Читать книгу Immer noch wach - Fabian Neidhardt - Страница 15
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Оглавление„Schließen Sie das rechte Auge und halten Sie den Kopf still, folgen Sie dem Stift nur mit dem linken Auge.“
Ich sitze auf der Liege des Arztes und verfolge den Kugelschreiber, den er senkrecht nach oben hält und auf einer horizontalen Linie nach links und rechts bewegt. Ich habe ihm erzählt, was passiert ist und dass es das erste Mal war, er tastet meinen Hinterkopf ab und lässt mich auf einer Linie durchs Zimmer laufen. Ich muss die Augen schließen, mit dem Finger meine Nase berühren und eine Weile auf einem Bein stehen.
~
Das letzte Mal habe ich all diese Sachen machen müssen, als wir auf unserer Deutschlandtour waren. Wir haben ein Festival besucht und das Gelände gerade hinter uns gelassen, als wir auf die Polizeikontrolle stoßen. Sie stehen so in der Auffahrt zur Autobahn, dass ich sie vorher nicht sehen konnte und an ihnen vorbeimuss. Der Polizist sieht uns und winkt mich mit der Kelle an den Straßenrand. Am Fenster beugt er sich nach unten, sieht zu Lisa und dann zu Bene, der sich auf dem Rücksitz zwar aufgesetzt hat, aber definitiv nicht nüchtern aussieht.
„Guten Tag. Kommen Sie vom Festival?“
Ich nicke und reiche ihm die Papiere aus dem Fenster. So, wie ich es schon oft genug in irgendwelchen Filmen gesehen habe. Der Polizist betrachtet sie kurz.
„Wären Sie so freundlich und würden für einen Moment aus dem Fahrzeug steigen?“
„Klar.“
Ich bin nüchtern, ich muss mir also keine Sorgen machen. Aber trotzdem spüre ich die Angst, vielleicht doch irgendwas falsch gemacht zu haben. Er fragt mich nach Alkohol- und sonstigem Konsum und ich verneine. Dann lässt er mich auf dem Seitenstreifen laufen, auf einem Bein stehen und mit dem Zeigefinger meine Nasenspitze treffen. Er leuchtet mir in die Augen.
„Ihre Reaktionen sind ein wenig langsam. Und Ihre Pupillen reagieren verzögert.“
„Ich habe vier Tage Festival hinter mir, ich bin müde.“
„Das könnte sein. Es könnte aber auch sein, dass Sie unter dem Einfluss bewusstseinsverändernder Substanzen stehen.“
Das waren seine Worte. Der Einfluss bewusstseinsverändernder Substanzen. Das Ganze ist fast 15 Jahre her und bei vielen anderen Sachen muss ich überlegen, wie das genau war. Diese Worte aber, die sind da.
Ich schüttele den Kopf.
„Ich habe nichts genommen.“
„Wären Sie bereit, einen Urintest zu machen? Ich unterstelle Ihnen nichts, das ist nur zur Überprüfung.“
Ich weiß, ich kann das verweigern und so. Aber ich bin müde und will weiter. Er drückt mir einen transparenten Plastikbecher in die Hand und schickt mich zu einem Busch. Ich lasse es gerade laufen, als neben mir ein anderer Kerl auftaucht und ebenfalls in einen Becher pinkelt, in einem Strahl, der seinen Becher in Sekunden füllt.
Wir stehen nah beieinander, es wäre ein Leichtes, Becher zu tauschen. Aber ich habe ja nichts genommen. Oder ist es möglich, passiv zu kiffen? Der Polizist schraubt den Deckel auf den Becher, schiebt ein Stück Pappe durch den vorgesehenen Schlitz und stellt den Becher auf einem Pfosten ab.
„Wir müssen kurz warten, dann bekommen wir das Ergebnis.“
Auf der Pappe sind mehrere Streifen zu sehen, auf denen nun rote Linien erscheinen.
„Was genau passiert jetzt?“
„Jeder Streifen ist für eine andere Droge. Cannabis, Koks, Opium, Speed und Ecstasy. Wir können den Urin gleich auf mehrere Drogen untersuchen. Sobald die Streifen zwei rote Linien bekommen, ist alles in Ordnung. Ich sehe schon, Sie sind sauber.“ Er hält mir meine Papiere hin. „Danke. Haben Sie eine gute Fahrt und schlafen Sie sich aus.“
Ich sehe noch nicht bei jedem Streifen zwei rote Linien und ich weiß nicht, welcher das THC misst. Aber wer bin ich, ihm widersprechen zu wollen? Lisa beobachtet mich. Ich kehre zum Auto zurück, überrascht, dass das alles war, setze mich, drücke ihr die Papiere in die Hand und schnalle mich an.
„Alles gut?“
„Alles gut.“
Ich grinse und will den Motor starten, als der Polizist wieder am Fenster auftaucht.
„Einen Moment noch.“
Er hält mir den Becher hin und ich denke, das war ja klar. Also gibt es doch Passivkiffen und eine rote Linie fehlt.
„Normalerweise machen wir das nicht, aber nehmen Sie den Becher mit, ausnahmsweise. Sie werden an ein bis zwei weiteren Kontrollen vorbeikommen, in jeder Richtung. Sagen Sie den Kollegen Grüße und zeigen Sie ihnen den Becher, vielleicht müssen Sie nicht nochmal pinkeln.“
~
Der Arzt nickt.
„Jetzt das andere.“
Ich wechsele das Auge und muss schmunzeln.
„Soll ich auch pinkeln?“
„Nein, aber ich werde Ihnen Blut abnehmen. Wie ist Ihr genereller Gesundheitszustand? Trinken oder rauchen Sie übermäßig? Haben Sie sonstige Beschwerden?“
„Kein Trinken, kein Rauchen. Ich habe seit Tagen Kopfschmerzen und bin übermüdet. Und jetzt eben die Ohnmacht und das Übergeben. Wir haben vor kurzem ein Café eröffnet und ich arbeite zu viel. Mir geht’s gut, ich muss nur schlafen.“
Er nickt, klickt mit dem Kugelschreiber und schreibt auf den Block vor sich.
„Die Bauchschmerzen.“
Wir schauen beide zu Lisa, die auf einem der Stühle vor dem Schreibtisch sitzt und bisher nichts gesagt hat, dann blickt der Arzt wieder zu mir. Ich ziehe das Shirt hoch und greife mir an den Bauch, rechte Seite, knapp unter den Rippen.
„Hier zieht es immer wieder.“
Er betastet den Rand der unteren Rippe.
„Ein dauerhaftes Ziehen?“
„Ich habe nicht immer drauf geachtet, aber eigentlich ist es immer da. Mal mehr, mal weniger. Seit ein paar Wochen vielleicht.“
Er presst zwei Finger unter die Rippe.
„Einatmen, bitte. Wird der Schmerz schlimmer?“
Ich schüttele den Kopf, er nickt und schreibt wieder auf den Zettel.
„Haben Sie Krebserkrankungen in der Familie?“
Er fragt es, wie man nach dem Wetter oder dem Befinden fragt, während man etwas anderes tut. Als ob er nur fragt, um die Stille zu überbrücken oder um eine von sehr vielen Fragen schnell abhandeln zu können. Aber ich bekomme eine Gänsehaut und ein Kribbeln wandert den Rücken hinauf bis zur Beule.
„Ach, was für eine Scheiße.“
Er sieht irritiert auf, aber ich sage nichts mehr.
„Sein Vater hatte Magenkrebs.“
Er ergänzt es auf seinem Zettel und blickt abwechselnd zu mir und Lisa.
„Also, wahrscheinlich haben Sie Recht und Sie sind einfach nur müde. Die Bauchschmerzen könnten vom Stress kommen. Die Ohnmacht und das Erbrechen könnten Zeichen Ihres Körpers sein, dass Sie mehr auf ihn achten sollten.“
Er fährt mit seinem Daumen über die beiden Finger, die er mir an den Bauch gesetzt hat.
„Ich habe einen Widerstand gespürt, der da nicht sein sollte. Das muss nichts Schlimmes sein. Ich würde aber gern sichergehen. Deshalb werde ich Ihnen Blut abnehmen und Sie an einen Kollegen der Gastro überweisen.“
„Und der sagt mir, wie ich stressfrei ein Café betreibe?“
„Gastroenterologie. Magen, Darm. Er wird sich das Ziehen genauer ansehen, per Ultraschall oder Computertomografie. Und dann haben wir Gewissheit.“