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Kapitel 5

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Das Märchen und der Kreis

Nikolai Roerich jubilierte. Sein Vertrauen in Morya war belohnt worden und alle Zweifel verflogen. Die Voraussagen Moryas hatten sich bewahrheitet. Die ganze zweite Hälfte des Jahres 1922 war er in Hochstimmung. Am 5. Oktober schrieb er an seinen Sohn Juri, der inzwischen in Paris an der Sorbonne studierte: »Wir leben in einem verwickelten Märchen. Alles wächst! Jeder Tag ein Wunder!«26

Am 10. Oktober teilte er nach Paris mit, sie seien in eine Wohnung gezogen, deren Ausmaße der »Lehrer« vorgegeben habe, und wie glücklich er sei, dass er »Mama« endlich eine gute Wohnung und eine Dienstbotin bieten könne. »Überhaupt umgibt uns eine fantastische Kraft und alles ergibt sich wie im Wunder.« Verständlich, dass er nun jeden kleinen Ratschlag des »Lehrers« sehr ernst nahm. Im zweiten Teil des Briefes teilte er seinem Sohn noch mit, er habe sich erkältet, weil er nicht auf die Ratschläge des »Lehrers« gehört habe. Das bezog sich offensichtlich auf die Tagebucheintragung vom 6. Oktober. Wörtlich hatte der »Lehrer« mitgeteilt: »Ich habe bereits wegen der Gesundheit gemahnt. Heute habe ich [Roerich] vor einer Lungenentzündung gerettet.«

Am 23. April, kurz bevor er selbst nach Paris reisen sollte, schrieb er an seinen Sohn: »Hier ist es jetzt unsäglich schwer, Geld zu verdienen. Das sieht man an Muromzew, Seliwanow, Dymow, Derjuschinski und anderen. Alles was mit uns passiert, ist das reinste Wunder.«

Nicht nur Nikolai Roerich war in Hochstimmung und hatte das Gefühl, in einem »Märchen« zu leben. Das galt für den gesamten Kreis, den die Roerichs um sich bildeten.

Der Kreis, das waren, ganz wie in Märchen der Brüder Grimm, sieben Personen. Sieben Menschen, die in den nächsten Jahren all ihre Kräfte für die immer grandioseren und unwahrscheinlicheren Pläne Moryas einsetzen sollten.

Im Einzelnen waren das die beiden Horchs sowie Sinaida und Morris Lichtmann. Dazu kam Morris’ Schwester Esther Lichtmann, die seit der Jahrhundertwende in Deutschland Musik studiert, dort Krieg und Revolution erlebt hatte und erst 1921 mit Hilfe ihres Bruders in die USA gekommen war, und schließlich noch Sofie Shafran, die Mutter von Sinaida Lichtmann. Alle übrigens Juden, was nicht unbedingt zur Vergangenheit Nikolai Roerichs passte. Doch laut Morya hatte das durchaus seine Richtigkeit. Schon am 28. März 1922 hatte er mitgeteilt, dass Roerich recht habe, man müsse sich den Juden annähern, und schließlich, am 3. Oktober, verkündete er sogar, er rufe die Juden zu seiner Sache.

Die einzige Nichtjüdin im Kreis der Sieben war Frances Grant. Die gelernte Journalistin, sie hatte an der Columbia University in Manhattan studiert, stammte aus einer wohlhabenden angelsächsischen Familie, ein Onkel war Gesellschafter des Konzerns General Sugar, der zu dieser Zeit Kuba beherrschte. Sie war in Arizona aufgewachsen, wo sie perfekt Spanisch gelernt hatte. Sie war neben Nettie Horch auch die Einzige, die Englisch fehlerfrei schreiben konnte, wodurch ihr in den kommenden Jahren die Rolle der Lektorin von Nikolai Roerichs Veröffentlichungen und der Chef-Propagandistin der Sache Moryas zukam. Sie war eine energische und fähige Journalistin, aber auch so schwierig wie empfindlich. Mit ihrem vorstehenden Kinn und der untersetzten Figur war sie nicht gerade eine Schönheit. Sie blieb immer unverheiratet und setzte alle ihre Kräfte für die Roerichs ein.

Kam Grant die Vertretung Moryas und der Roerichs nach außen zu, so übernahm Sinaida Lichtmann die Vertretung nach innen. Sie war die besondere Vertraute der Roerichs und im Zweifelsfall Interpretin ihrer Worte gegenüber den Horchs, die kein Russisch sprachen. Unterstützt wurde sie in dieser Rolle durch ihre Mutter Sofie Shafran, die häufig Visionen hatte, die die Standpunkte ihrer Tochter immer wieder aufs Erstaunlichste bestätigten. Da Helena Roerich die Visionen der Sofie Shafran als von der »richtigen Quelle« kommend bekräftigt hatte, war es indirekt sie, die in Abwesenheit der Roerichs das Regiment führte.

Das Märchen, die Wunder, von denen Nikolai Roerich in dem Brief an seinen Sohn geschrieben hatte, bestanden nicht nur in dem plötzlichen materiellen Aufschwung der Familie. Es spielten sich tatsächlich Dinge ab, die geeignet waren, auch den größten Skeptiker umzustimmen. Hier kommen wir zum schlechthin Unerklärlichen, dem wirklichen Rätsel der Wirkung Moryas. Nicht seine Prophezeiungen und weisen Worte.

Es ist das, was bei den Séancen geschah, die der Kreis ab dem Sommer 1922 abhielt. Im Tagebuch von Sinaida Lichtmann kann man nachlesen, wie vorsichtig die Roerichs nunmehr mit der Zulassung neuer Teilnehmer waren. Offensichtlich sollte ein weiteres Fiasko, wie mit den emigrierten Russen, vermieden werden. Doch dann passierten Dinge, die tatsächlich jenseits allen menschlichen Verständnisses waren und die Anwesenden, aber vor allem den nüchternen Louis Horch, zutiefst beeindruckten. Nicht nur einmal, sondern immer wieder.

Als ein herausragendes Beispiel von mehreren, die man dem Tagebuch von Sinaida Lichtmann entnehmen kann, sei eine Séance genannt, die am Abend des 6. Dezember 1922 in der Wohnung der Horchs stattfand.

Sie begann reichlich konventionell damit, das Nikolai Roerich automatisch zu zeichnen begann. Vermutlich genauso oder ähnlich, wie es Schibajew aus London beschrieben hat. Der Künstler »drehte den Kopf zur Seite, bedeckte das Gesicht mit der linken Hand, hielt mit der rechten Hand den Bleistift über dem Papier und begann zu zeichnen«.

Doch weiter mit der Tagebucheintragung von Sinaida Lichtmann: »NK zeichnete einen Kelch, Schlangen und einen Ring in einem Kreis. Eine erstaunlich schöne Zeichnung und voller Bedeutung, denn uns wurde befohlen, daraus für uns alle acht Ringe zu machen und 170 Abdrücke auf Pergament mit diesem Zeichen zu bestellen und sie an Menschen weiterzugeben, die uns noch aufgezeigt werden würden. Dieses Zeichen ist dazu gedacht, Mitglieder in anderen Ländern zu erkennen.«

Dann kamen die anderen Teilnehmer der Séance an die Reihe und begannen gleichfalls automatisch zu schreiben. Als auch dieser Teil schließlich beendet war, da fing es an: »Nachdem wir alle geschrieben hatten, saßen wir in der Dunkelheit und der Tisch begann sich sehr schnell zu drehen. Als uns befohlen wurde aufzustehen, machten wir das Licht an und erblickten eine bemerkenswerte Erscheinung. Der Tisch, um den wir gesessen hatten, drehte sich mit hoher Geschwindigkeit und blieb nirgendwo hängen, obgleich er zur Hälfte auf einem Teppich stand. Als wir dann selbst versuchten, ihn zu drehen, gelang es um keinen Preis, denn der Teppich störte.«

Man könnte die Tagebucheintragungen von Sinaida Lichtmann abtun, wäre da nicht auch das Zeugnis von Louis Horch. In seinem Nachlass im College von Amherst, Massachusetts, findet man den Satz: »›Botschaften‹ kamen bei den Séancen durch das Klopfen der Buchstaben des Alphabets. Ich war bei Séancen anwesend, bei denen es zu physischen Erscheinungen kam, wie ein schwerer Tisch [im Original unterstrichen], der durch die Luft (weit über dem Boden) flog.«27

Ebenfalls in Amherst, in einem kleinen, typisch amerikanischen Familienhaus, das Oreole Feshbach, der nunmehr achtzig Jahre alten Tochter der Horchs, gehört, steht ein massiver, kaum anzuhebender Mahagonischreibtisch, an dem Louis Horch Anfang der zwanziger Jahre seine Korrespondenz erledigte. Als Oreole irgendwann nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Vater fragte, wie er so fest an die Roerichs habe glauben können, zeigte der ehemalige Makler auf diesen Tisch und erklärte, er habe mit eigenen Augen gesehen, wie dieser durch die Luft geflogen sei. Danach habe er begonnen, an die Roerichs zu glauben.28

Ähnlich unerklärliche Phänomene sind nicht nur von Louis Horch und Sinaida Lichtmann und nicht nur vom Anfang der zwanziger Jahre überliefert. Im Tagebuch von Esther Lichtmann, das sie von 1929 bis 1934 führte, findet man gleichfalls eine Reihe von außerordentlichen, völlig unerklärlichen Begebenheiten. So am 12. April 1929, als sich der Tisch aus dem Zimmer in das nächste bewegte und schließlich sich sogar umdrehte, so dass die Füße nach oben standen.

Diese Phänomene gingen mit einer Atmosphäre freudiger Erwartung einher. Morya verkündete, die Bruderschaft werde die Herrschaft in Russland übernehmen und Nikolai und Helena Roerich seien auserwählt, bei der kommenden Transformation des Landes, ja der ganzen Welt, eine entscheidende Rolle zu spielen. Die Zeit sei gekommen, da die Bruderschaft mittels des Künstlers und seiner Frau ein neues Zeitalter einleiten würde.

Als Esther und Morris Lichtmann fragten, ob man nicht die alten Eltern aus der Ukraine holen sollte, teilte Morya am 18. Januar 1923 mit, die Eltern sollten bleiben, wo sie seien. »Ich selbst werde allen die Staatsbürgerschaft geben. 24 – Ich habe die Frist gesetzt. Schreibt dem Vater, dass Russland bald ein besserer Ort sein wird.«

Morris Lichtmann, ein gläubiger Jude und genauer Kenner des Talmud und der Kabbala, glaubte Morya aufs Wort. 1923 verfasste er eine Schrift, in dem er das baldige Kommen des Messias voraussagte. Als sie erschien, wurde der Mahatma von den Roerichs, die sich gerade in Frankreich befanden, nach seiner Meinung gefragt. Doch Morya hatte nichts einzuwenden. »›Verurteilt nicht Avirach [esoterischer Name von Morris Lichtmann], der Nutzen des Artikels überwiegt den Schaden.‹ (Erhielten den Artikel über den Messias, und wir erschraken uns ein wenig – ist er denn nicht vielleicht zu früh geschrieben worden?) Ich sah Menschen, die ihn mit Tränen gelesen haben. Besser wegen der Tränen die Schmälerung ertragen. Urusvati versteht die Heldentat. Den Gois soll man den Namen nicht zeigen, aber den Wartenden, denke ich, kann man.«29

Der ganze Kreis, und auch der anfangs eher zurückhaltende Louis Horch, teilte die Hochstimmung, die Heilserwartung, die Morris Lichtmann in seiner Schrift ausgedrückt hatte. Ab Mitte September 1922 – Frances Grant zusammen mit Nettie Horch sogar noch zwei Monate früher – begannen alle Teilnehmer der Séancen oder, wie es im Kreis hieß, der »Gespräche« mit Morya, automatisch zu schreiben. Frances Grant und die Horchs auf Englisch, das Ehepaar Lichtmann und Sofie Shafran auf Russisch und Esther Lichtmann auf Deutsch. Diese Niederschriften, die den Jüngern der Roerichs als heilig galten, sind sämtlich noch vorhanden. Verblüffend ist, wie sehr sie sich – und egal in welcher Sprache – untereinander ähneln und wie sehr sie in Duktus und Inhalt den automatischen Schreiben Nikolai Roerichs und den durch Helena übermittelten Botschaften Moryas entsprechen. Man findet hier dieselbe Verwendung biblischer Ausdrücke, den feierlichen Ton und sogar die gleichen konkreten, aber völlig utopischen und irrealen Prophezeiungen.

Den Anfang machte Frances Grant. Am 7. Juli 1922 schrieb sie: »M. hört deine Pläne und billigt sie. K.H. und M. sind einverstanden. Sei unbeirrt in deiner Hingebung, viele sind gescheitert. M. wird deinen Plänen helfen. Die Zukunft wird die Ergebnisse deiner Hingebung zeigen. M. und K.H. vergessen nicht. [...] Meine Krieger tragen das Banner des Erzengels Michael. Und sie werden die Dunkelheit aus den Seelen der Menschen verbannen.«

Die Nächste war Nettie Horch, der M.M. (Master Morya) folgende Sätze eingab: »Die Liebe sei dein Leitfaden. [...] Deine Worte kommen von mir. Hab Vertrauen in Mich [im Original großgeschrieben]. Zwischen den Arbeitern soll Einigkeit sein. [Gemeint sind die Mitglieder des Kreises]. Sei freundlich zu allen. Du wirst deine Aufgabe in der Zukunft bekommen. Habe Geduld.«30

Ab dem 19. September schrieben dann alle, die bei den Sitzungen mit Morya anwesend waren, welche mindestens einmal die Woche und manchmal auch öfter stattfanden. Besonderen Reiz haben die Botschaften, die Esther Lichtmann auf Deutsch bekam, da in ihnen noch die Ausdrucksweise der zwanziger Jahre mitklingt. Auch hatte Esther Lichtmann eine poetische Ader. Während sich M.M. bei Nettie und Louis Horch mit eher nüchterner Prosa ausdrückte, fand er bei Esther zu schwärmerischer Höchstform.

»Und die Decke zu niedrig und nicht genug Raum für alle Suchenden. 1924. Die Übergangsstufe wird zum Tempel führen und hoch wird der Tempel sein. Du Roerich [im Original das Monogramm Roerichs], der Auserkorene, der überall Licht ausstrahlt, wirst der Menschheit das Tor zum ewigen Licht öffnen und gedeihen wird Deine Arbeit. Es ist sein Wille. Deine Seele ist groß und groß ist der Zweck Deines Daseins. Deine Erben sollen weiter schaffen. Erwachen beginnt. Unser Schild wird stets über Euch schweben. Segen den Versammelten.«31

Es ist vielleicht kein Zufall, dass man in den Niederschriften Esther Lichtmanns, die wie ihr Bruder Morris und ihre Schwägerin aus dem tiefgläubigen Ostjudentum stammte, immer wieder den Begriff des Tempels findet:

»Heil Euch [im Original großgeschrieben]. Heil dem Tempel. Heil den Leitern. Kein Wort soll aus deren Geiste verloren gehen. Lernt, lernt, lernt in Inbrunst und in Liebe. Unser Schild ist über Euch.«32

Und die Erwartung des Messias, dessen Kommen ihr Bruder später beschrieb, sie findet man auch in den Botschaften, die Esther Lichtmann bekam: »An die sechs Schüler. Vom Osten wird die Verkündigung des Heils der Menschheit kommen, aber das ist nicht die Gegenwart – das wird in Zukunft geschehen. In Gegenwart seien Eure Lehrer Urusvati und Fujama, die Verkünder der Wahrheit, Schönheit und wahren Kunst. Die höhere Lehre genießt. Macht Euch bereit zum Empfang derer, die zur Verkündigung des großen Loses der Welt und Befreiung des armen Menschentums gewählt sind. Machtlos werden die Verräter des Großen sein, denn der zerstörende Geist den heiligen Bau nicht zu vernichten vermag.«33

Es wäre ein Wunder gewesen, wäre Nikolai Roerich, der von Natur aus nicht zur Bescheidenheit neigte, von der Anbetung seiner Anhänger unbeeindruckt geblieben. Als Ende 1922 Pläne auftauchten, ein Museum mit seinen Werken zu eröffnen, schrieb er an seinen Sohn in Paris, dies werde das einzige Museum in den USA werden, das einem einzigen Künstler gewidmet sei.34 So wie das Museum für Rodin in Frankreich.

Tatsächlich wurde das Roerich-Museum 1923 eröffnet. Und auch noch die »Master School of Arts« und »Corona Mundi«, die zu dem bereits existierenden »Cor Ardens« hinzukamen. Das war der Anfang eines Wildwuchses an Gesellschaften, der Außenstehenden, so dem State Department und dem britischen Geheimdienst, noch einige Rätsel aufgeben sollte. Im Tagebuch der getreuen Sinaida Lichtmann liest sich die Genese so: »Die Idee und die Bezeichnung Corona Mundi sind auf erstaunliche Weise ins Leben gerufen worden. Den Gedanken einer solchen Gesellschaft hatte NK den ganzen Winter mit sich getragen, und eines Tages im Mai erzählte er EI beim Aufwachen von dem Namen und dem ganzen Plan, der ihm zweifellos von den Lehrern geschickt worden ist. Cor Ardens, ›das flammende Herz‹ – das Herz soll entflammen, als einziger Weg. ›Master School of United Arts‹ – nachdem das Herz entflammt ist, entsteht die Schule des Meisters. Corona Mundi – als Resultat dieser Schule entsteht Corona Mundi, wie das bereits MM gesagt hat: ›Ich habe die Krone gegeben. Die kosmische Schöpfung ist in allem logisch, in allem einfach.‹«

Prosaischer ausgedrückt, war Cor Ardens nicht viel mehr als ein Briefkopf, in dem der Name Roerich in Zusammenhang mit den Namen einer Reihe prominenter Persönlichkeiten wie Rabindranath Tagore gebracht wurde. »The Master School of United Arts«, war eine private Kunst- und Musikschule, wie es viele in New York gab, und Corona Mundi letztlich nichts mehr als eine Kunsthandelsgesellschaft, in die Nikolai Roerich nicht nur seine Expertise als Sammler, sondern auch seine Verbindungen in die Welt der russischen Emigranten einbringen sollte. Einige von ihnen, so der Rasputin-Mörder Fürst Jussupow, hatten einen Teil ihrer Sammlungen aus Petersburg retten können und waren jetzt gezwungen, sie zu verkaufen.

Doch die drei Gesellschaften zusammen konnten beeindrucken. Besonders nachdem Louis Horch das nötige Geld zur Verfügung gestellt hatte, um in allen wichtigen Zeitungen Anzeigen zu schalten und endlich die Räumlichkeiten der Schule zu renovieren und neue Möbel und Instrumente zu beschaffen. Noch viel mehr Eindruck machten die mystischen Bilder Nikolai Roerichs, die in der Schule aufgehängt wurden, und die Aura, die ihn und seine Frau umgab. Wie sich Louis Horch erinnern sollte, gab er sich meist wortkarg, und wenn, dann sprach er ausweichend und in jenem prophetischen, hohen und dunklen Ton, den man aus seinen Gedichten und den Worten Moryas kennt. Auch beeindruckte er mit seiner auffallenden Erscheinung, dem polierten Schädel und langen Kinnbart und seiner ernsten, gewichtigen Miene, über die, zumindest in der Öffentlichkeit, nie ein Lächeln kam.

Er kultivierte die Aura des Sehers, der Dinge wusste, die gewöhnlichen Sterblichen (noch) verborgen waren. Tatsächlich gelang ihm die Selbststilisierung so gut, dass Zeitgenossen die »asiatische Gesichtsform« eines Mannes herausstellten, den Fremde in Petersburg noch für einen Norweger oder Deutschen gehalten hatten.35

Helena Roerich, die dank des Geldes von Louis Horch endlich wieder ihrer Liebe zu einer teuren Garderobe frönen konnte, machte eine glänzende Erscheinung und nahm Außenstehende mit ihrem herrlich russisch akzentuierten Englisch ein.

In dem knappen Jahr, das von der Bekanntschaft mit Louis Horch bis zum Aufbruch der Roerichs in Richtung Tibet verging, wurde das Ehepaar mit einer Reihe von bedeutenden Persönlichkeiten bekannt. Mit Charles Crane, einem ehemaligen Botschafter in Russland und Freund des tschechoslowakischen Staatspräsidenten, der beste Verbindungen nach Washington hatte, mit Senator Borah, der ab 1925 als Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Beziehungen amtierte, und mit den beiden schwerreichen jüdischen Bankiers Lionel Sutro und Adolph Lewison. In der Erinnerung von Louis Horch war es gewöhnlich Nikolai Roerich, der durch seine Kunst die Verbindung zu Personen vom Kaliber eines Charles Crane herstellte. Im Allgemeinen blieb es bei dem Kauf eines Bildes und der Versicherung gegenseitiger Wertschätzung, aber hin und wieder wurde mehr daraus. Dann kam Helena Roerich ins Spiel. »Wenn ein besonders vielversprechender Kandidat am Horizont auftauchte, wurde er Madame Roerich vorgestellt, die es wirklich verstand, letzte Hand anzulegen!!! Sie sprach von Madame Blavatzky und den großen geistigen Lehrern des Ostens, mit denen sie in Kontakt sei, und wenn sie dann den Entsprechenden wieder traf, hatte sie bereits eine Botschaft des Mahatma an ihn, was gewöhnlich eine außerordentliche Wirkung zeigte.«36

Es gelang, noch einige weitere, vor allem weibliche Unterstützer der Sache Moryas zu finden. So Florentina Sutro, die Ehefrau Lionels, aber keiner sollte je auch nur annähernd so viel Geld zur Verfügung stellen, wie dies Louis Horch tat.

Von ihm flossen Unsummen Geldes, die er allesamt akkurat notierte. Im Frühjahr 1923 erwarb er am noblen Riverside Drive an der Upper West Side in Manhattan drei nebeneinanderliegende mehrstöckige Gebäude, in denen die Schule sowie das Museum untergebracht wurden. Allein für diese Gebäude gab er 300000 Dollar aus. Der heutige Wert der Immobilien dürfte 10 Millionen Dollar weit übersteigen. Dazu kaufte er »zur Einrichtung des Museums« Bilder von Nikolai Roerich, für die er bis Ende der zwanziger Jahre insgesamt 140000 Dollar ausgeben sollte. Schließlich »lieh« er dem Künstler allein bis zum September 1923 einen Betrag von über $100000.37

Da Louis Horch auch im Angesicht des Höchsten und selbst im direkten Kontakt mit den Mahatmas alte Gewohnheiten nicht lassen konnte, ließ er sich diese, wie auch alle folgenden Summen quittieren. Eine Vorgehensweise, die Helena Roerich Sorgen bereitete. Aber Morya beruhigte sie. »Ihr könnt das Geld von Horch annehmen, denn durch euch steht er unter meinem Schutz. Ihr könnt das Geld von Horch annehmen, denn ihm wurde ein Talisman gegeben. Ihr könnt das Geld von Horch annehmen, denn ihm wurde ein Schatz gegeben.«38

Nikolai Roerich: Kunst, Macht und Okkultismus

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