Читать книгу Verraten - Florian Schwiecker - Страница 7
1.
ОглавлениеLuk Krieger war für das kalte Wetter ungewöhnlich leicht gekleidet, doch Kälte machte ihm nichts aus. Er hatte seinen Körper jahrelang darauf gedrillt, unter den unterschiedlichsten Klimabedingungen zurechtzukommen, ohne zu erkranken. Sein volles, dunkelblondes Haar war leicht zerzaust und einen Tick zu lang für einen Kurzhaarschnitt, sein Fünftagebart dunkel und gleichmäßig. Auf den ersten Blick sah man ihm wegen seiner sportlichen Figur und seines jugendlichen Aussehens seine achtunddreißig Jahre nicht an. Doch bei genauerer Betrachtung erkannte man in seinen Gesichtszügen eine Härte und Entschlossenheit, die die Erfahrungen vieler Jahre widerspiegelte. Er sog die kalte Winterluft genussvoll ein und hielt sie einen Moment lang in seinen Lungen. Kalte, klare Luft – wie sehr hatte er das vermisst in den letzten Wochen, die er in einem Höllennest am Ende der Welt verbracht hatte. Doch das war gestern, und heute war heute. Krieger blinzelte in die Sonne und genoss die Strahlen auf seinem Gesicht. Dann schaute er auf seine Uhr. 12:06 Uhr. Er war eine Minute zu spät dran, denn er hatte nur mit Mühe einen Parkplatz gefunden. Aber er machte sich deshalb keine großen Sorgen. Der Informant, den er treffen würde, kam selbst regelmäßig zu spät. Und bis zum Café Vargas waren es nicht mal mehr hundert Meter. Er überquerte die Straße, als hinter ihm ein Auto hupte. Krieger drehte sich um – und wurde im gleichen Moment brutal von den Beinen gerissen. Eine ungeheure Druckwelle hatte ihn erfasst, und Bruchteile einer Sekunde später schlug er mit einem dumpfen Knall auf das Pflaster des Gehweges auf. Trümmer landeten links und rechts neben ihm, seine Ohren pfiffen und sein Kopf dröhnte, aber er behielt das Bewusstsein. Krieger wusste sofort, was geschehen war, denn es war nicht das erste Mal, dass in seiner unmittelbaren Nähe eine Bombe detonierte.
Vorsichtig öffnete er die Augen und ließ den Blick prüfend über seinen Körper wandern. Es schien, als hätte er noch einmal Glück gehabt und nur einige leichte Schrammen davongetragen. Er stützte sich mit beiden Händen auf dem Boden ab und richtete sich langsam auf. Als er sich umsah, stockte ihm der Atem. Ihm bot sich ein Bild des Grauens. Dort, wo eben noch an die fünfzig Menschen ihren Kaffee genossen hatten, klaffte jetzt ein riesiges Loch in der Fassade des Berliner Altbaus. Schwarzer Rauch drang aus dem Erdgeschoss, und überall auf der Straße lagen Trümmer, zwischen ihnen Tote und Verletzte. Statt in Panik zu verfallen, blieb Krieger vollkommen ruhig. Er war ausgebildet worden, in Ausnahmesituationen einen kühlen Kopf zu bewahren, und begann sofort, die Lage zu analysieren. Er schaute sich nach allen Seiten um und nahm jedes Detail auf. Innerhalb weniger Sekunden hatte die Bombe das Leben vieler Menschen ausgelöscht und unzählige weitere schwer verletzt. Krieger war klar, dass er selbst auch um ein Haar ums Leben gekommen wäre – hätte er rechtzeitig einen Parkplatz gefunden, läge er auch hier.
Die Wucht der Explosion musste ungeheuerlich gewesen sein, denn obwohl er noch ein gutes Stück vom Café entfernt war, lagen direkt neben ihm die Reste eines Stuhls. Die dunklen Metallstreben waren verbogen, und das Holz der Sitzfläche war zersplittert. Daneben sah Krieger eine kleine Puppe.
Ohne weiter darüber nachzudenken, schob er den Stuhl beiseite, griff nach der Puppe und steckte sie in die Tasche seiner Jacke.
Immer mehr Menschen stürmten auf das Café zu, um zu helfen. Krieger hatte ein ungutes Gefühl, und sein Instinkt sagte ihm, dass hier irgendetwas nicht stimmte. In den Krisengebieten im Mittleren Osten wurden Anschläge an öffentlichen Orten immer häufiger in zwei Stufen ausgeführt. Die erste Bombe kam überraschend und riss viele Menschen in den Tod. Kurz danach wurde eine zweite Bombe gezündet, die das Leben derer nahm, die den Opfern der ersten Bombe helfen wollten. Und genau das befürchtete Krieger auch hier.
Er sah sich um, ob er jemanden entdecken konnte, der für das Attentat verantwortlich war. Irgendjemand, der sich auffällig verhielt. Aber er konnte in der Masse der Menschen, die jetzt auf das Vargas zueilten, niemanden ausmachen.
Er hoffte inständig, dass er sich täuschte, dass ihn sein Gefühl trog und dass seine Sorge unberechtigt war. Und gerade, als er sich den Helfern anschließen wollte, detonierte die zweite Bombe. Dieses Mal riss es ihn in die Bewusstlosigkeit.