Читать книгу Staatsrecht für Polizeibeamte - Frank Braun - Страница 37
4.Angemessenheit („Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn“)
ОглавлениеAngemessen ist eine polizeiliche Maßnahme, wenn sie nicht zu einem Nachteil führt, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar52 außer Verhältnis steht. Es ist eine Abwägung zwischen den durch den angestrebten Erfolg geschützten Rechtsgütern und den dadurch herbeigeführten Nachteilen für den Betroffenen vorzunehmen. D.h., eine sachgerechte Würdigung der Schwere des Eingriffs und seines Gewichts sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe. Dabei müssen im Ergebnis die Grenzen der Zumutbarkeit gewahrt sein. Je stärker der Betroffene in seinen Grundrechten beeinträchtigt wird, umso wichtiger müssen die Gemeinwohlbelange sein, denen die polizeiliche Maßnahme dient. Überwiegt das Integritätsinteresse des Rechtsguts des Betroffenen, in das die Polizei eingreift, ist die Maßnahme rechtswidrig.
Beispiel:53 Polizeibeamte klären Schüler der 11. Klasse eines Gymnasiums über Zivilcourage auf. In der Pause teilt eine Schülerin dem vortragenden Polizeibeamten mit, dass sie während des Unterrichts bestohlen wurde (es handelt sich um einen Gegenstand im Wert von ca. 20 Euro). Als auf Bitte des Beamten keiner der Schüler den Gegenstand freiwillig herausgibt, werden alle Schüler nach dem Gegenstand „gründlich“ durchsucht. Einige müssen sogar ihre BHs öffnen und sich in die Unterhose blicken lassen. Die Durchsuchungsmaßnahmen sind hier eindeutig unangemessen.
Die Polizei darf eine Maßnahme nur solange aufrechterhalten, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann, sog. zeitliches Übermaßverbot, vgl. auch § 2 Abs. 3 PolG NRW.
Beispiel:54 Bei einer Demonstration, an der zahlreiche hochrangige Politiker teilnehmen, wird ein Plakat sichergestellt, das der Besitzer gerade entrollen will. Es bestanden begründete Anhaltspunkte dafür, dass dieses beleidigende Inhalte enthält. Als die Beamten sich das Plakat näher ansehen, stellen sie fest, dass es keine strafbaren Äußerungen beinhaltet. In diesem Fall muss das Plakat sofort zurückgegeben werden.
Bei der erforderlichen Abwägung zwischen dem legitimen Zweck und der Eingriffsintensität der Maßnahme ist in der Klausur zum einen stets der Rang des legitimen Zweckes zu genauer zu qualifizieren (z.B.: Schutz von Leben oder Gesundheit oder Unterbindung einer Ruhestörung im Gefahrenabwehrrecht bzw. Aufklärung eines Mordes oder einer bloß geringwertigen Sachbeschädigung bei der Strafverfolgung). Dabei sind verfassungsrechtliche Ansatzpunkte nach Möglichkeit zu berücksichtigen55. Verfolgt etwa die Polizei mit einer Maßnahme den Schutz von Leben und Gesundheit der Bürger, ist auf entsprechende Schutzpflichten, die aus dem Grundgesetz abgeleitet werden, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, hinzuwiesen. Auf der anderen Seite ist bei Taxierung der dem legitimen Zweck gegenüber zu stellenden Eingriffsintensität der Maßnahme die Grundrechtsbetroffenheit für den konkreten Fall genauer auszuführen. Diese ist allgemein umso stärker, je geringer der im zu bearbeitenden Fall festgestellte Gefahren- oder Verdachtsgrad ist (konkrete Gefahr oder gegenwärtige Gefahr bei der Gefahrenabwehr; einfacher oder dringender Tatverdacht bei der Strafverfolgung) und umso geringer der persönliche Bezug zu der abzuwehrenden Gefahr oder aufzuklärenden Straftat ist (z.B.: Verhaltensstörer oder Nichtstörer bzw. Verdächtiger oder Zeuge).