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3.

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Richard Thomsen legte den Hörer auf. Er saß am Schreibtisch seines Büros, mit dem Rücken zur Wand. Diesen Platz hatte er bewusst gewählt, denn vor dem Fenster hätte er jederzeit ein leichtes Ziel für einen Scharfschützen abgegeben.

Der Raum war nüchtern und zweckmäßig eingerichtet: Büromöbel, Besprechungstisch, alles Militärstandardware. Graues Metall, Blech, billiges Holz. An der Wand hinter dem Schreibtisch hingen zwei Bilder. Obwohl beide vor vielen Jahren aufgenommen worden waren, hatte sich Thomsen, mittlerweile vierundsechzig Jahre alt, kaum verändert. Lediglich einige graue Stellen in seinem kurzen dunklen Haar gaben einen Hinweis auf sein wahres Alter. Auf dem einen Foto war er zu sehen, wie er Bill Clinton die Hand schüttelte. Die Aufnahme war kurz vor dem Ende von Clintons zweiter Amtszeit geschossen worden in Camp David, dem offiziellen Feriensitz der amerikanischen Präsidenten. Als die Aufnahme entstand, hatte Thomsen eine geheime Operation geleitet, die der deutsche Auslandsgeheimdienst MAD zusammen mit der US Naval Special Warfare Development Group, besser bekannt unter ihrem ursprünglichen Namen, Navy Seals Team Six, durchgeführt hatte. Gemeinsam hatten sie mehrere amerikanische und deutsche Gefangene aus einer Geiselsituation befreien können.

Auf dem anderen Bild, gehalten von einem mattschwarzen Rahmen, sah man ihn als jungen Mann von Anfang dreißig. Neben ihm standen seine Frau und sein Sohn. Die Frau – sehr attraktiv – hatte schwarze, mittellange Haare und trug ein weißes Sommerkleid. In der Hand hielt sie eine rote Rose. Der Junge war trotz seines jungen Alters – er war gerade erst dreizehn geworden – bereits fast so groß wie der Vater und unverkennbar dessen Sohn. Alle drei lächelten in die Kamera, und in ihren Gesichtern spiegelten sich Glück und Zufriedenheit wider. Eine Familie wie aus dem Bilderbuch.

Wenige Stunden, nachdem die Aufnahme entstanden war, wurden Thomsen und seine Familie Opfer eines Anschlags. Sie befanden sich auf einer Urlaubsreise in Israel, und als sie in einem kleinen Straßencafé in Tel Aviv zu Mittag aßen, piepste Thomsens Pager. Er ging in das Café, um über den Münzfernsprecher bei den Toiletten sein Büro zurückzurufen. Gerade als er den Hörer abhob, explodierte auf der Straße vor dem Café eine Autobombe. Sie riss Thomsens Frau und seinen Sohn in den Tod.

Thomsen hatte sich das nie verziehen. Die Jahre nach dem Attentat fand er keinen Schlaf. Jede Nacht wurde er von demselben Albtraum geplagt. Er durchlebte den Verlust seiner Familie immer und immer wieder. Die letzten gemeinsamen Momente vergingen dabei wie in Zeitlupe, und immer in dem Augenblick, in dem die Bombe explodierte, schreckte er schweißgebadet hoch. In diesen Nächten wünschte er sich nichts sehnlicher, als dass er derjenige gewesen wäre, der gestorben wäre, und dass seine Frau und sein Sohn noch lebten. Im dritten Jahr nach dem Attentat beschloss er, dass die Zeit der Trauer vorbei sei. Für ihn begann die Zeit der Rache. Er ließ sich drei Monate beurlauben und reiste direkt nach Israel. Was dort dann geschehen war, wusste niemand, aber es ging das Gerücht um, er hätte die beiden Männer, die für den Tod seiner Familie verantwortlich waren, ausfindig gemacht und zur Rechenschaft gezogen. Sechs Wochen später kehrte er nach Deutschland zurück und begann, für den Geheimdienst zu arbeiten. Aufgrund seiner außerordentlichen Fähigkeiten, seines messerscharfen Verstandes und weil er kein Privatleben mehr kannte, durchlief er die Ränge im Eiltempo. Es dauerte keine fünf Jahre, da leitete er eine Abteilung, die für verdeckte Operationen zuständig war. Offiziell existierte diese Einheit gar nicht, denn über ihre Einsätze gab es keine Aufzeichnungen, und sie wurde ausschließlich aus geheimen Kassen finanziert. In den folgenden Jahren kämpften Thomsen und sein Team erfolgreich und von der Öffentlichkeit unbemerkt gegen den internationalen Terrorismus.

Bis am 11. September 2001 die Welt für einen Moment stillzustehen drohte und der Schrecken ein Gesicht bekam. Das veränderte auch die Einstellung der Bevölkerung, und nach dem Einsturz der Twin Towers wurde der Kampf gegen den Terror salonfähig.

Das ermöglichte es Thomsen und seiner Abteilung, aus dem Schattendasein herauszutreten. Mit Unterstützung des Militärischen Abschirmdienstes und des Verteidigungsministeriums wurde das SKT gegründet, dessen erster und bislang einziger Chef Thomsen war. Zunächst unterstand die Einheit direkt dem Bundeskanzler, der ihr völlig freie Hand ließ. Nach dem Regierungswechsel wurden die Mittel des SKT erheblich gekürzt und aufgrund der veränderten Schwerpunkte in der Politik der Kanzlerin schließlich dem Verteidigungsministerium unter der Leitung von Hugo Karch unterstellt. Im Gegensatz zur Kanzlerin hatte Karch großes Interesse an den Einsätzen und der Planung des SKT, da er ebenso wie Thomsen daran glaubte, dass die Gefahr des Terrors auch in Deutschland allgegenwärtig war und unbedingt bekämpft werden musste. Doch im Unterschied zu Thomsen war er der Überzeugung, dem Terror müsse ausschließlich mit legalen Mitteln im Rahmen der bestehenden Gesetze und Vorschriften Einhalt geboten werden. Thomsen, im Kalten Krieg groß geworden, hielt das für die naiven Ansichten eines Theoretikers. Und auch wenn sie das gleiche Ziel verfolgten, sah er in seinem Chef einen Mann ohne jegliche Erfahrung. Kurzum, er hatte nur wenig Respekt vor Karch und hielt alle Informationen, soweit es ihm möglich war, vom Minister fern.

Nur hin und wieder, wenn es die Situation erforderte, nahm er von sich aus Kontakt auf. Und in der aktuellen Situation brauchte er die Unterstützung des Ministers. Krieger war am Tatort und verfügte über die nötigen Kenntnisse, um schnell und mit Erfolg dem oder den Tätern auf die Spur zu kommen.

Thomsen griff zum Hörer und wählte die Nummer seines Chefs.

»Karch«, meldete sich der Verteidigungsminister.

»Thomsen hier. Guten Tag, Herr Minister. Ich brauche Ihre Unterstützung. Wir haben ein ernstes Problem.«

»Sie rufen doch nicht wegen des Unglücks am Ku’damm an, oder?«

»Doch, genau deshalb. Ich habe einen Mann am Tatort.«

»Was hat das SKT mit der Sache zu tun, Thomsen?« Der Verteidigungsminister klang überrascht.

»Er ist beinahe von der Bombe getötet worden. Er ist zufällig dort gewesen. Wahrscheinlich zumindest. Aber das spielt momentan keine Rolle. Wir müssen jetzt so schnell wie möglich handeln. Fakt ist: Krieger ist vor Ort. Es sieht ganz so aus, als hätten wir einen weiteren terroristischen Anschlag in Deutschland. Der Kripo fehlt jede Erfahrung in diesem Bereich.«

»Thomsen, dem SKT sind im Inland die Hände gebunden. Krieger wird nichts unternehmen, bis wir Näheres wissen!«, erwiderte der Politiker bestimmt.

»Das sehe ich anders. Wenn wir es mit einem terroristischen Attentat zu tun haben, ist die Kripo vollkommen überfordert. Sie wissen das, und ich weiß es auch. Nur die Kripo weiß es nicht. Zumindest werden sie es nicht zugeben.« Thomsen war bei aller Professionalität ein sehr impulsiver Mann. Und jetzt wurde er ungeduldig. Er hasste es, Zeit zu verlieren. Er wurde lauter. »Herr Minister, Sie können sich sicher an unsere letzten beiden Einsätze in Afghanistan erinnern, bei denen wir zwei Anschläge verhindern konnten. Und auch an den Anschlag auf die Botschafterin im Jemen, der aufgrund des absoluten Versagens der örtlichen Behörde ein Menschenleben gekostet hat.«

Thomsen wusste, dass er damit einen wunden Punkt von Karch getroffen hatte. Das Opfer im Jemen war ein ehemaliger Mitarbeiter von Karch gewesen. Und dem Minister war auch klar, dass Krieger im Falle eines Terroranschlags weit mehr Erfahrung hatte und besser helfen konnte als jeder Polizist vor Ort. Krieger war ein Experte auf dem Gebiet der Terrorbekämpfung, einer der besten, die es weltweit gab. Er war in dieser Hinsicht den Beamten weit überlegen, denn auch wenn diese fachlich noch so gut ausgebildet waren, fehlte es ihnen an der nötigen Erfahrung.

Nach einem Moment der Stille gab der Minister nach: »Okay, ich kläre das mit Siebert. Als Innenminister ist er für die Polizei verantwortlich. Krieger erhält Zugriff auf die Informationen, aber vorerst nur als Beobachter. Die Kripo ermittelt hier. Dabei bleibt es.«

Thomsen nickte zufrieden und legte den Hörer auf. Sein Mann war jetzt im Rennen. Er war sich sicher, dass er die Informationen finden würde, auf die es ankam.

Verraten

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