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Kapitel 7

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Der Mann mit der Maske

Wenn man sich durch die Artikel liest, die von und über Nikolai Roerich im Petersburg der Zarenzeit erschienen sind – seine Anhänger haben sie in mehreren Bänden herausgegeben –, so könnte man beinahe denken, hier habe ein Heiliger gewirkt. Hier finden wir nicht nur Lobeshymnen Gollerbachs und anderer Kritiker, hier sind auch die zahlreichen Aufrufe Nikolai Roerichs zu Schönheit und Kultur zusammengetragen.

Tatsächlich war Nikolai Roerich ein begnadeter Leiter seiner Kunstschule, die bald nur noch Roerichschule hieß. Er beendete die Bevorzugung höherer Kreise, nahm Schüler allein nach Eignung auf, erweiterte die Schule um verschiedene Zweige des Kunsthandwerks und erwies merkantiles Geschick, indem er einen blühenden Handel mit Postkarten aufzog, die in der Schule hergestellt wurden. Nicht zu vergessen, dass er auch den musikalischen Zweig der Schule förderte, der bis dahin eher vernachlässigt worden war. Genauso unzweifelhaft ist sein Eintreten für die Erhaltung der Überreste des russischen Mittelalters, die von der beginnenden Industrialisierung gefährdet wurden.

Aber bei all den Hymnen muss man etwas sehr Wesentliches bedenken: Nikolai Roerich war auch ein Meister der Manipulation und jemand, der sein »Image« immer genauestens im Auge behielt. So lesen wir in dem bereits zitierten Brief von Lasarewski an Gollerbach: »Nichts Menschliches war Roerich fremd. Er hielt enge Verbindung mit Leuten von der Börse und Geschäftemachern des alten Petersburg vom Typ Manus [Industrieller und Bankier] und Rubinstein [bedeutender Petersburger Bankier, gehörte zur Umgebung Rasputins] und zog daraus eine Überfülle von irdischen Segnungen. Aus seiner Freundschaft mit Rumanow, Ksjunin oder Manuilow wusste er bestens Bescheid, was hinter den Kulissen der damals einflussreichen Presse vor sich ging, und zog daraus sehr großen Gewinn. Er war ein sehr stiller Typ.«

Tatsächlich waren seine Verbindungen so gut, dass es ihm gelang, Rezensionen eigener Werke und Interviews mit sich selbst zu verfassen und dann unter anderem Namen zu veröffentlichen. Schließlich konnte er auch direkt gefährlich werden, wenn er das sorgfältig gepflegte Bild des »Propheten der Schönheit« in Gefahr sah. Er scheute vor keiner Klage zurück, kannte aber auch andere Mittel. So in Sachen der Affäre mit den Bildern für Zarskoe Selo. Wir erinnern uns, Roerich hatte seine Bilder, ohne ein Wort zu sagen, aus einer Sammelausstellung genommen, sie dem Zaren gezeigt und dann schnell vor Eröffnung wieder zurückgestellt.

Aber damit war die Geschichte noch nicht zu Ende. Lasarewski berichtet, nach einiger Zeit habe Roerich erfahren, der Redakteur einer einflussreichen Moskauer Zeitung, der ihm so oder so nicht sehr wohlgesonnen war, wolle etwas über das Vorgefallene veröffentlichen.

»Der Redakteur der Petersburger Ausgabe war Jude und lebte in der Hauptstadt nicht ganz legal. [Juden durften sich in den Städten Petersburg und Moskau nur mit Sondergenehmigung ansiedeln.] Roerich tauchte bei dem Redakteur auf und forderte, den Artikel nicht zu veröffentlichen. Der Redakteur weigerte sich, denn er fand ihn interessant. Als er sah, dass er so nicht zum Ziel kam, sagte ihm Roerich ruhig, wenn der Redakteur ihm nicht zusichern würde, den Artikel nicht zu veröffentlichen, werde er sich sofort an die richtige Stelle wenden, um mitzuteilen, dass der Redakteur in Petersburg als angeblicher Verkäufer lebe, aber in Wirklichkeit einer völlig anderen Sache nachgehe und dabei noch in der Presse tätig sei. Was blieb dem Redakteur da noch übrig. Die Anmerkung wurde vernichtet.«

Dieser andere Roerich tritt uns auch in den Briefen an seine Frau entgegen. Wie zu Anfang ihrer Beziehung schrieb er ihr fast jeden Tag einen Brief, wenn er auf Reisen war, und er war viel auf Reisen: 1906 durch Italien und die Schweiz, 1907 in Frankreich, 1908 zur Kur in Bad Neuenahr, 1911 wieder in Bad Neuenahr und 1913 schließlich zur Premiere des »Frühlingsopfers« in Paris. In den Briefen sucht man vergeblich nach Spirituellem, dem Streben nach dem Hohen, Schönen und Guten. Zum einen beschäftigte ihn seine Karriere, besonders seine internationale, denn in Russland war er längt anerkannt.

Dann geht es in den Briefen um Geld, immer wieder um Geld. Roerich rechnete jede seiner Ausgaben auf den Pfennig, die Kopeke oder den Sous ab und machte sich Sorgen um Aktien, mit denen er spekulierte. Dabei war er keineswegs arm. Er stieg in guten Hotels wie dem Westphälischen Hof in der Neustädtischen Kirchstraße im Nordwesten Berlins ab, der, wie wir auf dem Briefpapier des Hotels lesen, über »elektrisches Licht« und einen »elektrischen Aufzug« verfügte, hielt sich zweimal in dem noblen Kurort Bad Neuenahr auf und hatte genug Geld, um mehrmals die wichtigsten Länder Westeuropas zu besuchen. Schließlich legte er noch vor der Revolution eine Sammlung mit 300 Bildern alter Meister an, darunter Tizian, Rembrandt und Breughel. Welche Bedeutung für ihn Geld hatte und wie er vorging, um sein Vermögen zu mehren, lässt sich aus den Briefen an seine Frau ablesen. Im Juni 1911 schrieb er ihr in seinem ersten Brief aus Bad Neuenahr, nie hätte er eine solche Ansammlung von Missgeburten wie hier gesehen, und weiter, die Juden oder Jüdchen [Roerich benutzte die abwertende Bezeichnung Schidi, oder Schidki] hätten hier alles in der Hand. In dem nächsten Brief jedoch lesen wir, er habe die »Jüdchen« mit seinen Reden für sich eingenommen und die glaubten jetzt sogar, er sei einer der ihren. Und weiter heißt es, das sei gut, denn er werde jetzt Gelegenheit haben, von den »Jüdchen« gute Börsentipps zu bekommen.

Mit ähnlicher Berechnung ging er vor, um sich die wichtigsten Mäzene Russlands geneigt zu machen. Tennischewa hatte er schon in der Tasche, und der wichtigste Mäzen von allen, der Zar, war ihm auch zugetan. Und doch machte er sich offensichtlich Sorgen um die Gunst des Herrschers. In einem Brief aus Bad Neuenahr, in dem es zuerst um Geldprobleme ging, schrieb er ihr dann zum Schluss als »gute Neuigkeit«: »Habe gestern die ganze Nacht vom Zaren geträumt. Er war schrecklich freundlich zu mir.«65

Nicht überall kam Roerich gut an. Interessant ist der Fall Schtscherbatow, ein hoher Adeliger und einer der wichtigsten Förderer der Künste, den Nikolai Roerich in den Briefen an seine Frau mehrmals erwähnt hat. Einmal heißt es, mit der Tennischewa habe er erörtert, wie man Schtscherbatow für gemeinsame Unternehmungen heranziehen könne, und ein anderes Mal besuchte er ihn persönlich, doch der Fürst habe ihn zwar »geküsst und gemeint, es solle kein Schatten zwischen ihnen sein, aber doch kein Bild gekauft«.66 Schtscherbatow wiederum hat in seinen Erinnerungen dieses eindringliche Porträt Roerichs hinterlassen: »Eine völlig andere, aber ebenso einmalige Figur unter den Künstlern Petersburgs war der geheimnisvolle Roerich. Er drang in verschiedenen Sphären, einschließlich die des Hofes, schnell und gekonnt, mit Berechnung und Feingefühl ein. Er wusste die richtigen Worte zu gebrauchen, um das Ziel, das er im Auge hatte, zu erreichen und Karriere zu machen.

Für Roerich war ich immer Fürst Schtscherbatow, und ich fühlte und es belastete mich, dass er offensichtlich die Rolle eines Freundes spielen wollte und immer sehr freundlich und interessiert zu mir war.

Als Mensch war er zweifellos ein schlauer, durchtriebener, echter Tartuff, einnehmend, zuvorkommend, glatt, verlogen, einschmeichelnd, eher ungut, immer mit sich selbst im Kopf und äußerst ehrgeizig. Über ihn kann man sagen, er war ein geborener Intrigant. Er hatte buchstäblich eine Maske aufgesetzt, und sein wahres Lachen ließ er niemanden erblicken. Es war immer etwas Geheimnisvolles in seinem hellen, milchfarbenen Gesicht mit den rosa Wangen, den akkurat gekämmten Haaren und Bart. Er war nördlichen, norwegischen Typs und bemerkte dunkel, dass sein Familienname mit dem Namen Rurik verbunden war. Wie, das war nicht ganz verständlich.

Roerich war zweifellos talentiert, und genauso ohne Zweifel war seine heiße Liebe zur Kunst. [...] Er war ein hervorragender Zeichner, hatte ein unbestechliches Gefühl für Farben, und es fehlte ihm nicht an Fantasie oder besser Erfindungsgeist, obgleich man in vielen seiner Gemälde etwas Aufgeblasenes und Gekünsteltes spürt.«67

Seine Genossen von der malenden Zunft sahen ihn ähnlich. Für den Maler Serow war Roerich ein »typischer Petersburger Karrierist«68, und sein Altergenosse und ehemaliger Mitstudent an der Kunstakademie Grabar, der sich in seinen Erinnerungen bewundernd über Roerichs Fähigkeit zur Arbeit und anerkennend zu dessen Bildern äußern sollte, schrieb an anderer Stelle: »Roerich war für uns alle ein Rätsel. Ich weiß nicht jetzt und ich habe es auch niemals gewusst, wo der wahre Roerich aufhört und wo die Pose, die Maske, die rücksichtslose Vorstellung beginnt, die darauf berechnet ist, unter der Maske des Weisen den Zuschauer, den Leser und Käufer einzufangen. Aber dass diese zwei Elemente, die Wahrhaftigkeit und die Lüge, die Aufrichtigkeit und die Falschheit im Leben und in der Kunst Roerichs untrennbar verbunden sind, [...] daran kann es keinen Zweifel geben.«69

Nikolai Roerich: Kunst, Macht und Okkultismus

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