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8.

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Mit einem Ruck setzte die Maschine auf der Landebahn des Flughafens Köln-Bonn auf. Unter den Passagieren war ein Mann mittleren Alters mit mediterranem Teint und dunkelblauem Anzug. Den Namen, mit dem er zur Welt gekommen war, kannte außer ihm selbst nur noch seine Mutter. Und die war vor vielen Jahren verstorben. In seiner Branche waren echte Namen ohnehin Nebensache. Sie wurde von Pseudonymen und Euphemismen beherrscht, und je berühmter und erfolgreicher jemand war, desto mehr Mythen rankten sich um seine Person. Ihn nannte man den Adler. Und er war bereits jetzt eine lebende Legende.

Der Adler schlug die Augen auf. Obwohl er unmittelbar nach dem Start in Berlin eingeschlafen war, war er sofort wieder hellwach. Die Fähigkeit, zu jeder Zeit schlafen zu können, um seine Energiereserven wieder aufzuladen, hatte er in einem früheren Leben beim Militär gelernt. Während eines Einsatzes hinter feindlichen Linien verloren Tag und Nacht an Bedeutung. Es zählte das Ziel, dem alles untergeordnet war. Ruhepausen waren unregelmäßig und von unterschiedlicher Länge. Das Überleben hing davon ab, so leistungsfähig zu sein wie möglich. Wem es nicht gelang, schnell einzuschlafen und die nötige Ruhe zu finden, dem gelang es auch nicht, unter den schwersten Bedingungen zu überleben. Der Adler hatte jeden Einsatz überlebt.

Der Pilot aktivierte die Schubumkehr und die Turbinen heulten auf. Gleichzeitig bremste er die Maschine etwas zu stark ab, sodass die Passagiere in ihren Sitzen leicht nach vorne gezogen wurden.

Der Adler sah sich um. Der Airbus A 319 war nur etwa zur Hälfte gefüllt, was auf dieser Strecke am Wochenende normal war. Die innerdeutschen Verbindungen, die nicht die Drehkreuze Frankfurt, München oder Düsseldorf anflogen, wurden während der Woche überwiegend von Geschäftsleuten genutzt. Heute jedoch waren vor allem Touristen an Bord, die nach Köln wollten. Sie kamen, um Freunde oder eine der zahlreichen Fernsehshows zu besuchen, die hier aufgezeichnet wurden, um Urlaub zu machen oder um einfach eine gute Zeit zu haben. Da die Maschine gestartet war, bevor die Bomben detonierten, hatte keiner von ihnen bisher von dem Attentat in Berlin gehört. Doch das würde sich sehr bald ändern.

Das Flugzeug kam mit einem leichten Ruck zum Stehen, und der Pilot stellte die Triebwerke ab. Die Flugbegleiter öffneten die Tür. Nach und nach verließen die Passagiere die Maschine über den vorderen Ausgang. Der Adler griff nach seinem Mantel und setzte seine Sonnenbrille auf. Er fühlte sich wohler, wenn niemand seine Augen sah.

Die ersten Passagiere checkten bereits ihre E-Mail-Nachrichten, und wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von dem Attentat in Berlin.

Im Flughafengebäude hatten sich bereits Trauben von Menschen vor den zahlreichen Fernsehmonitoren gebildet. Erfüllt von Unglauben, Schrecken und Besorgnis verfolgten sie die »Breaking News« der Nachrichtensender. Die Stimmung war gedrückt, und die ersten Theorien, was die Ursache der Explosionen gewesen sein könnte, machten die Runde.

Der Adler betrachtete die Szene mit einer gewissen Genugtuung. Den ersten Teil seines heutigen Auftrags hatte er erfolgreich ausgeführt. Auf zum nächsten, dachte er und folgte den Schildern, die Richtung Ausgang wiesen.

Nachdem er die Gepäckabfertigung passiert hatte, musste er sich kurz orientieren. Auf der linken Seite fand er den Hinweis, den er suchte. Nach etwa hundertfünfzig Metern erreichte er die Männertoilette. Er musste einen Moment warten, denn sie wurde gerade gereinigt. Ein gelbes Schild vor der Tür verhinderte den Zutritt, doch schon zwei Minuten später war alles erledigt, und der Adler betrat das WC. Im vorderen Bereich des weiß gekachelten Raumes war eine Reihe von Waschbecken angebracht, dahinter lagen die Pissoirs und am Ende die Kabinen. Der Adler vergewisserte sich, dass die letzte Kabine frei war, und schob sich hinein. Er verschloss die Tür hinter sich und begann, die Fliesen von der linken Seite der Decke an zu zählen. Bei der fünften Fliese hielt er inne und zählte dann sieben nach unten. Die Fliese sah genauso aus wie jede andere, doch auf Druck gab sie nach und ließ sich herausnehmen. In der Wandöffnung dahinter war ein kleiner silberner Schlüssel verborgen. Der Adler nahm ihn an sich und ließ ihn in die rechte Tasche seines Mantels gleiten. Dann betätigte er die Spülung, setzte die Fliese wieder ein und verließ kurz danach die Kabine. Er wusch sich die Hände und machte sich auf den Weg zur Gepäckaufbewahrung.

In mehreren Abschnitten waren hier zahlreiche Schließfächer aneinandergereiht, um für maximal vierundzwanzig Stunden Wertsachen oder anderes Gepäck aufzunehmen. Der Adler prüfte, welche Nummer auf seinem Schlüssel eingraviert war, und musste lächeln. Sein Auftraggeber hatte einen sehr schwarzen Humor. Der Schlüssel gehörte zum Gepäckfach 911. 9/11, der Tag, der die Welt verändert hatte. Für die meisten Menschen war der Tag, an dem die USA zum ersten Mal seit Pearl Harbor auf US-amerikanischem Boden angegriffen wurden, ein Tag des Grauens. Tausende hatten Familienangehörige und Freunde verloren. Für sie war danach nichts mehr wie zuvor. Der Einsturz des World Trade Centers hatte nach dem Ende des Kalten Krieges eine neue Epoche der Bedrohung eingeläutet, mit der keiner gerechnet hatte – oder zumindest keiner rechnen wollte.

Doch nicht überall auf der Welt wurde das Attentat bedauert. In einigen Ländern gab es Gruppen, die in den USA die Ausgeburt des Bösen sahen und die den Tod jedes einzelnen Opfers als eine von Gott gewollte Rache an den Ungläubigen feierten. Auch wenn diese Menschen in der Minderheit waren, verhalfen ihnen die Medien zu einer großen Aufmerksamkeit. Radikale Ideen und Angst verkauften sich gut.

Den Adler interessierten weder die Motive noch die Hintergründe des Anschlags. Das Einzige, was ihn interessierte, war er selbst. Für ihn war der 11. September 2001 ein guter Tag gewesen, denn die Ereignisse hatten seine berufliche Zukunft auf Jahre hinaus gesichert. Der Adler beschäftigte sich weder mit Religion, noch fragte er sich, ob ein Konflikt berechtigt oder unberechtigt war. Er war ein Profikiller, und alles, was für ihn zählte, war, dass es Konflikte gab. Je mächtiger die Gegner und je größer das Interesse der Öffentlichkeit, desto besser war es für ihn. Denn wo mächtige Männer und Frauen Krieg führten, gab es Arbeit für ihn. Er hatte sein Ziel noch nie verfehlt. Noch nie. Das ermöglichte es ihm, beinahe jeden Preis für einen Auftrag zu fordern. Genau wie in diesem Fall. Und auch dieses Mal würde er seinen Auftrag erfolgreich zu Ende bringen.

In der dritten Reihe der Schließfächer, ziemlich am Ende des Ganges, entdeckte er das Fach mit der Nummer 911. Er steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn nach rechts. Leicht und präzise bewegte sich der Schlüssel in der Führung, und mit einem Klick öffnete sich die Tür. In dem mittelgroßen Fach lag eine elegante dunkelbraune Aktentasche. Der Adler nahm die Tasche an sich und verschloss das Schließfach wieder. Dann machte er sich auf den Weg zu den Mietwagen-Schaltern. Er ging vorbei an den relativ leeren Ständen verschiedener Anbieter und reihte sich in die längste Schlange ein. Das war eine bewusste Entscheidung, denn je mehr Kunden die Mitarbeiter in einer kurzen Zeit abfertigen mussten, desto weniger würden sie sich an jede einzelne Person erinnern. Genau darauf kam es ihm an. Nicht aufzufallen war Teil seines Berufes. Aus diesem Grund wählte er einen dunkelblauen deutschen Mittelklassewagen, den am häufigsten vermieteten PKW. Er unterzeichnete den Vertrag mit einer seiner zahlreichen falschen Identitäten. Sergio Esposito, italienischer Geschäftsmann auf Dienstreise in Deutschland. Der Vertrag lief über drei Tage, doch der Adler würde das Auto keine drei Stunden benötigen.

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