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5.

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Obwohl sie mit dem Rücken zu Krieger stand, bemerkte Anna Cole ihn schon, bevor er sie erreicht hatte. Ihr Chef hatte sie eben informiert, dass ein Mitarbeiter des SKT auf Anweisung »von ganz oben« Zugang zu allen Informationen bekommen sollte. Er hatte ihr aber freie Hand gelassen, ob sie mit ihm zusammenarbeiten wollte oder nicht. Wenn er helfen konnte, sollte er helfen, wenn nicht, musste er auch nicht alles wissen. Er überließ ihr die Entscheidung.

Ohne ihn gesehen zu haben, wusste sie schon, wie ihre Entscheidung ausfallen würde. Denn Anna Cole hielt nichts davon, sich auf andere zu verlassen. Hilfe brauchten Menschen, die es nicht alleine schafften. Das hatte sie von ihrem Vater gelernt. Verlasse dich nur auf dich selbst, hatte er ihr immer wieder gesagt. Danach hatte sie ihr Leben ausgerichtet. Seitdem sie die Schule verlassen hatte, hatte sie für die gleichen Jobs härter und mehr arbeiten müssen als ihre männlichen Kollegen. Auch wenn das nicht gerecht war, haderte sie nicht damit. So waren die Regeln, ob sie das nun mochte oder nicht. Es hatte sie ja keiner gezwungen, zur Polizei zu gehen. Das war ausschließlich ihre Entscheidung. Und diese Entscheidung hatte sie zu keiner Zeit bereut.

Deshalb brauchte sie auch jetzt keine Hilfe.

Sie drehte sich um, bevor Krieger sie ansprechen konnte, und war überrascht von dem, was sie da vor sich sah. Er war ganz anders, als sie ihn sich vorgestellt hatte, und insgeheim ärgerte sie sich, dass ihre Vorurteile nicht bestätigt wurden. Sie hatte mit einem Spießer in Anzug und Krawatte gerechnet. Doch der Mann, der jetzt vor ihr stand, hatte so gar nichts Spießiges. Er war groß und auf eine männliche Art sehr attraktiv. Doch am meisten faszinierten sie seine Augen. Sie strahlten eine außergewöhnliche Härte und gleichzeitig Ruhe und Gelassenheit aus. Dann wanderte ihr Blick weiter nach unten. Seiner Kleidung nach zu urteilen, musste er in unmittelbarer Nähe der Explosion gewesen sein. Seine Jeans waren zerrissen, seine Arme voller Blut. Um die rechte Hand trug er einen Verband. Er blieb vor ihr stehen und blickte sie herausfordernd und offen an. »Sie müssen Anna Cole sein«, sagte er. »Mein Name ist Krieger. Luk Krieger.«

»Ich weiß«, antwortete sie und fuhr selbstbewusst fort: »Mein Chef hat mich eben informiert. Um ehrlich zu sein, habe ich nicht gerade auf Sie gewartet.« Sie hielt inne, weil sie mit Widerspruch oder Erklärungen von ihm rechnete. Doch zu ihrer Überraschung blieb Krieger vollkommen ruhig. Er erwiderte zwar ihren Blick, doch er unterbrach sie nicht. Ganz so, als wenn er wüsste, was in ihr vorging. Ungewöhnlich, dachte sie. Ungewöhnlich, aber auf eine gute Art.

»Okay«, sagte sie spontan, mehr einem Impuls als ihrem Kopf folgend. »Wo Sie schon mal da sind, können Sie auch bleiben.«

Für einen Moment glaubte sie, so etwas wie ein Lächeln auf seinem Gesicht gesehen zu haben.

»Ich bin mir sicher, dass Sie Ihren Job sehr gut machen, und ich weiß, dass ich nur zur Beobachtung hier sein soll«, begann er dann mit ruhiger Stimme. »Sie müssen aber auch wissen, dass ich mich mit Situationen wie dieser hier sehr gut auskenne. Ich biete Ihnen meine aktive Unterstützung an.« Er hielt kurz inne und sah ihr direkt in die Augen »Ob Sie meine Hilfe annehmen wollen, ist allerdings ganz allein Ihre Entscheidung. Aber Sie müssen sich jetzt entscheiden. Wir haben nur sehr, sehr wenig Zeit, die nächsten Schritte einzuleiten.«

Er wollte also nicht nur zuschauen, sondern mitmischen, dachte sie. Insgeheim fühlte sie sich überfordert. Eigentlich hätte sie ihn spätestens jetzt zum Teufel jagen müssen, jeder ihrer Kollegen hätte das verstanden, auch ihr Chef. Das ging deutlich zu weit. Doch aus einem ihr unerklärlichen Grund hielt etwas sie davon ab, ihm sofort den Laufpass zu geben. Und das lag nicht allein daran, dass ihr klar war, wie wenig Erfahrung sie mit solchen Attentaten hatte und dass sie über jede Art von Unterstützung dankbar sein musste. Das hier war zu ungewöhnlich. Ein Spion, der aus dem Nichts kam. Auf der einen Seite warnte ihr Verstand sie, dass sie ihm nicht vertrauen konnte, ja gar nicht erst durfte. Doch ihr Gefühl sagte etwas anderes. Sie hatte den Eindruck, dass er es ehrlich meinte. Sie fühlte sich auch nicht von ihm unter Druck gesetzt. Es schien, als legte er die Entscheidung, ob sie seine Hilfe annehmen wollte oder nicht, wirklich in ihre Hände. Das gefiel ihr. Aber ihr blieb keine Zeit für eine weitere Abwägung. Er hatte recht. Direkt nach einem Verbrechen konnte man am meisten richtig machen. Oder eben auch nicht. Sie musste sich jetzt entscheiden. Und wenn sie in sich hineinhörte, war ihr klar, dass sie ihre Entscheidung längst getroffen hatte. Ihr Gefühl sagte ihr, sie sollte diesem rätselhaften Mann vertrauen. Und ihr Gefühl hatte sie noch nie enttäuscht.

»Was würden Sie denn als Nächstes tun?«, fragte sie ihn deshalb.

»Das ist sehr einfach«, erwiderte er. »Wir müssen den Täter fassen, solange uns das möglich ist. Das heißt, wir müssen schnell handeln, denn er kann noch nicht weit sein. Haben Sie die Flughäfen und Bahnhöfe gecheckt? Züge und Flieger, die in den letzten dreißig Minuten Berlin verlassen haben? Passagiere, die nur einen One-Way-Flug gebucht haben oder ohne Gepäck gereist sind?«

Das hatte sie nicht. Noch nicht. Sie musste doch erst mal den Tatort untersuchen und verstehen, was passiert war. Es war ja noch nicht einmal klar, ob es ein Unfall oder ein Anschlag gewesen war. Vielleicht war einfach nur eine Gasleitung explodiert. Außerdem war sie doch gerade erst am Tatort eingetroffen, da konnte sie doch noch gar keine Fahndung in die Wege geleitet haben. Und woher wusste er überhaupt schon, wonach er suchte? Oder bluffte er?

Doch bevor sie ihn all das fragen konnte, fuhr Krieger genauso sachlich wie ruhig fort: »Ich vermute, dass wir es hier mit einer Sprengfalle mit Zeitzünder zu tun haben. Der Täter war nicht mehr am Tatort, sonst hätte er die zweite Bombe später gezündet. Dann hätte er mit all den Helfern und Schaulustigen noch mehr Schaden anrichten können. Und nur darum ist es hier gegangen. Zerstörung. Chaos. Außerdem muss er die Bomben heute platziert haben, sonst hätten die Putzkräfte sie gestern Nacht finden können. Das wäre zu riskant gewesen. Wahrscheinlich hat er die Stadt bereits verlassen, das kann aber noch nicht lange her sein. Ich tippe auf Flugzeug.«

Anna Cole wurde schlagartig eins klar: Er wusste tatsächlich, wovon er redete. Und sie hatte keine Ahnung, was hier gerade passiert war. Gewalttäter, Bankräuber oder Drogendealer – damit kannte sie sich aus. Da machte ihr keiner etwas vor, das war ihre Welt. Aber das jetzt: radikaler Terrorismus. Maximale und gezielte Vernichtung von Menschenleben. Das gab es in Berlin nicht. Das konnte es hier nicht geben. So was durfte nicht sein. Und doch war es eben passiert. Anna Cole wurde noch etwas klar. Sie war überfordert. Sie brauchte für diesen Fall Unterstützung. Gerade als sie Krieger fragen wollte, woher er die Sicherheit nahm, die Lage zu beurteilen, und ob es nicht auch anders gewesen sein könnte, kam einer ihrer Kollegen aus den Trümmern auf sie zu. Er trug eine Schutzweste mit einem Aufdruck, der ihn als Mitglied des Bombenentschärfungsteams auswies. Sein Gesicht und seine Hände waren rußverschmiert. In seinen Augen spiegelte sich große Sorge wider.

»Chefin, ich kann dir kein hundertprozentiges Ergebnis präsentieren, dafür müssen wir auf die Laborauswertungen warten. Aber ich habe eine erste Einschätzung, und die wird dir nicht gefallen.«

Sie sah ihn an und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie zutiefst beunruhigt sie war.

»Es waren ziemlich sicher zwei Bomben. Beide mit Zeitzündern gesteuert.« Er hielt einen kleinen verkohlten Gegenstand in die Höhe. »Ich vermute«, fuhr er fort, »dass die Sprengsätze absichtlich versetzt explodiert sind, um mit der zweiten Explosion die zu Hilfe kommenden Retter zu töten.« Sorge spiegelte sich auf seinem Gesicht wider. »Anna. So was kenne ich nur aus meiner Zeit im Irak. So was gab es bisher noch nicht in Deutschland. Chefin, ich glaube, wir stecken ernsthaft in der Scheiße!«

Verraten

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