Читать книгу Staatsrecht für Polizeibeamte - Frank Braun - Страница 27
3.Normenhierarchie, formelle Gesetze, materielle Gesetze und Verwaltungsvorschriften
ОглавлениеIn der nationalen Normenhierarchie steht das Grundgesetz an der Spitze. Sofern andere Gesetze hiergegen verstoßen, sind sie verfassungswidrig und damit nichtig.
Im Rang unter dem Grundgesetz stehen die formellen Gesetze (Parlamentsgesetze). Damit sind Gesetze gemeint, die vom zuständigen Bundes- oder Landesparlament nach den in den einschlägigen Verfassungen (Grundgesetz oder Landesverfassungen) geregelten förmlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen wurden.
Beispiel: Die StPO ist ein formelles Bundesgesetz, das PolG NRW ein formelles Landesgesetz.
Solche Parlamentsgesetze dürfen nur vom BVerfG für nichtig erklärt werden. Hält ein Fachgericht ein Parlamentsgesetz für verfassungswidrig, muss es dem BVerfG diese Frage vorlegen (konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG). Formelle Gesetze stellen den verfassungsrechtlichen Regelfall dar, denn sie sind vom originär zuständigen Gesetzgebungsorgan, dem Parlament als Legislative, erlassen.
Bloß materielle Gesetze sind abstrakt-generelle Regelungen, die von der Exekutive erlassen und damit eine (verfassungsrechtlich anerkannte) Durchbrechung des Gewaltenteilungsgrundsatzes darstellen, wie etwa Rechtsverordnungen (z.B. städtische Hundeanleinverordnung) oder Satzungen (z.B. Gemeindesatzung über Streupflicht, Bebauungspläne). Der Erlass einer Rechtsverordnung setzt nach dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes stets eine formell-gesetzliche Ermächtigung voraus, durch die die Exekutive (ausnahmsweise) zur Normsetzung berechtigt wird. Im Wege der Ermächtigung durch formelles Gesetz weist die Legislative der Exekutive Rechtsetzungsbefugnisse zu. Dies ist auch notwendig. Denn die Parlamente wären völlig überlastet, müssten sie „jede Kleinigkeit“ und ausufernde Detailfragen eigenständig regeln. Zur ihrer Entlastung können sie einzelne Sachverhalte durch Gesetz an die Exekutive delegieren, vgl. Art. 80 GG. Allerdings muss das Parlament die „wesentlichen“ Fragen selbst abschließend durch Gesetz klären (Wesentlichkeitstheorie bzw. Parlamentsvorbehalt)32.
Beispiel: Die Fahrerlaubnisverordnung (FeV) und die Straßenverkehrsordnung (StVO) sind bloß materielle Gesetze, die von der Exekutive in Gestalt des Bundesverkehrsministerium für Verkehr erlassen wurden und umfassende Regelungen über die Zulassung von Personen im Straßenverkehr (FeV) und Verkehrsregelungen usw. (StVO) enthalten. Solch detaillierte Regelungen kann der Bundestag nicht treffen. Deshalb wurde die Exekutive in einem formellen Gesetz, dem Straßenverkehrsgesetz (StVG), ermächtigt bestimmte Sachbereiche durch Rechtsverordnung (FeV und StVO) zu regeln (vgl. z.B. § 6 StVG).
Rechtsverordnungen und Satzungen stehen im Rang unter den formellen Gesetzen. D.h. sie müssen nicht nur umfassend mit der Verfassung vereinbar sein, sondern dürfen auch nicht in Widerspruch mit Parlamentsgesetzen geraten. Solche materiellen Gesetze kann jedes Gericht prüfen und muss sie – anders als formelle Gesetze, für die die Verwerfungskompetenz beim BVerfG liegt – im konkreten Rechtsstreit nicht berücksichtigen, wenn es diese für verfassungswidrig oder aus sonstigen Gründen für rechtswidrig (Verstoß gegen höherrangiges Gesetzrecht) hält.
Keine Gesetze stellen sog. Verwaltungsvorschriften dar. Verwaltungsvorschriften sind „Vorschriften der Verwaltung für die Verwaltung“ (z.B. Erlasse) und damit reines Innenrecht und keine Gesetze mit Bindungswirkung im Außenverhältnis. Als Nicht-Gesetze haben sie im Verhältnis Bürger/Staat keine Geltungswirkung. Verwaltungsvorschriften können Gesetze nicht verdrängen. Ihr Hauptzweck ist es, die einheitliche Auslegung und Anwendung von Gesetzen durch die Verwaltung zu gewährleisten. Verwaltungsvorschriften wenden sich nur an die damit befassten Behörden, sind für sie nur im Innenverhältnis verbindlich und für Bürger oder Gerichte völlig unbeachtlich.
Beispiel:33 Der Polizeibeamte A erteilt auf Wunsch der örtlichen Geschäftsinhaber und des Bürgermeisters Platzverweise gegen verwahrloste Personen, die sich im Innenstadtbereich aufhalten. Er weiß zwar, dass die Voraussetzungen eines Platzverweises nach § 34 Abs. 1 PolG NRW nicht vorliegen, stützt sein Handeln aber auf Nr. 1.1 PDV 100. Dort steht, dass „Polizeiliches Handeln über die Bindung an Recht und Gesetz hinaus politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu berücksichtigen hat“. A hat rechtswidrig gehandelt. Eingriffe in Grundrechte können nur Gesetze rechtfertigen. Die PDV 100 ist aber kein Gesetz, sondern Verwaltungsvorschrift, die im Außenverhältnis zum Bürger keine Wirkung entfalten kann.