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9. Berlin, 13:05 Uhr

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An der Ecke von Kurfürstendamm und Meinekestraße, schräg gegenüber vom Vargas, lag das Star-Music-Café, ein Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt. Doch die sonst so einladende Fassade war schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Der Druck der Explosion hatte die Scheiben zerstört, an einen normalen Restaurantbetrieb war nicht mehr zu denken. Nahezu alle Gäste standen vor der Tür und beobachteten die Geschehnisse auf der anderen Straßenseite, wo immer neue Rettungswagen eintrafen, um die Opfer des Attentats in die nächstgelegenen Krankenhäuser zu bringen. Ähnliche Szenen spielten sich vor den übrigen Restaurants und Geschäften ab, die den Ku’damm säumten. Die Menschen standen auf der Straße und wirkten wie paralysiert. Keiner konnte fassen, was geschehen war, und kaum jemand wusste, was er tun sollte. Die Stimmung schwankte zwischen Unglauben und Panik.

Anna Cole folgte Krieger und scannte im Vorbeigehen die Gesichter der Passanten. Sie war darauf geschult, ungewöhnliches Verhalten sofort zu erkennen, mit den Jahren war es ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Aber sie konnte keine Auffälligkeit entdecken. Deshalb fragte sie sich, wo Krieger mit den Ermittlungen beginnen würde.

Der zog den Autoschlüssel aus der Tasche seiner zerrissenen Jeans und betätigte den Türöffner. Begleitet von einem doppelten Blinken und dem für amerikanische Fahrzeuge typischen Piepsen sprangen die Verriegelungen des mächtigen dunkelgrünen Jeeps auf. Anna Cole öffnete die Tür auf der Beifahrerseite und kletterte über die schwarze Fußleiste auf den Sitz.

Krieger nahm auf der Fahrerseite Platz und startete den Wagen. Mit einem tiefen Grollen sprang der Achtzylinder an.

»Wohin fahren wir?«, fragte Anna Cole.

»Wir werden uns mit einem Bekannten von mir treffen«, antwortete Krieger und drückte das Gaspedal bis aufs Blech durch. Der Motor heulte auf, und der Wagen schoss durch die Meinekestraße in Richtung Lietzenburger Straße.

Anna Cole hielt sich mit einer Hand an dem Griff über dem Handschuhfach fest und suchte mit der anderen vergebens nach einem Griff über der Tür, um ihr Gleichgewicht zu halten. Es gab keinen. Krieger schienen weder die Geschwindigkeit noch die Fliehkräfte etwas auszumachen. Während er mit einer Hand den Wagen lenkte, griff er mit der anderen nach seinem Handy. Ohne den Blick von der Straße zu nehmen, wählte er eine Nummer und hielt das Telefon ans Ohr. Cole konnte hören, dass bereits nach dem zweiten Klingeln der Anruf angenommen wurde.

»Saman, Krieger hier. Ich grüße dich, mein Freund«, sagte er und nahm das Telefon in die andere Hand. Cole konnte nicht verstehen, was Kriegers Gesprächspartner sagte, aber sie beobachtete den Agenten und versuchte an seiner Gestik und Mimik abzulesen, worum es ging.

»Ja, genau deshalb rufe ich an«, fuhr Krieger fort. »Wir müssen uns treffen, denn ich brauche deinen Rat«, sagte er und sah auf die Uhr. »Okay, in einer Stunde. Ja, am üblichen Ort.« Bevor er die nächste Frage beantwortete, blickte er kurz zu der Kommissarin. Dann sagte er: »Ja, ich werde alleine kommen.« Offensichtlich machte sein Gesprächspartner eine weitere Bemerkung, die sich auf Cole bezog, denn Krieger sah sie erneut an. Ein Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen. Dann sagte er: »Nein, die Kommissarin wird nicht dabei sein«, und legte auf.

»Ihr Freund scheint über gute Informanten zu verfügen«, sagte Cole erstaunt.

Krieger lächelte. »Ja, das kann man so sagen. Deshalb werden wir ja auch zu ihm fahren.«

»Sie meinen, Sie werden zu ihm fahren«, erwiderte sie, ehe sie sich wegen eines abrupten Spurwechsels erneut an dem Haltegriff über dem Handschuhfach festhalten musste, um nicht gegen die Seitenscheibe geschleudert zu werden. Als sie sich wieder gefasst hatte und durch die Windschutzscheibe auf die Straße schaute, konnte sie einen Aufschrei nur mühsam unterdrücken.

Krieger hatte den Jeep in den Gegenverkehr gezogen, da sich die Autos auf ihrer Seite der Straße stauten. Er wich sehr knapp einem weißen Mercedes Cabrio aus, bevor er um einen Laster, der auf die Bremsen stieg, herum auf eine rote Ampel zuschoss. Unmittelbar bevor der schwere Geländewagen mit einem parkenden Mülllaster kollidieren konnte, zog Krieger die Handbremse an und schlug das Lenkrad nach rechts ein. Der Jeep drehte sich und rutschte in einem rechten Winkel von der Lietzenburger Straße in die Bundesallee, wobei er so stark schaukelte, dass Anna Cole fürchtete, er würde gleich umkippen. Im letzten Moment löste Krieger die Handbremse, drückte das Gaspedal durch und fing den Geländewagen ab.

Während er weiter beschleunigte, griff er erneut nach seinem Telefon, offensichtlich, um eine SMS zu checken. Krieger machte nicht den Eindruck, als würde er irgendwas an seiner Fahrweise für ungewöhnlich halten.

»Fahren Sie immer so?«, fragte Cole, und der Agent sah sie überrascht an.

»Was meinen Sie?«, fragte er und wich nur knapp einem weiteren Fahrzeug aus, das direkt vor ihnen gebremst hatte, um links abzubiegen.

»Schon gut«, sagte die Kommissarin und gab auf. Es machte ganz offensichtlich keinen Sinn, seinen Fahrstil zu diskutieren. »Wo fahren wir jetzt hin?«

»Zu mir«, sagte Krieger. »Ich muss mich waschen und umziehen, wenn ich nicht festgenommen werden will.« Anna Cole musterte ihn von oben bis unten. Gesicht und Hände waren zerschrammt und voller verkrustetem Blut. Ein Hosenbein seiner dunkelblauen Jeans war zerrissen und blutgetränkt. Sie musste ihm recht geben. So würde er auffallen wie ein bunter Hund und über kurz oder lang von der Polizei angesprochen werden.

»Außerdem«, fuhr er fort, »muss ich noch ein paar Dinge zusammensuchen. Danach treffen wir uns mit meinem Bekannten.«

»Was ist das für ein Bekannter?«, fragte Cole.

Krieger runzelte die Stirn, als müsste er kurz nachdenken, wie weit er die Kommissarin in seine Bekanntschaft einweihen wollte. Dann erwiderte er: »Ich habe Saman vor neun Jahren in Afghanistan kennengelernt.«

»Und?«

»Nun«, sagte Krieger und lenkte den Wagen von der Bundesallee unter Missachtung einer weiteren Verkehrsregel in eine ruhige Seitenstraße, wo er langsam die Geschwindigkeit reduzierte, bevor er vor dem Haus mit der Nummer vier zum Stehen kam. »Sagen wir es mal so: Religiös motivierte Attentate sind ihm nicht ganz fremd.«

Er öffnete die Wagentür und lächelte die Kommissarin an. »Kommen Sie mit, oder warten Sie im Auto?«

Bevor Anna Cole ihm folgte, atmete sie erst einmal tief durch, dankbar, dass sie die Fahrt unverletzt überstanden hatte. Dann sprang sie auf ihrer Seite aus dem Jeep und eilte hinter ihm her.

»Hier wohnen Sie?«

»Hier wohne ich«, bestätigte er und schloss die Haustür auf. Das Haus musste um 1900 herum gebaut sein. Klassischer Berliner Altbau mit hohen Decken und großen alten Fenstern. Krieger öffnete die Haustür und hielt sie der Kommissarin auf. Das Treppenhaus war karg, die Farbe an einigen Stellen abgeplatzt. Es gab keinen Fahrstuhl, deshalb folgte Cole Krieger die Treppen hinauf bis ins Dachgeschoss. Die Decken waren hier insgesamt etwas flacher als in den übrigen Geschossen, und die Bauart des Eingangs deutete darauf hin, dass das Dach in den 1980er-Jahren ausgebaut worden war. Krieger öffnete die Tür. Sonnenstrahlen, die durch das Oberlicht in der Decke fielen, empfingen sie. Von dem langen, weiß gestrichenen Flur gingen links und rechts Türen zu zwei Zimmern und einem Bad ab.

»Nehmen Sie sich was aus dem Kühlschrank, wenn Sie Durst haben«, sagte Krieger. »Ich werde kurz duschen, wir fahren in zehn Minuten weiter.« Er zog sein T-Shirt über den Kopf, während er im Bad verschwand und die Tür hinter sich zuzog.

Verraten

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