Читать книгу Verraten - Florian Schwiecker - Страница 19
13.
ОглавлениеAnna Cole nutzte ihre kurze Pause, um Ordnung und Sinn in die Geschehnisse der vergangenen Stunden zu bringen. Bisher hatte sie gedacht, dass sie Berlin gut kannte, sehr gut sogar. Jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. Und auch wenn sie es lange für unwahrscheinlich gehalten hatte, musste sie sich jetzt eingestehen, dass es nach den Terroranschlägen, die überall in Europa zahlreiche Menschenleben gefordert hatten, nur noch eine Frage der Zeit gewesen war, bis es auch weitere Ziele in Deutschland erwischte.
Wovon sie allerdings bislang keine Ahnung gehabt hatte, war, dass keine hundert Meter vom Brewster’s entfernt offensichtlich ein Insider der islamistisch motivierten Terroristenszene wohnte. Und das sicherlich nicht erst seit gestern. Mitten in Berlin. War der Terror also bereits vor langer Zeit in Deutschland angekommen?
Weitere Gedanken, die sie vorher nie mit ihrer Arbeit bei der Kripo in Zusammenhang gebracht hatte, schossen ihr durch den Kopf. Hatten nicht einige der Attentäter von 9/11 in Hamburg studiert? Und wie ernst zu nehmen waren die Salafisten oder andere Gruppen, über die sie eigentlich viel zu wenig Informationen hatte? Auch von Krieger wusste sie gerade mal, dass er für eine Spezialeinheit arbeitete, die überwiegend im Mittleren Osten Missionen durchführte, die nichts mit ihrer Art von Arbeit zu tun hatten. Abstrakt. SKT. Nicht mehr als ein Schlagwort für sie. Krieger selbst aber war alles andere als abstrakt. Ganz im Gegenteil, von einem Moment auf den anderen war er in ihr Leben getreten. Also beruflich zumindest. Aber woher kamen die Narben auf seinem Rücken und woher kamen die Schussverletzungen? Wer war dieser Mann?
»Möchtest du noch einen Kaffee?«, fragte die Kellnerin und riss sie aus ihren Gedanken.
Cole sah auf die Uhr. Noch zehn Minuten, bis Krieger zurückkam.
»Ja, gerne. Kannst du mir auch die Rechnung bringen, bitte?« Die Kellnerin nickte und verschwand wieder hinter dem Tresen.
Cole sah, wie sie frischen Kaffee mahlte und in den Kolben der großen italienischen Maschine füllte. Dann presste die Kellnerin das Kaffeemehl mit einem Tamper zusammen und drückte auf den roten Schalter, um den Brühvorgang zu starten. Keine fünf Sekunden später erfüllte der Duft von frischem Kaffee wieder den Raum. Vollkommen verrückt, dachte Cole. Keine zehn Kilometer von hier entfernt ist gerade eine Bombe explodiert und dennoch drehte sich die Welt weiter, und es gab frischen Kaffee.
In diesem Moment öffnete sich die Tür zum Brewster’s und kalte Luft strömte herein. Cole sah auf, ob es Krieger war. Aber herein kam nur ein älterer türkischer Mann mit grauweißem Vollbart in traditioneller Kleidung.
Ob er was über den Anschlag wusste? Sie erschrak über sich selbst. Würde sie jetzt in jedem Mann, der irgendwie anders aussah, einen potenziellen Terroristen sehen und in jeder Frau, die ein Kopftuch trug, eine unterdrückte Frau? Sie wusste, dass das Irrsinn war. Sie hatte selbst viele Freunde, Bekannte, auch Kollegen, die aus dem Irak oder aus Pakistan kamen oder türkische Wurzeln hatten. Unter ihnen gab es ebenso viele herzliche und offene, fantastische und großartige wie auch unsympathische und wenig liebenswerte Menschen und solche, mit denen sie nichts anzufangen wusste. Nicht anders als mit Deutschen, Franzosen, Engländern oder sonst wem. Sie durfte nicht zulassen, dass sie wegen einer Handvoll Irrer Millionen von Menschen innerlich verurteilte. Und doch durfte sie eines nicht vergessen. Irgendwo da draußen war eine Gruppe von Terroristen, die sich »Der Pfad der Reinheit« nannte. Und diese Gruppe mussten sie stoppen. Sie und Krieger.