Читать книгу Immer noch wach - Fabian Neidhardt - Страница 12

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Als mein Vater zum ersten Mal mehrere Wochen im Krankenhaus liegt, bin ich fast immer bei ihm. Ich gehe nicht mehr in die Schule, weil was bringt die Schule, wenn der Vater nicht mehr da ist? Nur wenn eine Schwester ihm hilft, aufs Klo zu gehen, ohne das Bett zu verlassen, schleiche ich beschämt aus dem Raum.

Immer wieder darf ich sogar bei ihm übernachten. Manchmal auf dem Stuhl, meist neben ihm im Bett, mein Gesicht an seiner Brust, sein Arm um meinen Körper. Das Bett ist viel zu schmal und ich passe auf, dass ich nicht herausfalle, immer höchstens im Halbschlaf. Die Nächte sind voller blinkender Lichter und dem sterilen Geruch von Desinfektionsmittel, oft sind Schritte auf dem Gang zu hören. Im Zimmer stehen weitere fünf Betten. Jemand hustet, jemand stöhnt auf oder kratzt sich schmerzhaft lange. Und für eine Nacht ist dieser eine Mann da.

Hager, das Haar bis auf wenige Millimeter geschoren, die Wangen extrem eingefallen und voller roter Flecken. Keine rosige, lebendige Farbe, mehr der Anblick von offenen Wunden, an denen helle Hautschuppen hängen. Auf seinem Schoß liegt eine Nierenschale aus Edelstahl, die er mit beiden Händen umfasst. Ich sitze auf dem Stuhl und beobachte, wie er auf den Platz zwischen meinem Vater und dem Fenster geschoben wird. Er sieht erschöpft aus, er atmet tief und kontrolliert und starrt in die silberne Schale. Dann hebt er den Kopf und sieht zu mir. Mein Vater schläft oder döst mit geschlossenen Augen. Seine Hand umschließt meine, immer noch rau, aber mittlerweile ist kein Dreck mehr in den Rillen, so lange ist er schon im Krankenhaus.

Der Mann lächelt mich an und legt einen Finger an die Lippen. Ich sehe, dass auch seine Hände die Flecken haben. Als löse sich die Haut von ihm. Ich senke erschrocken den Blick und starre auf die Bettdecke. Aus den Augenwinkeln beobachte ich, wie er noch einen Moment länger zu mir schaut und dann den Kopf in die andere Richtung dreht. Ich hebe meinen und betrachte ihn, wie er aus dem Fenster sieht. Er ist vielleicht so alt wie mein Vater, aber er hat diese Flecken überall, die Haut ist rissig und faltig. Er wirkt älter. Plötzlich zuckt er zusammen und ich kann sehen, wie eine Welle von unten nach oben durch seinen Körper bebt. Er hebt die Schale, würgt, reißt den Mund auf und verzerrt das Gesicht, dann platscht der erste Schwall aufs Metall. Mein Vater bewegt sich unruhig und der beißende Gestank von Erbrochenem erfüllt das Zimmer. Ich spüre, wie sich auch in mir alles zusammenzieht. Aber ich kann nicht wegsehen.

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In der Nacht übergibt er sich immer wieder. Er isst nichts, und bald füllt er die Schalen nur noch mit Galle und Spucke. Ich verbringe die Nacht neben meinem Vater, ich habe ihm das versprochen, bevor der Mann reinkam. Liege an seiner Seite, sein Körper zwischen mir und dem Mann, aber wenn ich die Geräusche höre, die den nächsten Schub ankündigen, hebe ich vorsichtig den Kopf, so weit, dass wenigstens ein Auge ihn sieht, und beobachte, wie er mit seinem Körper kämpft, wie er sich immer wieder verkrampft, den Mund offen und voller Spuckefäden, die Muskeln am Hals angespannt, wie er immer erschöpfter zurücksinkt und tief durchatmet. Die Hände zittern, wenn er eine Schale auf dem Beistelltisch abstellt und sich eine neue nimmt. Manchmal schwappt schaumige Galle auf den Tisch. Alle paar Stunden kommt eine Schwester, nimmt die benutzten Schalen mit, putzt und lüftet.

Der Mann wird nach dieser einen Nacht wieder aus dem Zimmer geschoben, aber ich habe den Geruch noch Wochen später in der Nase.

Bald darauf geht es meinem Vater schlechter und er beginnt selbst, sich zu übergeben.

Immer noch wach

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