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Kapitel 4

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Die Eroberung der Neuen Welt

Das Wunder hatte einen Namen und hieß Louis Horch. Louis Horch wurde 1888 in New Orleans als Sohn eines jüdischen Einwanderers aus Elsass-Lothringen geboren und trug ursprünglich, wie sein Vater, den Namen Levy. Doch dieser starb bald nach der Geburt, und die Mutter heiratete einen Deutschen mit Nachnamen Horch und zog mit ihm und dem kleinen Louis nach Mannheim. Der Namenswechsel von Levy zu Horch wäre an sich bedeutungslos, hätten seine Feinde diesen Namenswechsel nicht später als »typisch jüdische« Camouflage ausgelegt und ihn gehässig nur bei seinem »wahren Namen«, nämlich Levy, genannt. Doch der Namenswechsel sollte erst Jahrzehnte später Bedeutung erlangen. Seine Verbindung nach Deutschland dagegen viel früher.

Als Louis Horch 18 Jahre alt war, kehrte er in die USA zurück und begann an der Wall Street zu arbeiten. Die Wall Street wurde zu dieser Zeit von Bankiers angelsächsischer Herkunft beherrscht, an deren Spitze das legendäre House of Morgan stand. In der zweiten Reihe, aber kräftig nachdrängend, standen Bankiers deutsch-jüdischer Herkunft, mit Kuhn & Loeb als wichtigstem Institut. Die Sphären waren streng getrennt. An den Eliteuniversitäten Harvard und Princeton, aus denen die Wall Street ihren Nachwuchs rekrutierte, gab es eine Quote für jüdische Studenten, die nicht überschritten werden durfte, und die exklusiven Clubs in Manhattan, in denen viele der wichtigsten Deals ausgehandelt wurden, nahmen Juden erst gar nicht auf.

Doch dafür unterhielten Kuhn & Loeb, sowie die anderen jüdischen Banken, hervorragende Beziehungen zur deutschen Industrie, die vor dem Ersten Weltkrieg gerade dabei war, die Märkte der Welt zu erobern. Nicht zu vergessen auch die zahlreiche deutsche Diaspora in den USA mit ihren deutschen Schulen, Zeitungen und Wohlfahrtseinrichtungen. Louis Horch, der akzentfrei Deutsch sprach, stieg in dieser deutsch-jüdischen Bankwelt rasch auf und wurde Teilinhaber einer auf Devisen spezialisierten Maklerfirma.

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs kam es zu einem heftigen Tauziehen zwischen der angelsächsischen Fraktion, mit der Morgan Bank an der Spitze, und den deutschfreundlichen Bankern, die von Kuhn & Loeb angeführt wurden. Die Morgan Bank, die mit ihrer Filiale Morgan Grenfell auch am Londoner Finanzplatz bestens repräsentiert war, trat von Anfang an für den Kriegseintritt der USA ein und finanzierte Rüstungseinkäufe der Briten. Kuhn & Loeb dagegen arbeitete eng mit deutschen Vertretern zusammen, half dem Deutschen Reich wichtige Rohstoffe über Drittstaaten zu importieren und versuchte alles, um die USA neutral zu halten.

Als die USA dann 1917 doch in den Krieg eintraten, erlitt nicht nur das deutsche Vereins- und Schulwesen einen Rückschlag, von dem es sich nie mehr vollständig erholen sollte, auch die deutschfreundliche Fraktion an der Wall Street geriet schwer unter Druck.

Es gab Untersuchungen gegen Kuhn & Loeb, die das Bankhaus stark in Bedrängnis brachten und erst nachließen, als sich ihr Leiter, der in Mannheim geborene Otto Kahn, zur alliierten Sache bekehrte. Vermutlich derselbe Otto Kahn, der 1921 Nikolai Roerich einen jener Kredite gab, die der Künstler dann nicht zurückzahlen konnte. Das ist umso wahrscheinlicher, als Otto Kahn auch ein bekannter Philanthrop und Mäzen der Metropolitan Opera war.23

Andere Financiers hatten nicht so viel Glück wie die Gesellschafter des einflussreichen Bankhauses und wanderten wegen »Kollaboration mit dem Feind« ins Gefängnis.

Louis Horch war mit den Gesellschaftern von Kuhn & Loeb, wie auch mit anderen jüdischen Bankiers, die in den umstrittenen Geschäften mit Deutschland eine Rolle gespielt hatten, gut bekannt und teilweise sogar geschäftlich verbunden. Das geht aus den umfangreichen Untersuchungen des State Department in Washington hervor, das sich in den zwanziger Jahren mehrmals auf die Fährte eines weiteren Angehörigen einer »Feindnation« begeben sollte, mit dem sich Louis Horch aufs Engste verbunden hatte. Auf die Nikolai Roerichs nämlich, wobei ein »Special Agent« der Frage nachging, woher der russische Maler auf einmal so viel Geld bekommen hatte. Obgleich das State Department einige Energie darauf verwendete, dem Makler entweder eine nebulöse Verschwörung mit deutschfreundlichen Blockadebrechern aus dem Ersten Weltkrieg oder russischen Kommunisten nachzuweisen, musste man schließlich einräumen, dass es vermutlich wirklich Horch und er allein war, der den großen Geldbedarf des »Propheten der Kunst und Kultur« gestillt hatte.

Die Untersuchungen Washingtons blieben dem mehrmals befragten Louis Horch nicht verborgen, und möglicherweise auch nicht der antisemitische Tenor, der in den Unterlagen deutlich spürbar ist.24 Kein Wunder, dass Louis Horch, aus dem Ersten Weltkrieg vorgewarnt, sich in Zukunft zur strengen Konspiration bereit zeigte, was die Abenteuer seines baldigen Gurus und dessen Gemahlin anging, und es verwundert auch nicht, dass er äußerst empfindlich reagierte, als er ein Jahrzehnt später durch eben diese Abenteuer in Gefahr geriet, das Schicksal einiger seiner früheren Geschäftspartner zu teilen.

Dass Louis Horch überhaupt unter den Einfluss der Roerichs kam, ist auf den ersten Blick erstaunlich. In den Tagebüchern, die er später auf Wunsch der Mahatmas führte, erscheint er als jeglicher Fantasie abholder, grundnüchterner Zahlenmensch, der jede Ausgabe und jede Einnahme pedantisch auf den Cent registrierte. Das Einzige, was an dem großgewachsenen, dunkelhaarigen Makler originell war, war sein Gesicht. In der Stirn sah man deutlich eine Einbuchtung, die eine Schädeloperation hinterlassen hatte.

Ganz anders dagegen seine zehn Jahre jüngere Frau Nettie, die auf Louis einen ähnlichen Einfluss hatte wie Helena auf Nikolai. Sie war zwar studierte Chemikerin, aber stark an Kunst und Kultur und allem Übersinnlichem interessiert. Eine große Rolle dabei spielte der tragische Umstand, dass sie, als sie 1922 die Roerichs kennenlernte, bereits ein Kind verloren hatte und auch ihr jetziges Kind stark zum Kränkeln neigte. Für dieses wie auch die folgenden beiden Kinder sollten die Roerichs und vor allem Helena zahlreiche, aber nicht immer erfolgreiche »Zeremonien« abhalten, bei denen alle Anwesenden ihre Gedanken »konzentrierten«.

1921 gerieten die Horchs in eine Krise. Welcher Natur sie genau und was der Anlass war, vielleicht der Tod ihres ersten Kindes, lässt sich im Einzelnen nicht mehr nachvollziehen. Auf jeden Fall begann Louis Horch, vermutlich unter dem Einfluss seiner Frau, mit dem Gedanken zu spielen, die Finanzgeschäfte sein zu lassen und sein Leben sinnvoller als mit dem Anhäufen weiterer Reichtümer zu verbringen. Wie wohlhabend Louis Horch zu diesem Zeitpunkt war, ist schwer zu sagen, zu der Liga der Rockefellers oder auch nur Otto Kahns gehörte er nicht, aber er verfügte auf jeden Fall über genug Geld, um in seinem Leben nie wieder einen Finger heben zu müssen. Und auch genug, um in einem neuen Bereich tätig zu werden, der auf irgendeine Weise mit Kultur zu tun haben sollte.

Auf genauso ein Gottesgeschenk wie den neuerlich kulturbeflissenen Louis Horch hatten Helena und Nikolai Roerich sehnlichst gewartet. Bekannt wurden sie mit ihm durch Frances Grant, eine junge Musikjournalistin, die den Mitautor von »Frühlingsopfer« noch vor der Grenzkontrolle im New Yorker Hafen interviewt hatte und seitdem zum erweiterten Kreis der Roerichs gehörte.

Das erste Mal taucht der Name Horch in den Aufzeichnungen Moryas am 29. April 1922 auf. Recht unvermittelt und zusammenhanglos findet sich der Satz: »Das Gebet hilft Nettie Horch.«

Doch dann, sieben Tage später, lief Morya zu Höchstform auf. Am 6. Mai, abends um halb neun, meldete er sich in noch nie dagewesener Dringlichkeit: »Versteht zu erkennen, versteht zu erkennen, versteht zu erkennen, versteht zu erkennen, versteht zu erkennen, versteht zu er kennen, versteht zu erkennen, versteht zu erkennen, versteht zu erkennen. [Sic! Neunmalige Wiederholung im Original]. Ich fühle, er kommt, der Fang ist nötig – lasst ihn nicht aus. Ich fühle, man soll ihn auch einweihen, ich fühle, Mein Schild ist nützlich. [Wenn sie sich auf Morya bezogen, wurden besitzanzeigende Fürwörter immer großgeschrieben.] Über den Mann von Nettie Horch kann man den Weg zum Wesentlichen finden. Über den Mann von Nettie Horch kann man den Weg zum Wesentlichen finden. [Sic! Im Original zweimal]«

Irgendetwas war dem vorausgegangen. Hatte Helena Roerich durch Frances Grant von den Absichten der Horchs gehört, ihr Leben fürderhin der Kultur zu widmen? Der Ratschlag Moryas wurde jedenfalls befolgt. Wie der »Fang« eingeholt und der »Weg zum Wesentlichen«, also zum Geld von Louis Horch, gefunden wurde, auch das spiegelt sich in den Worten Moryas.

Am 6. Juli verkündete Morya selbstsicher: »Ich verbürge mich für den Erfolg. Ich verbürge mich für den Erfolg. [Im Original zweimal]. Meine Gesandten, weicht nicht vom hohen Weg ab. Es wird das Nötige kommen und es wird nicht wunderbarer sein, als das Auftauchen der Horchs.«

Das »Wunderbare«, auf das Morya hier anspielt, waren vermutlich die $2700, die Louis Horch für den Kauf zweier Bilder von Nikolai Roerich ausgegeben hatte. Die finanzielle Lage des Künstlers war so angespannt, dass er keinen Scheck, sondern das Geld gleich bar auf die Hand hatte haben wollen. Nebenbei bemerkt ein reichlich überteuerter Kauf. Zwei Jahre später erwarb Horch zwei weitere, ähnlich »bedeutende Bilder« für $375 das Stück.25

Die Beziehung der Horchs zu Morya und den Roerichs vertiefte sich. Am 13. Juli teilte der Mahatma mit, Horch solle ruhig arbeiten, es werde hundertfach vergolten werden und er habe dadurch ein besseres Schicksal in Amerika zu erwarten. Das bezog sich vermutlich auf die Absicht der Horchs, das »Master Institute of United Arts« zu unterstützen. Und auch in dieser Sache gab es Fortschritte, wie man aus dem Tagebuch von Sinaida Lichtmann erfährt. Am 22. Juli notierte sie, man hätte fünf Stunden über die Schule gesprochen und die Horchs würden Geld für die Reklame und für Zwischenwände geben. Und am 25. Juli war alles klar. Sinaida Lichtmann schrieb: »Horch gibt siebeneinhalbtausend für die Schule. Erstaunlich, wie aktiv sie und Grant sich der Sache angenommen haben, und verblüffend ihre Liebe zu der Schule. In allem ist die Hand von M., seine Liebe und Sorge um die Schule. Und wie rührend die Roerichs diese Unterstützung aufnehmen. Sie nehmen das wie ein Geschenk, das M. für seine Sache geschickt hat. Das ist keine Freude über das Geld, aber eine Verbeugung vor der Macht von M., der neue Leute für seine Schule herbeigeführt hat.«

Auch Morya wusste die Großzügigkeit der Horchs zu schätzen. Bereits am nächsten Tag wandte er sich mit einer persönlichen Ansprache an den Makler: »Du, der du ein Ohr hast! Du, der du ein offenes Auge hast! Du, der du mich erkannt hast! Heil dir! Mein Name sei dir ein eiserner Talisman! Und die Tiefen des Himmels werden dir dankbar sein! Heil dir! – Dies ist mein Wort an Horch! Schärfe den Blick, wie ein Falke, in die Ferne! – Das ist mein Rat an Horch. Ihr, meine Schüler, seid mannhaft! Seid kühn. Träumt von der Zukunft. Arbeitet und ihr werdet die Wiedergeburt der Welt erleben. Vergesst nicht das Mitleid in eurem Kampf. Versteht mich.« Und Morya sprach nicht nur durch Helena. Auch Nikolai Roerich gab er einen »automatischen« Brief ein. Und damit die Worte Moryas nicht erst mühsam übersetzt werden mussten, äußerte sich der Mahatma ausnahmsweise auf Englisch: »Denkt daran, die Kunst ist das einzige lebenswichtige Medium der kommenden Kultur.«

Am 6. August verkündete Morya, er habe Nettie Horch den esoterischen Namen Poruma gegeben, und gab noch folgende Einzelheit über die »karmische« Beziehung zu Helena Roerich preis: »Du [Helena Roerich] hast ihr das Leben gerettet, indem du sie nach der Eroberung von Putjali an die Brust genommen hast.«

Knapp zehn Tage später, am 15. August, lieh Louis Horch das erste Mal Geld an Nikolai Roerich. Immerhin $ 8000, eine Summe, die man mindestens mit zehn multiplizieren muss, damit sie der heutigen Kaufkraft entspricht. Ein Krankenhausarzt bekam damals in New York ein Gehalt von durchschnittlich 500 $ im Monat.

Die Belohnung seiner Großzügigkeit ließ nicht lange auf sich warten. Am 27. August verlieh Morya Horch den esoterischen Name Logvan und teilte weiter mit, in einer früheren Inkarnation sei er ein Sohn des ersten chinesischen Kaisers gewesen. Etwa Fujama Tsin Taos, jenes chinesischen Kaisers aus dem 3. Jahrhundert vor Christus, der eine der Inkarnationen Nikolai Roerichs war? Die Zeit könnte passen, denn bekanntlich wurde das chinesische Kaiserreich zu dieser Zeit gegründet. Aber deutlicher wurde Morya nicht, und zum Glück, so muss man sagen. Denn vermutlich hätte es sich irgendwann auch in New York herumgesprochen, dass der erste Kaiser Chinas eine der blutrünstigsten Figuren der chinesischen Geschichte war, der unter anderem die lästigen konfuzianischen Gelehrten allesamt hatte lebendig begraben lassen.

Eine weitere »Offenbarung« Moryas, die zwar nicht direkt an Louis Horch gerichtet, aber wahrscheinlich für den Liebhaber der Kunst Nikolai Roerichs gedacht war, betraf die Gemälde des Meisters. »Ich möchte den Bildern von Roerich, mit Ausnahme der Zeichnungen von Kostümen und Bühnenbildern, die Gabe der Heilung von Krankheiten geben. Vorsichtig behandelt die Bilder, die heute gemalt wurden. Das Wunder offenbare nicht, außer meinem Kreis. Urusvati, du kannst beruhigt nach New York fahren. Genug.«

Mit »genug« pflegte Morya das Gespräch zu beenden. Aber an diesem Tag muss noch einmal nachgefragt worden sein, denn die Eintragung endet mit folgenden klärenden Sätzen: »Die Bilder wirken desinfizierend. Im Falle einer gefährlichen Krankheit soll man konzentriert und lange das Auge in das Bild vertiefen.«

Am 7. September, also gleich am nächsten Tag, löste Louis Horch das dringendste Problem Nikolai Roerichs. Er bezahlte den Kredit, den die 5th Avenue Bank dem Künstler gewährt hatte, und verhinderte so die Versteigerung der Bilder, die dieser der Bank zur Sicherheit hatte übergeben müssen. Und lieh dem Auserwählten Moryas gleich noch $2500.

War das der Grund gewesen, warum Morya Urusvati versichert hatte, jetzt könne sie »beruhigt nach New York« fahren?

Was die Heilkraft der Bilder anging, so kann man nur vermuten, dass die Tochter der Horchs noch zu klein war, um ihr Auge lange »in das Bild zu vertiefen«. Und auch sonstige Ratschläge Moryas, der zwei Tage später, am 8. September, zu einem halben Teelöffel Milchpulver täglich riet, nützten nichts. Und schon gar nicht seine Diagnose, das Kind leide an einer neuen Form der Grippe, die am 10. Februar 1923 erfolgte. Drei Tage später war die Kleine tot.

Morya hatte tröstende Worte. Wie immer etwas nebulös und gewunden teilte er am nächsten Tag mit: »Meine Kinder, wenn ihr an das Entzücken des befreiten Geistes ohne Bitterkeit denken könntet, würdet ihr euch freuen und nicht weinen! Der von Bitterkeit beschwerte Geist kann sich nicht erheben. Aber das befreite Gute fliegt in den Schein des Lichts. Ich werde Schorak [Name der Tochter] 100 Tage in der Wiege bewahren. Nach der Erholung in den Saphiren des Dokiud wird Schwester Oriola einen neuen, für Poruma gedachten Kelch bewahren. Poruma ist wahrlich meines Zeichens würdig!«

Poruma und Logvan, die beide zu diesem Zeitpunkt längst über ein Bild Mahatma Moryas verfügten, das Nikolai Roerich »automatisch« eingegeben worden war, ließen sich tatsächlich trösten. Eine Woche später teilte Morya Logvan mit, dass die weiße Bruderschaft stolz auf ihn sei, und Poruma erfuhr, sie könne sich »über den Sieg freuen«. Mit dem Sieg war vermutlich die gute Aufnahme der verstorbenen Tochter im Dokiud, einer Art Jenseits der Mahatmas, gemeint.

Nikolai Roerich: Kunst, Macht und Okkultismus

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