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Die ersten beiden Wochen bleibe ich in meinem Zimmer. Martin und Helen duze ich mittlerweile, was selten ist, weil die Menschen, die hier arbeiten, sich durch das Sie eine gesunde Distanz bewahren. Intimität und Nähe gibt es hier genug. Es gibt noch fünf oder sechs andere, hauptsächlich Frauen, die regelmäßig vorbeisehen. Freundliche, meist gemütliche Menschen, die mir das Gefühl geben, willkommen zu sein. Deren Freundlichkeit und Anteilnahme echt scheint. Sie haben ein sanftes Klopfen und stecken immer erst den Kopf rein, entscheiden jedes Mal neu, ob sie im Rahmen stehenbleiben oder bis ans Bett treten. Sie wissen die Dinge, die ich ihnen erzähle, auch beim nächsten Mal noch. Ihre Namen habe ich sofort vergessen. Und zu fragen traue ich mich nicht.

~

Irgendwann ist der Infekt vorbei. Ich bin zwar immer noch schwach, habe ein paar Kilo verloren und der Druck unter den Rippen ist mittlerweile permanent spürbar, genauso wie das Stechen hinter den Augen, aber ansonsten bin ich einigermaßen fit. Trotzdem will ich nicht raus.

Mein Essen wird mir gebracht, der Fernseher lenkt mich ab, und für frische Luft stelle ich mich kurz auf den Balkon. Mehr brauche ich nicht.

Mein Zimmer ist fünf durchschnittliche Schritte breit und sieben Schritte lang. Die Decke ist abgehängt, sie klingt hohl, wenn ich auf dem Bett stehe und dagegen klopfe. In der Ecke hinter dem Bett ist ein dichtes Spinnennetz, von dem ich niemandem erzähle. Manchmal sehe ich der Spinne zu, wie sie gefangene Fliegen umgarnt. Ich nenne sie Lukas.

Alle paar Tage kommt Frau Renninger vorbei. Wie es mir gehe, ob ich etwas brauche, ob sie mir den Rest des Hauses zeigen solle. Gut, danke. Alles in Ordnung. Mein Zimmer reicht mir. Dann nickt sie.

„Sagen Sie einfach Bescheid. Es lohnt sich, glauben Sie mir.“

~

Manchmal sehe ich Helen oder Martin oder einer der anderen Mitarbeiterinnen von meinem Balkon aus zu, wie sie einen Rollstuhl nach draußen schieben oder neben jemandem gehen, der sich mit einem Rollator oder einem Stock vorwärtsquält. Manche sitzen auf den Bänken und lesen, immer wieder raucht jemand, die Fitteren machen einen Spaziergang in den Wald. Durch den gepflasterten Weg ist das auch für die Gäste im Rollstuhl möglich. Trotz September sind die meisten Leute schon warm eingepackt und unter den Mützen ahne ich oft haarlose Köpfe.

Manchmal schreit jemand in der Nacht, dann eilen Schritte über den Flur. Und natürlich weint immer wieder jemand. Es ist schön hier, wir sind alle Gäste und Liebe und Frieden und so. Aber fast jeder Mensch, den ich hier treffen könnte, wird demnächst sterben.

Mein eigener Tod ist mir erstmal genug.

Immer noch wach

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