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Ich rede eine Weile mit Doktor Münchenberg, bis er einlenkt und mir ermöglicht, in ein Hospiz zu gehen.

Wir sitzen in seinem Sprechzimmer, zwischen uns die Ergebnisse der Untersuchungen und die Röntgen- und CT-Aufnahmen. Er hört sich meine Beschreibungen der Symptome an, die schlimmer werden. Der Druck unter den Rippen, der mittlerweile ständig spürbar ist. Die Übelkeit, das Übergeben, die Kopfschmerzen und die Müdigkeit, die trotz viel Schlaf nicht nachlässt. Er schiebt die Brille nach oben und fährt sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen.

„Herr Fink. Ich sage Ihnen, lassen Sie sich helfen. Wir haben immer noch viele andere Möglichkeiten. Ich kann das nicht gutheißen, was Sie sich antun.“

„Das ist meine Entscheidung.“

Er verschränkt die Arme vor der Brust.

„Wollen Sie nicht wenigstens in Ihrem gewohnten Umfeld … viele Patienten empfinden es als heilsam, von Familie und Freunden umgeben zu sein.“

„Sie wollen mir helfen? Dann helfen Sie mir dabei.“

„Ich sage Ihnen ausdrücklich, dass Sie gegen meinen ärztlichen Rat handeln.“ Widerwillig wendet er sich dem Computer zu. „Ich gebe Ihnen eine vorläufige Bescheinigung, damit Sie mit einem Hospiz in Kontakt treten können. Falls Sie einen Platz bekommen, kommen Sie nochmal zu mir, dann kriegen Sie die richtigen Papiere.“

~

Frau Renninger leitet Haus Leerwaldt und ist am Telefon genauso skeptisch wie mein Arzt. Aber ich habe sie, die ärztliche Bescheinigung zur Feststellung der Notwendigkeit vollstationärer Hospizversorgung nach § 39a Abs. 1 Sozialgesetzbuch, fünftes Buch. Mein Ticket fürs Hospiz. Schließlich setzt Frau Renninger mich auf die Liste. Für meine letzten zwei Monate darf ich hier sein. Wenn ich überhaupt so lange lebe.

~

Der Wagen wendet und verlässt die Zufahrt. Es ist früher Abend und ich habe den ganzen Tag gesessen. Ich strecke mich in den Wind und bemerke kaum, wie Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand instinktiv die Stelle unter den Rippen suchen und ich einatme.

Es war lange Zeit nicht klar, ob zum richtigen Zeitpunkt überhaupt ein Zimmer frei ist. Viele Menschen sterben, die Warteliste ist lang. Jetzt stehe ich hier und sehe niemanden. Aus ein paar Fenstern scheint Licht, hinter einigen Gardinen flimmert das Fernsehblau. Aber niemand ist auf dem Hof, niemand steht auf den kleinen Balkonen oder sieht aus dem Fenster.

Etwas streicht an meinen Beinen entlang und ich zucke zurück. Die Katze wirft mir einen lauernden Blick zu und läuft um die Ecke des Hauses. An der Wand hängt ein Schild, in pastellfarbenem Braun und Türkis, eine Silhouette der Gebäude, die mich umgeben, darunter der Name.

Haus Leerwaldt. Den letzten Tagen Leben geben.

Zwischen meinen Schulterblättern kribbelt es. Ich räuspere mich, nehme den Rucksack und ziehe den Koffer über den Schotter zur Eingangstür.

~

Der Mann hinter der Theke ist Anfang 20 und sieht mich so freundlich und vertraut an, dass ich mir sicher bin, dass er mich mit jemandem verwechselt. Er steht auf und ich lege meine Hände auf die Holzfläche des Tresens. Später werde ich wissen, dass Martin zu jedem so freundlich ist.

„Herzlich willkommen in Haus Leerwaldt. Was kann ich für Sie tun?“

„Alexander Fink. Ich möchte … einchecken? Sagt man das so?“

Er lächelt und beugt sich zu der Tastatur.

„Die meisten sagen gar nichts. Aber die meisten kommen hier auch nicht alleine reingelaufen. Hallo Herr Fink, ich bin Martin. Nehmen Sie gerne Platz, ich sage Frau Renninger Bescheid, dass Sie da sind.“

Indirektes, warmes Licht beleuchtet den Raum, ein heller, türkisfarbener Streifen verläuft in einem Meter Höhe über die Wände. Die Lehnen des Sofas und der Sessel sind aus dunklem Holz, daneben steht eine Pflanze, die aussieht wie eine Palme.

Auf dem kleinen Tisch vor einem Sofa steht eine Schale mit Süßigkeiten, daneben liegen ein paar Zeitschriften. Der Spiegel, die Glamour, die AutoMotorSport, die Landlust.

Die Tür neben dem Empfang öffnet sich und Martin tritt mit Frau Renninger heraus. Sie ist älter als auf dem Foto im Internet, die Haare sind kürzer und grauer und das Gesicht hat eine rundere Form, die Brille ist neu. Sie ist nur ein wenig kleiner als ich und hat einen überraschend kräftigen Händedruck.

„Haben Sie gut hergefunden? Kommen Sie. Brauchen Sie Hilfe mit dem Gepäck? Ich gehe davon aus, dass Sie müde sind. Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer und lasse Ihnen das Abendessen bringen. Sie können in Ruhe ankommen und wir unterhalten uns morgen. Dann zeige ich Ihnen auch den Rest unseres Hauses.“

Der Gang ist mit dem gleichen warmen Licht beleuchtet, der Holzboden schimmert und knapp über dem türkisfarbenen Streifen verläuft ein Handlauf an den Wänden. Rechts sind die Fenster zum Hof, auf der linken Seite des Flurs gehen Zimmer ab, jedes mit eigener Klingel samt Messingschild, eingravierter Nummer und einem Feld, auf das eine geübte Hand Namen gemalt hat. Über jeder Tür ist eine unauffällige, zweifarbige Ampel angebracht. Manche Türen sind nur angelehnt und eine so weit geöffnet, dass ich den laufenden Fernseher und ein kleines Nachtlicht in Mondform sehen kann.

Wir kommen an einer Nische vorbei, in der weitere Sessel stehen und von der eine Glastür nach draußen führt. Der Gang steigt sanft an und ich verstehe, dass wir von einem Haus ins nächste gehen. Kurz darauf bleibt Frau Renninger an einem Aufzug stehen.

„Wir befinden uns nun im Matthiasflügel. Ihr Zimmer liegt im zweiten Stock. Wir haben zwar seit vorgestern noch ein Zimmer im Erdgeschoss frei, aber Sie gehören zu den agileren Gästen. Da können Sie noch ein paar Stockwerke überwinden. Sobald sich das ändert, bekommen Sie einen Rollstuhl.“

„Okay.“

Die Fahrstuhltüren öffnen sich und ich folge Frau Renninger durch einen weiteren Flur.

„Wie gesagt, morgen werden Sie durch das Haus geführt, und dann finden Sie sich auch bald zurecht.“

„Okay.“

Vor einer Tür steht eine kleine rote Kerze auf dem Boden, deren Flamme sich sanft bewegt. Wir gehen daran vorbei und ich drehe mich nach ihr um.

„Die Kerze?“

„Der Gast ist heute Nacht verstorben. Im Gemeinschaftsraum brennt eine weitere. So weiß jeder Bescheid.“

„Okay.“

Wir biegen um eine Ecke und bleiben vor einer offenen Tür stehen, Zimmer 208. Frau Renninger zeigt in den offenen Raum.

„Bitte sehr. Ihr Zimmer.“

Durch die beiden Fenster sehe ich die ersten Bäume des Waldes, eine Glastür führt auf einen kleinen Balkon. Das Bett steht unter der Dachschräge, gegenüber ein Tisch und zwei Stühle, darüber ein Fernseher an der Wand. Direkt neben der Zimmertür eine Schiebetür aus Milchglas, die ins Bad führt. Auf der anderen Seite ein in die Wand eingelassener Schrank.

„Falls Sie Fragen haben, neben dem Bett steht das Telefon. Im Notfall können Sie auch den Knopf drücken.“

„Okay.“

„Kommen Sie gut an. Haben Sie eine gute Nacht.“

Sie streckt mir ihre Hand hin und geht. Ich ziehe den Koffer in das Zimmer. Mein Zimmer. Mein letztes Zimmer.

Immer noch wach

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