Читать книгу Nikolai Roerich: Kunst, Macht und Okkultismus - Ernst von Waldenfels - Страница 20
Kapitel 14
ОглавлениеDer Weg ins Exil
Nikolai Roerich in Finnland, das war ein Mann zwischen den Zeiten. Der bekannte »Prophet der Schönheit«, der Würdenträger des Zaren, auf dessen jedes einzelne Wort geachtet wurde, spielte auf einmal keine gesellschaftliche Rolle mehr und eine neue war noch nicht in Sicht.
Er lebte mit seiner Familie in Serdobol, einer kleinen Stadt in Karelien, in der Nähe des Ladogasees, wo nach und nach immer mehr Russen eintrafen, die vor den Bolschewiken geflüchtet waren. Unter ihnen der liberale Politiker Gessen, der mit dem Künstler jeden Tag lange Spaziergänge machte. In seinen Erinnerungen schrieb Gessen, Roerich sei ein äußerst interessanter Gesprächspartner gewesen, man habe ihn aber von der Seite betrachten müssen, da es ihm unangenehm war, »dem Gegenüber ins Auge zu blicken. Auch kann ich mich nicht erinnern, ihn einmal lachen gesehen zu haben, es hätte auch nicht zu seinem Stil gepasst.«
Nikolai Roerich war zu Gessen ungewöhnlich offen. »Als wir uns dann näher kennenlernten, sprach er immer öfter über geheime Kräfte, die auf die Zivilisationen einwirkten, über die vielen Errungenschaften alter Kulturen, die spurlos verschwunden seien, und über die Telepathie. Wie bestellt, wurde ein solcher Vorfall auch in unserer Beziehung entdeckt.
Schließlich bekannte er sich zu seinem tiefen Glauben an die Theosophie und erklärte, er würde, hätte er keine Kinder, sofort nach Indien zur Theosophischen Gesellschaft reisen. [...] Sein ungewöhnlich fruchtbringendes künstlerisches Schaffen spiegelte sein theosophisches Streben. Geheimnisvolle Rufe, unruhige Sehnsucht, unbeantwortetes Beten um ein Wunder und die kühne Behauptung eines solchen sowie aufwühlende Schwermut wehten einen von seinen Bildern an. Mit ihrem Glanz und ihrer Durchsichtigkeit waren Ölfarben für ihn nicht geeignet und auch keine scharfen Striche. Es zog ihn zum Unklaren, Verschwimmenden, und daher war er zu den mittelalterlichen Tempera zurückgekehrt, die Strenge, Härte und das Geheimnisvolle wiedergeben.
Nach der Natur zu malen, hatte er nicht nötig. Zwischen abstrakten Überlegungen und der Wirklichkeit, zwischen Legende und Realität gab es für ihn keine Grenzen.«133
Den größeren Teil des Jahres lebte Roerich zurückgezogen, widmete sich der Malerei und theosophischen Spekulationen. Keinerlei Artikel oder Aufrufe wurden publiziert. Währenddessen begann in Russland der Bürgerkrieg. Die Bolschewiken hatten den Bogen überspannt, und alle anderen politischen Kräfte stellten sich gegen sie. Die Weißen drangen vor, und eine Zeitlang sah es so aus, als sollten sie den Sieg davontragen.
Zum ersten Mal in seinem Leben wurde Nikolai Roerich, der es bis dahin immer vermieden hatte, sich klar zu positionieren, politisch tätig. Er wurde Sekretär des skandinavischen Komitees der Weißen, steuerte Deckblätter für antibolschewistische Broschüren bei und spendete sogar 15000 Finnmark an General Judenitsch, der im Sommer 1919 erst vor den Toren Petrograds zurückgeschlagen wurde.
Roerich wäre nicht Roerich gewesen, hätte er nach seinem finnischen Winterschlaf nicht auch wieder seine vielfältigen Verbindungen aufgenommen. Als den Finnen die russischen Emigranten zu viel und in der Presse Rufe laut wurden, sie bis auf einige Prominente auszuweisen, schrieb er an einen alten Bekannten, den Maler Akseli Gallen-Kallela, der einigen Einfluss in der neuen Regierung hatte, um ein finnisches Reisedokument zu erhalten. Anzumerken ist, dass Nikolai Roerich 1916 noch keinen Pass gebraucht hatte, als er mit seiner Familie in das noch zum russischen Reich gehörige Finnland gereist war, er aber ohne Dokumente nicht aus dem nunmehr unabhängigen Land gelassen wurde. Im Dezember 1918 kam er in Stockholm an, wo er für sich selbst, seine Frau und seine beiden Kinder einen Pass der weißen Exilregierung erhielt. Hier fügte es sich aufs Glücklichste, dass 1914 eine Reihe seiner Gemälde gerade in Schweden zu einer Ausstellung waren und wegen dem Kriegsausbruch dort hatten verbleiben müssen. Diese Bilder wurden mit seinen neuen, in Finnland gemalten zusammengefasst, und eine Ausstellungstournee durch Skandinavien begann, die großen Erfolg hatte. Nicht zuletzt, weil sich im Ausstellungskatalog die slawischen Heldengestalten aus Roerichs früher Periode in Gestalten aus »altskandinavischen Sagen« verwandelt hatten.134 Eine Interpretation, die lebhaftes Echo in der Presse fand, die vom »skandinavischen Geist« Roerichs schrieb.135 Der Teil der Bilder, der nicht verkauft worden war, kehrte mit dem Künstler zusammen nach Finnland zurück, wo man ihn zum Mitglied der finnischen Künstlervereinigung machte. Aber sosehr Nikolai Roerich diese Ehrung gelegen kam, er hatte nicht vor, sein weiteres Leben im Norden Europas zu verbringen. Weder er noch Helena hatten ihr ursprüngliches Ziel vergessen. Und der Weg dahin führte über London, das politische Zentrum des indischen Subkontinents.
Eben dorthin hatte es den Impresario Diaghilew verschlagen, der zu dieser Zeit dabei war, das berühmte Ensemble der »Ballets Russes« wieder zusammenzustellen. Als Nikolai Roerich dies erfuhr, schrieb er an ihn, wobei er einleitend bemerkte, man müsse die russische Sache jetzt auf allen Gebieten propagieren, aber Finnland sei zu klein, um einen großen Effekt zu erzielen. Dann kam er zum Eigentlichen: »Finde heraus, mein Lieber, was Du für mein Hinkommen und einen Auftritt dort tun kannst.«136
Diaghilew schrieb sofort zurück, um ihn als Bühnendekorateur zu engagieren.
Im Mai 1919 kam Roerich mit seiner Familie nach London, um dort über ein Jahr zu bleiben. Er lebte in einer der besten Gegenden, in Süd-Kensington im Londoner Westend, um die Ecke von Royal Albert Hall und Hyde Park. Es war eben am Eingang zum Hyde Park, wo 80 Jahre zuvor Madame Blavatzky zum ersten Mal Mahatma Kut-Humi begegnet war.
In London führte der Künstler ein Dasein, das stark an seine Petersburger Zeit erinnerte. Da wäre die unablässige Arbeit. Für Diaghilews »Ballets Russes«, die dabei waren, an ihre Vorkriegserfolge anzuknüpfen, malte er die Bühnenbilder für »Fürst Igor«, »Schneewittchen«, »Zar Saltan« sowie den weniger bekannten »Sadko« und arbeitete noch an einer Reihe eigener Gemälde. Auch suchte und fand er Anschluss an höhere Kreise der britischen Hauptstadt. Er trat in die »Russian-British 1917 Fraternity« ein, eine Vereinigung von Mitgliedern des britischen Parlaments und hochgestellten Vertretern Russlands. Der »elitäre Klub«, wie ihn eine russische Historikerin137 bezeichnet, war 1917 gegründet worden, um zu verhindern, dass Russland nach der Februarrevolution einen Sonderfrieden mit Deutschland schloss. Als Ehrenvorsitzender war der britische Premier Lloyd George eingetragen.
Zum Einstand hielt er gleich nach seiner Ankunft in London einen Vortrag vor der illustren Gesellschaft mit dem Titel »Schänder der Kunst«, der scharf gegen die Bolschewisten gerichtet war. Dort zählte er die Intellektuellen und Künstler auf, die dem Roten Terror zum Opfer gefallen waren. Viele von ihnen hatte er persönlich gekannt. Er beklagte den Untergang des alten St. Petersburg. Wer nicht dem »Fleischwolf« zum Opfer gefallen war, wie man die Maschinerie der Tscheka, der Geheimpolizei der neuen Machthaber, nannte, wurde zu Hunderten auf das sogenannte »Professorenschiff« verladen und zwangsausgewiesen. Religiöse Künstler wie Viktor Wasnezow oder konservative Intellektuelle wie der berühmte Historiker Sergej Platonow sollten ihre Heimat nie wiedersehen.
Verblieben waren Männer wie Maxim Gorki, der angesichts der Massaker der Tscheka fast verzweifelte, aber sich nie wirklich gegen das neue Regime stellte, und Anatoli Lunatscharski, der Volkskommissar für Aufklärung, der die Propaganda der Roten leitete und eine neue Generation von revolutionären Intellektuellen um sich scharte. Geblieben war auch Stepan Mitusow, der Cousin von Helena Roerich, ein weicher Mensch und völlig unpolitischer Musiker, der nach der Revolution durch seine Freundschaft mit Lunatscharski einen administrativen Posten in der Kulturadministration Petrograds erhielt.
Auch (noch) nicht emigriert waren Grabar und Benois, die durch ihre Bekanntschaft mit Gorki geschützt waren. Die Mehrheit der früheren Kulturelite dagegen, Männer wie Strawinsky oder Diaghilew, und die meisten Mitglieder des Ensemble der »Ballets Russes« waren ins Ausland geflohen.
Die Londoner Rede Nikolai Roerichs gegen die Bolschewiki diente mindestens so sehr als Eintrittsbillet in die besseren Kreise, wie sie tiefster Überzeugung geschuldet war. Das kann man aus der Tatsache schließen, dass dies sein letzter, wenn auch lautstarker Auftritt für die weiße Sache war. Der »Sucher nach heiligen Zeichen« und seine Frau hatten andere Pläne. Politik gehörte nur im weitesten Sinne dazu. Und ein Zufall half bei der Verwirklichung, wie die Roerichs bald sicher glaubten.
1919 lernte Nikolai bei der Suche nach jemandem, der Russisch auf der Schreibmaschine tippen konnte, Wladimir Schibajew kennen, der an der Londoner Universität Sanskrit und Persisch studierte. Der aus Riga stammende junge Mann, der mit einem Buckel von wenig einnehmendem Äußeren war, interessierte sich wie das Ehepaar Roerich stark für jede Art des Okkultismus und für alles, was aus Indien kam. Außerdem war er Mitglied der Theosophischen Gesellschaft und mit deren führenden Londoner Vertretern bekannt. Durch Schibajew konnten die Roerichs eine Reihe wichtiger Verbindungen knüpfen. Mit prominenten indischen Künstlern und Nationalisten, die in Indien ansässig waren und ihn später mit Männern wie Nehru zusammenführten; mit dem indischen Schriftsteller und Nobelpreisträger Rabindranath Tagore, der sich von Roerichs Kunst begeistert zeigte und ihn nach Kalkutta einlud, und auch mit Annie Besant, der Vorsitzenden der Theosophischen Gesellschaft (TG) in Indien, sowie mit Bomandschi Pestondschi Wadia, einem führenden Mitglied der TG, der sich gerade in Großbritannien aufhielt.
Bald führten die Roerichs Schibajew bei den Séancen ein, mit denen sie in London wieder begonnen hatten und an denen weitere prominente Mitglieder des Exils, so auch der ihnen schon aus Finnland bekannte Politiker Gessen, teilnahmen. Bei einer dieser Séancen, bei denen es in der Erinnerung von Helena zu den unglaublichsten Vorfällen kam – Münzen fielen von der Decke und Geräusche waren zu hören, als trampelten ganze Elefantenherden durch das Zimmer –, wurden Nikolai Roerich Zeichnungen »eingegeben«, auf denen unter anderem Mahatma Kut Humi zu sehen war. Zweifellos war dies eine »wahre« Eingebung, denn die Abbildung glich stark einer weit älteren, die dem deutschen Maler Schmiechen eingegeben worden war und deren »Echtheit« noch Blavatzky persönlich bestätigt hatte.
Die Abbildung des Mahatma sowie einige weitere der von Nikolai Roerich »automatisch« empfangenen Zeichnungen wurden Wadia gezeigt, der den Künstler daraufhin an das Hauptquartier der Theosophen in Adyar, Indien, empfahl.
Einige Zeit später erhielt Nikolai Roerich einen Brief von Annie Besant persönlich, in dem die Vorsitzende der TG ihm zum Eintritt in ihre Gesellschaft gratulierte und eine offizielle Einladung nach Indien aussprach. Sein Visum bekam Nikolai Roerich am 28. Juli 1920, und er kaufte sofort Schiffstickets für sich und seine Familie sowie Schibajew, der als sein Sekretär mitkommen sollte.
Doch dann folgte eine Katastrophe, der tiefste Schlag, der sich für die Roerichs, die sich ihrem Ziel bereits so nahe geglaubt hatten, denken ließ. Der Finanzier von Diaghilew hatte Bankrott gemacht, und Roerich stand ohne jede Geldmittel da.
Eine letzte Hoffnung waren gute Verkäufe bei einer Mammutausstellung der Werke Nikolai Roerichs. 198 seiner Bilder wurden gezeigt, darunter die Serie »Träume von Indien«, die er erst in London gemalt hatte. Viele der Reichen und Berühmten des damaligen London waren da, und auch Winston Churchill wäre wohl dabei gewesen, hätten Bekannte nicht dringlich von einer Einladung des umstrittenen Politikers abgeraten, da sonst einige andere wichtige Persönlichkeiten nicht gekommen wären.
Im Zentrum der Ausstellung hing das Monumentalgemälde »Der Schatz der Welt«, auf dem ein himmlischer Wächter mit dem »Gral« in der Hand abgebildet war, dem heiligen Kelch, nach dem Parsifal in Wagners gleichnamiger Oper strebt. Die Rede bei dem Bankett hielt der bekannte Schriftsteller und Okkultist H. G. Wells. Beim Heben seines Sektkelches sagte Wells: »Dieser einfache Gegenstand, den niemand von uns als etwas Besonderes ansieht, kann, unter bekannten Umständen, ein seltener Schatz werden.«138 Eine Prophezeiung, die knappe drei Jahre später in Erfüllung gehen sollte, als der Gral tatsächlich auf wundersame Weise wieder in der Welt erschien. Den Roerichs nämlich, und zwar in Paris, in einem noblen Hotel.
Unter finanziellen Gesichtspunkten war die Ausstellung eine Enttäuschung. Im London der Nachkriegszeit saßen selbst bei den Verehrern der Kunst Roerichs die Geldmittel nicht so locker, dass sie seine hohen Preise hätten zahlen können. Und Nikolai Roerich, ein hervorragender Kenner des Kunstmarktes, wusste, zu billig durfte er sich keinesfalls verkaufen, sonst hätte er seinen Marktwert auch in besseren Zeiten gedrückt.
Im Sommer 1920 wurde Nikolai Roerich der Vorschlag gemacht, seine Bilder auf eine Wanderausstellung zu schicken, die drei Jahre lang durch 29 Städte der USA gehen sollte. Die Einladung kam vom Direktor des Chicago Art Institute, Robert Harshe, einem Theosophen, der den Künstler gleich auch noch für drei Produktionen der Chicagoer Oper engagieren wollte. Am 2. Oktober 1920 bestiegen er und seine Familie einen Dampfer, der sie in die Neue Welt brachte.