helena skizziert hat.47
Doch auch dies bewältigte er mit Bravour, und es gelang ihm, seine guten Beziehungen zur recht einfältigen, wie böse Zungen behaupteten, Großfürstin Olga weiter zu festigen. Hier ging er mit der für ihn typischen Berechnung vor, wie man aus seinen Briefen an Helena erfährt. Er schaute sich mit Interesse die Aquarelle der dilettierenden Zarenverwandten an, und als sich die »Prinzessin«, wie er sie in Briefen an Helena nannte, begeistert von einer bestimmten Landschaft in der Nähe Petersburgs äußerte, schrieb Nikolai Roerich an seine Frau: »Das heißt, ich muss diese Orte zeichnen und ihr bringen.«48
Mit Rückendeckung der Großfürstin schließlich erreichte Nikolai Roerich den Höhepunkt seiner Petersburger Karriere: 1906 wurde er zum Direktor der Kunstschule der Kaiserlichen Gesellschaft ernannt, der mit der Kunstakademie wichtigsten Ausbildungsstätte der Hauptstadt, und bezog eine Dienstwohnung in den Räumlichkeiten der Kaiserlichen Gesellschaft. Die Wohnung lag in unmittelbarer Nachbarschaft des Winterpalastes, und aus den Fenstern blickte man auf die Moika, einen der prächtigsten und schönsten Kanäle der Hauptstadt. Hier bleibt Roerich bis zu seinem Exil wohnen.
Als Direktor der Kunstschule und rechte Hand der Großfürstin, die ihn bei allen wichtigen Entscheidungen um Rat fragte, wurde Nikolai Roerich eine mächtige Figur im Kunstleben der Hauptstadt und war dabei weiter künstlerisch tätig. Sein Altersgenosse, der bekannte Maler Grabar, schrieb in seinen Erinnerungen, Roerich habe immer an mehreren Gemälden gleichzeitig gearbeitet und im Monat ein gutes Dutzend Gemälde fertiggestellt. Darunter »keinerlei Pfusch, nichts Banales oder Langweiliges«.49
Bei einem Besuch von Roerichs Wohnung zeigte ihm der Künstler seine letzte Arbeit: »Es verging eine Viertelstunde und der Sekretär brachte ihm eine Reihe Papiere zum Unterschreiben. Er unterschrieb schnell, ohne sie zu lesen, weil er wusste, man hintergeht ihn nicht. Die Kanzlei war beispielhaft aufgestellt. Eine weitere Viertelstunde verging und der Diener meldete, die Großfürstin sei gekommen. Er beeilte sich und schaffte es kaum noch, mir zuzurufen, ich solle zum Frühstück bleiben. So malte er hervorragende Bilder, unterschrieb kluge Papiere und empfing dabei Freunde als auch Feinde. Zu den Ersteren war er gleichbleibend freundlich, zu den Letzteren sogar freundlicher.«50
Roerich hatte sich als energischer Leiter der Schule der Kaiserlichen Gesellschaft erwiesen. Nach seiner Ernennung 1906 war er als Erstes darangegangen, die alten Lehrer loszuwerden. Nicht etwa durch Entlassung oder sonstige Zwangsmaßnahmen, denn »damit schafft man sich nur Feinde«, wie eine Anhängerin in ihr Tagebuch notierte. Stattdessen ließ er den Schülern die Wahl, sich die Lehrer selbst auszusuchen, und Nikolai Roerich bekam, was er wollte. Auch die Unruhestifter, von denen es nach der Revolution von 1905 auch an der Schule einige gab, wurde er los, ohne sich neue Feinde zu schaffen. Er schloss in die Liste derer, die vom Schulbesuch ausgeschlossen wurden, auch einige adelige Fräulein mit ein, die die Aufnahme nur dank Protektion geschafft hatten, und konnte so mit Recht behaupten, nur »geeignete« und ergo auch die Schulordnung nicht störende Personen aufzunehmen. Nebenbei bemerkt hatte die Schule auch nach ihrer Neuausrichtung keinerlei Raum für Maler wie Malewitsch, Gontscharowa oder Kandinsky. In der Ablehnung alles Abstrakten traf sich Nikolai Roerich mit seinen Altersgenossen von der Welt der Kunst.
Diese waren des Lobes voll für Roerichs Arbeit als Direktor, und sein alter Freund-Feind Alexandre Benois bezeichnete 1910 die Wandlung der Institution als »Wunder«, die »nur der Energie eines einzigen Menschen, eines Künstlers, Roerich nämlich, zu verdanken« sei. Doch listig fügte er hinzu: »Roerich nimmt es im Namen der guten Sache auf sich, sich mit den allerlangweiligsten Leuten einzulassen.«51
Vermutlich hatte Benois bei diesen »allerlangweiligsten Leuten« auch den Zarenhof im Auge, an dem Nikolai Roerich ab jetzt mehrmals im Jahr zu Gast war. Das waren in erster Linie dienstliche Angelegenheiten, denn Großfürstin Olga, die Cousine des Zaren, leitete zwar die Gesellschaft, aber Schirmherr war letztendlich Zar Nikolaus II. selbst. Von seinem kaiserlichen Namensvetter war der Künstler übrigens nicht besonders angetan. Im Exil sollte er später berichten, der Zar sei immer sehr liebenswürdig gewesen und habe viel versprochen, aber wenig gehalten. Außerdem kam der Zar, dessen deutsche Frau nach Kriegsbeginn angefeindet wurde, auf einen wunden Punkt Roerichs zu sprechen. Er fragte ihn nämlich, ob es sein müsse, dass es in der Kaiserlichen Gesellschaft so viele Künstler mit ausländischem Namen gebe.
Nikolai Roerich war natürlich viel zu geschickt, um seine Verstimmung jemals spüren zu lassen. Wie gut seine Stellung bei Hofe gewesen sein muss, zeigt eine Episode, die der Kunsthistoriker Lasarewski 1940 in einem Brief an den Kritiker Gollerbach berichtet hat. Sie soll 1915 oder 1916, mitten im Krieg, stattgefunden haben, als Sergej Diaghilew, ehemals einer der Köpfe der Welt der Kunst und nunmehr größter Ausstellungs- und Theatermacher Russlands, eine Ausstellung vorbereitete. »Roerich benutzte seine Stellung am Hof, seine Bilder schnell nach Zarskoe Selo [Kriegshauptquartier und Sommerpalast des Zaren] zu bringen. Ohne Diaghilew ein Wort zu sagen. Er zeigte sie dem Zar und seiner Frau, verkaufte etwas und stellte seine Bilder eine Stunde vor Öffnung der Ausstellung an ihren vorherigen Ort. Diaghilew und alle Mitglieder der Welt der Kunst waren wegen der Eskapaden Roerichs so aufgebracht, dass die Sache leicht hätte in Handgreiflichkeiten enden können. Aber Roerich wehrte den Schlag zynisch ab, indem er bemerkte, dass in Sachen Zarskoe Selo jeglicher Angriff dem Angreifenden sehr schlecht bekommen werde. Die Sache verlief im Sand.«52
Die Ehrungen, Ausstellungen und Erfolge Nikolai Roerichs in den Zeiten vor der Revolution waren kaum zu zählen. 1905 wurden seine Bilder in Prag, Wien, München, Berlin und Paris ausgestellt, und 1909 wurde er als Erster seiner Generation Mitglied der prestigeträchtigen russischen Akademie der Künste.
Doch am bekanntesten machten ihn seine Bühnenbilder. Zuerst dekorierte er am Marientheater in St. Petersburg, der wichtigsten Bühne des Landes, dann 1908 »Schneeflöckchen« an der komischen Oper in Paris und in den folgenden Jahren immer wieder in Paris und schließlich sogar London, wo 1914 am königlichen Opernhaus »Fürst Igor« in Roerichs Inszenierung aufgeführt wurde. Sein größter Erfolg und bleibendes Ärgernis war »Das Frühlingsopfer« von Igor Strawinsky. Idee und Libretto zu dem Stück – zur Beschwörung des Frühlings wird ein junges Mädchen von ihren steinzeitlichen Stammesgenossen geopfert – gingen zweifellos auf Roerich zurück. Auch die Bühnendekoration und die Kleidung der Tanzenden entstammten seiner Feder.
Igor Strawinsky schrieb zu dem Stück eine neue, ungewohnte Musik, und dazu kam Nijinskis schockierende Inszenierung, der eigentliche Skandal bei der berüchtigten Pariser Premiere des Balletts am 29. Mai 1913 im Théâtre des Champs-Élysées. »Nijinski hatte Bewegungen choreografiert, die hässlich und eckig waren, Bewegungen, die das Gewicht des Tänzers betonten und nicht ihre Leichtigkeit, wie es die Grundsätze des klassischen Balletts verlangten.«53 Schon bei der Hebung des Vorhangs, als die Dekoration sichtbar wurde und die Tanzenden in den Blick kamen, ging ein solcher Lärm im Publikum los, dass die Musik kaum noch zu hören war.
Der bei der Premiere anwesende Nikolai Roerich war, wie er am nächsten Tag an Helena schrieb, hocherfreut.54 Er verglich den Skandal mit den ersten Reaktionen auf Wagners neue Opernmusik, die man anfänglich auch heftig abgelehnt habe. Und er hatte recht. »Das Frühlingsopfer« sollte sich als Kunstwerk erweisen, das seine Eindringlichkeit bis heute nicht verloren hat. Doch ausgerechnet dieser bekannteste Beitrag Roerichs zur Kunst des 20. Jahrhunderts sollte ihm zeitlebens streitig gemacht werden. Igor Strawinsky, der »für solche Verzerrungen berüchtigt war«,55 wie der Historiker Orlando Figes schreibt, stritt nach dem Krieg jegliche Beteiligung Nikolai Roerichs an Idee und Libretto ab und behauptete seine alleinige Urheberschaft. Darüber wird sich Nikolai Roerich sein Leben lang ärgern und noch drei Jahre vor seinem Tod einen längeren Absatz in seinem Tagebuch schreiben.56
Am Vorabend des Ersten Weltkriegs strebte also Roerichs Ruhm seinem Höhepunkt zu. 1914 ernannte ihn der Zar zum wirklichen Staatssekretär, ein Posten, der in der zivilen Rangliste des Kaiserreiches dem eines Generals beim Militär entsprach und mit dem angenehmen Titel »Eure Exzellenz« verbunden war. Großfürstin Olga wollte ihren Liebling sogar zum Kammerherrn des Zaren ernennen lassen, aber Nikolai Roerich winkte bescheiden ab. Angeblich befürchtete er, dieser Posten, der rein zeremonielle Bedeutung hatte, würde ihn an der Arbeit hindern. In Wahrheit spürte er wohl, dass es besser war, sich in der rasch polarisierenden russischen Gesellschaft nicht zu eng mit dem Hof einzulassen.
Überhaupt vermied es der prominente Künstler, sich irgendwie politisch zu positionieren. Bis zur Revolution stand er bei Hof in hohem Ansehen, war aber auch mit Maxim Gorki, dem Schriftsteller und späteren Mitbegründer des »sozialistischen Realismus«, befreundet, und Alexander Blok, der vielleicht größte Poet seiner Zeit, Verfechter einer »skythisch-asiatischen« Sicht auf die russische Geschichte und Prophet der russischen Revolution, hielt Roerichs Bilder in hohen Ehren. Als Blok einmal gebeten wurde, eine Zeichnung Roerichs, die ihm der Maler geschenkt hatte, für einen Abdruck zur Verfügung zu stellen, antwortete er, er könne sich aus »gefühlsmäßigen Gründen«57 auch nicht für einen Moment von ihr trennen.
Roerichs größter Verehrer unter den Dichtern war Aleksej Remisow, der zwar nicht ganz die Bedeutung Alexander Bloks hat, aber doch in jeder Anthologie russischer Dichtkunst vertreten ist. Remisow war ein Slawophiler und wie Roerich der Meinung, ein Anknüpfen an die vorpetrinische Vergangenheit könne »Russlands Seele retten« und die gefürchtete Revolution verhindern. 1915 schrieb Remisow ein Gedicht zu dem 1907 entstandenen Gemälde »Die Route der Waräger«, der aus Skandinavien stammenden Begründer der Rus. »Die Route der Waräger« zeigte Drachenboote, die aus den Schären, den für die nördliche Ostsee typischen niedrigen Felseninseln, ins offene Meer hervorbrechen. Gemalt ist das Bild aus der Perspektive eines Kriegers auf einem Felsenhügel, der vor seiner Behausung, einem primitiven, mit Leder oder Baumrinde bedeckten Zelt, sitzt.
In dem Gedicht findet man die bemerkenswerten Zeilen:
»Nach einigen Jahrhunderten fand er sich wieder in Russland.
Doch er kam nicht vom Meer der Waräger, sondern aus der Stadt Kostroma
und ließ sich an der Moika nieder [dem Sitz der kaiserlichen Gesellschaft]
und es ist schon nicht mehr Rurik,
wie man ihn in Nowgorod gerühmt hat,
sondern Roerich.«58
Bleibt noch zu vermerken, dass das einfache Volk seine eigene Meinung zu »Urrussen« und »Warägern« wie Roerich hatte: Als 1914 eine antideutsche Welle durch Petersburg rollte, deutsche Geschäfte zerstört wurden und die Stadt in Petrograd umbenannt wird, brannte der Mob auch eine Galerie nieder, die so »deutsche« Künstler wie Roerich zeigte. Wie traumatisch dies für Roerich war, kann man daran ermessen, dass er darüber einige Jahre später eine autobiografische Geschichte schrieb. Proteste gegen diese oder andere Äußerungen eines extremen russischen Chauvinismus sind übrigens von Nikolai Roerich nicht überliefert.
Selbstredend war der Roerich der Petersburger Jahre niemand, der jemals durch eines der bekannten Laster schöpferisch tätiger Menschen aufgefallen wäre: Er trank und rauchte nicht, hatte keine außerehelichen Affären und kannte weder Schaffenspausen noch Ausbleiben seiner Inspiration. Dazu war er noch schriftstellerisch tätig, ungezählt seine Artikel zu Kunst und Kultur. Er war ein Meister der schönen Worte. 1903 lernte er die Fürstin Tennischewa kennen, eine idealistische Aristokratin, deren Ziel es war, die alte russische Volkskunst und das russische Kunsthandwerk wiederzubeleben, und zu diesem Zweck auf ihrem Landsitz Talaschkino im Nordwesten Russlands Schulen und Werkstätten gründete.
In diesem Zusammenhang schrieb Roerich folgende, für die Petersburger Zeit typische Zeilen: »Am heiligen Herd, weit entfernt von den Bazillen der Stadt, kreiert das Volk ohne sklavische Gefallsucht, ohne Stempel der Fabrik und schöpft mit Liebe und Muse. Wieder erinnert man sich an die Ratschläge der Vorfahren und die Schönheit und Haltbarkeit der alten Gegenstände. Durch das gute Vorbild werden bei der Jugend neue Bedürfnisse geweckt und verstärkt. Auch ohne Schnaps kann man einen Feiertag feiern, wenn ringsum solch wahrhaft anziehende, den Alltag überwindende Gegenstände geschaffen werden.«59
Heutige Kritiker allerdings bemängeln, bei den Hervorbringungen dieser Werkstätten, die sich in Europa großer Beliebtheit erfreuten, habe es sich weniger um authentische Volkskunst denn um die Simulation derselben gehandelt. Bekanntestes Beispiel sind die »urrussischen Matroschkas«, die »Puppen in der Puppe«, die keineswegs auf irgendeine Tradition, sondern schlicht auf einen Einfall von Sergej Maljutin, dem Meister der Werkstätten von Talaschkino, zurückgehen, den japanische Schachtelpuppen auf diese Idee gebracht hatten.60 Und Tennischewa selbst sollte in ihren Erinnerungen schreiben, die örtlichen Bäuerinnen »mochten unsere Farben nicht, sie seien zu fad«.61 Die Fürstin musste Prämien zahlen, um sie zur Arbeit zu bewegen.
Die Spannung zwischen den gegängelten Bauern und der zwar wohlmeinenden, aber letztlich herablassenden Adeligen sollte sich 1917 gewaltsam entladen, als die ehemaligen Untertanen der Fürstin den Landsitz, die Werkstätten und gleich auch noch eine von Roerich ausgemalte Kirche niederbrannten.
Von solchen Spannungen ist den Schriften Nikolai Roerichs nichts, aber auch gar nichts zu finden. Der Künstler warf sich in die Pose eines »Propheten der Kunst«, der inneren Veränderung des Menschen durch die »Schönheit«, die letztlich alle Widersprüche der Gesellschaft beseitigen werde. Beispielhaft sind diese 1908 geschriebenen Sätze: »Die wichtigste Rolle beim Erlangen von Harmonie im Leben spielt die Kunst. Eben sie bringt Freude an der Schönheit, Freude an der Erhellung des menschlichen Verstands mit sich. [...] Unter den Massenbewegungen sollte an erster Stelle die Wertschätzung der Arbeit stehen, deren Krone die Weiterverbreitung der Kunst und des Wissens ist. Außerdem sind dies die beiden Antriebe einer internationalen Verständigung, die die aufbegehrende Menschheit braucht. Kunst ist das Herz und Wissen das Gehirn des Volkes. Nur mit Herz und Weisheit kann sich die Menschheit vereinen und gegenseitig verstehen.«62
Wer sollte da widersprechen? Die Fürstin Tennischewa verehrte den »Propheten der Schönheit« als »Menschen, der im Geist lebt«, als »vom Funken des Schöpfers Auserwählten«, als »jemanden, durch den Gott die Wahrheit spricht«63, und für den Kritiker Gollerbach stand der Name Roerich »schon lange für einen ganzen Kosmos, für eine ganze Welt von Bildern mit tiefster Bedeutung, die der schöpferische Wille des Künstlers ins Leben gerufen hat. Seine Bilder sind beseelt von der Weisheit im antiken Sinne des Wortes: Sophia bedeutet Meisterschaft, die Fähigkeit etwas zu schaffen. Nicht umsonst heißen wahre Künstler bei Pindar und Aristoteles die Weisen.«64