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»Regierung aus dem Kabinett«

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Eine der eigenartigsten Neuerungen im Regierungsstil des neuen Monarchen stellte gewiss jene Einrichtung dar, die mit dem Begriff der »Regierung aus dem Kabinett« umschrieben worden ist. Schon bald nach der Thronbesteigung vollzog sich diese markante Veränderung im Herrschaftsstil, die zugleich einen Wandel in der verfassungstopographischen Struktur nach sich zog. Mit der sich im Frühsommer 1713 abzeichnenden Favorisierung Potsdams als künftigem Hauptwohnsitz des Königs war zugleich eine Aufgabenverteilung zwischen Berlin und dem bislang allenfalls als eine der »Nebenresidenzen« angesehenen Amtsstädtchen an der Havel verbunden. Nun war aber die Eigenart, von wechselnden Orten aus zu regieren, so ungewöhnlich nicht. Schon unter den beiden Vorgängern Friedrich Wilhelms I. hatte sich die Residenzlandschaft mit einem Kranz von Schlössern, Lust- und Jagdhäusern rund um Berlin herausgebildet. Während der Große Kurfürst einige Male zu mehrmonatigen Aufenthalten in seine fernen Nebenresidenzen Kleve und Königsberg aufbrach, wechselte Friedrich I., der im Übrigen ein recht reisefreudiger Monarch war, in der Regel alle paar Wochen seinen Aufenthaltsort und widmete sich den Regierungsgeschäften im Berliner Stadtschloss, in Potsdam, Caputh, Oranienburg, Friedrichsfelde usw.15 Doch im Unterschied zu dieser bisherigen Regierungspraxis, bei der die oberste Verwaltungsbehörde mit dem König umherzog, entwickelten sich die Verhältnisse unter Friedrich Wilhelm I. in eine andere Richtung. Nicht nur, dass er alsbald den unter seinem Vater begründeten Geheimen Kriegsrat auflöste und den seit 1604 bestehenden Geheimen Rat in seinen Kompetenzen beschränkte. Er beendete auch die in der ersten Zeit nach dem Regierungswechsel von ihm zunächst noch weiterverfolgte Praxis, in den Sitzungen der führenden Verwaltungsbehörden selbst zu präsidieren.16 Hierfür sind mehrere Gründe anzuführen: Dass er kein Freund langatmiger Beratungen war, zeigte sich bereits in der Kronprinzenzeit; zudem muss »eine gewisse Unsicherheit Friedrich Wilhelms I. hinsichtlich seiner Wirkung bei mündlichen Konfrontationen« in Rechnung gestellt werden.17 Auch scheint seine Stimme »etwas schnarrend und leise« gewesen zu sein.18

Jedenfalls zog er es künftig vor, von seinem »Kabinett« aus zu regieren, was sowohl institutionell als auch räumlich verstanden werden muss. Solche der unmittelbaren Regierungsarbeit vorbehaltenen Arbeitszimmer, um zunächst die räumliche Komponente zu betrachten, waren für die brandenburgisch-preußischen Herrscher so neu nicht. Auch die Kurfürsten des 16. und 17. Jahrhunderts hatten über solche Räume verfügt, in die sie sich gelegentlich zurückziehen konnten. Das Kabinett Friedrich Wilhelms I., das man sich als einen relativ kleinen Raum mit Schreibpult vorzustellen hat, befand sich im Potsdamer Stadtschloss im ersten Obergeschoss mit Blick auf den Lustgarten in unmittelbarer Nachbarschaft zu seinen Wohnräumen.19 Und wenn er sich in Berlin oder Königs Wusterhausen aufhielt, fanden die morgendlichen Beratungen des »Kabinetts« in den königlichen Wohnungen der dortigen Schlösser statt, ohne dass es einen gesonderten Raum dafür gab.

Als neu und zunächst ungewöhnlich im Vergleich zu den vorherigen Zeiten wurde aber wahrgenommen, dass der König nun vom »Kabinett« aus mit einer kleinen Gruppe von »Kabinetts-Sekretären« bzw. »Kabinetts-Räten«, die auch in Potsdam wohnten, die Beschlüsse vorbereitete. Damit gerät nun die verfassungsgeschichtliche Seite dieser Veränderung in den Blick. Die Kabinettssekretäre hatten sich morgens »frühe zu rechter Zeit, um fünff, sechs oder sieben Uhr, nachdem es die Jahres-Zeit gestattet, bey Sr. Majestät ein[zu]finden, und alles, was obhanden ist, Sr. Majestät vor[zu]legen. … Ihro Majestät [lassen sich] entweder den Vortrag einer jedweden Sache thun, oder auch gantze Schrifften, Berichte und Memorialia vorlesen, die Sie nicht selten selber in die Hand nehmen, und mit Ihren eigenen Augen durchgehen. Nach geschehener Überlegung und reiffer Erwegung schreiten Sie zur Resolution, die Sie meistentheils mit eigener Hand, schrifftlich, und in kurtzen Worten verfasset, ertheilen.«20 Dabei handelte es sich um die bekannten und von den Amtsträgern oft gefürchteten Marginalien des Königs, die häufig – wenn auch fälschlich – als Randbemerkungen bezeichnet worden sind. Doch machte sich der König auf den ihm vorgelegten Immediatberichten keine Notizen von der Art, wie sie etwa bei der Lektüre eines Textes als gedankliche Stützen dienen. Er »dekretierte« vielmehr auf die ihm von den Kabinettssekretären vorgelegten Schreiben »meist eigenhändig – in margine, das heißt am Rand«, so dass man also besser von »Randverfügungen« sprechen sollte.21 Sie waren als Entscheidungen des Monarchen zu verstehen, als »Herrscherschreiben ohne ministerielle Gegenzeichnung«, die dann lediglich den Kabinettssekretären zur Ausfertigung und Weiterleitung an die entsprechenden Behörden vorgelegt wurden.22 Bei allem Spektakulären, das einigen dieser – des Öfteren auch in biographischen Darstellungen genüsslich zitierten – Marginalien eigen war, darf nicht übersehen werden, dass sich mehr als die Hälfte der Randverfügungen auf knappe zustimmende Feststellungen beschränkte (»gut« oder »sehr gut«). Viele Randverfügungen forderten eine Delegierung an andere Behörden oder Amtsträger, und nur eine Minderheit enthielt jene apodiktisch kurzen und mitunter in derbem, verletzendem Ton hingeschriebenen Passagen, die als so typisch für diesen Monarchen angesehen wurden und werden.


Potsdam um 1750 (Kupferstich von Johann Peter Wolffs Erben).

Wird nun die Zahl jener »ungnädigen« Willensäußerungen gegenüber dem Gesamtkorpus der vom Monarchen getroffenen und überlieferten Entscheidungen relativiert, ergibt sich daraus zugleich ein etwas differenzierteres Bild seines Herrschaftsstils. Gegenüber den sich Nachlässigkeiten und Verfehlungen schuldig machenden Amtsträgern ließ er in der Tat Strenge und Grobheit walten. Auf der anderen Seite scheint aber auch das nur auf den ersten Blick apologetisch daherkommende Urteil durchaus zutreffend gewesen zu sein, wonach er gegenüber seinem näheren Umfeld es nicht »an dem Nothwendigen [habe] fehlen lassen«, sondern zur »Belohnung treuer Dienste Freigebigkeiten ausgeübt« habe.23

Den Kabinettssekretären kam die nicht ganz einfache Aufgabe zu, aus den mitunter kaum lesbaren24, manchmal semantisch schwer verständlichen und mit Fremdwörtern durchsetzten Marginalien25 Schriftstücke zu fertigen, die nach der Unterzeichnung nicht nur an die Behörden, die Bediensteten oder die Supplikanten, sondern auch an die europäischen Höfe verschickt wurden und somit den Ansprüchen von Behördenschriftgut und zugleich diplomatischer Korrespondenz genügten.26

Diese von den Kabinettssekretären ausgefertigten und vom König unterschriebenen »Kabinetts-Ordren« können aufgrund ihrer außerordentlich großen Bedeutung für den originären Eigenanteil des Monarchen am Regierungshandeln in der Tat als »quellenkundliche Visitenkarte des preußischen Absolutismus« angesehen werden.27 Daraus erhellt des Weiteren die kaum zu unterschätzende Bedeutung dieser Amtsträger, die zumeist eine größere Vertrauensstellung beim Monarchen genossen haben dürften. Sie waren ja die meiste Zeit in seiner unmittelbaren Umgebung, und sie konnten bestimmte Anliegen beim König vorbringen – wie etwa für den Kabinettsrat Samuel von Marschall überliefert, den der König gelegentlich sogar um Rat fragte.28

Das Kabinett bildete fortan das mobile Machtzentrum, während die zentralen Regierungsbehörden ständig im Berliner Schloss tagten. Lediglich die für die auswärtigen Angelegenheiten zuständigen Minister wurden vom König regelmäßiger in Einzelaudienz empfangen – deshalb auch ihre etwas abweichende Bezeichnung als »Kabinetts-Minister«.29 Die verantwortlichen Amtsträger der anderen Departements trafen sich jeweils im Juni zu einer etwas spöttisch als »Ministerrevue« bezeichneten Hauptkonferenz.30 Zur Gewährleistung einer möglichst reibungslosen und zeitsparenden Kommunikation war zwischen Potsdam und Berlin ein Kurierdienst eingerichtet worden, der durch die Post oder Feldjäger übernommen wurde. Friedrich Wilhelm I. weilte des Öfteren in Berlin und wohnte dann in seinen Gemächern im Schloss. In diesem Fall gestalteten sich die Kommunikationswege vergleichsweise einfach, was im wortwörtlich räumlichen Sinne in Form des legendären Holzgangs zwischen der königlichen Wohnung und den Amtsräumen der Minister des Generaldirektoriums zu verstehen war.31

Ähnlich wie im Generaldirektorium kam es innerhalb des Kabinetts während der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. zu einer allmählichen Aufteilung der behandelten Materien unter den Kabinettssekretären.32 Zudem darf man sich die Trennung zwischen den im Kabinett tätigen Sekretären und den in der Zentralverwaltung amtierenden Räten nicht allzu scharf vorstellen. Übergänge waren durchaus an der Tagesordnung. Die Kabinettssekretäre, denen Friedrich Wilhelm I. sehr vertraute – und dies waren des notorischen Argwohns des Königs halber nicht allzu viele – konnten zugleich andere Ämter ausfüllen. So amtierte der Kabinettssekretär August Friedrich Boden zeitweise als Geheimer Finanzrat im Generaldirektorium, während der 1717 geadelte Samuel (von) Marschall neben seinem Amt eines Geheimen Finanzrats im Generaldirektorium auch zum Vizedirektor des Joachimsthalschen Gymnasiums, zum Leiter der Rekrutenkasse, zum Generalpostmeister und in noch weitere Chargen berufen wurde.33

So ungewöhnlich erscheint diese mit der »Kabinettsregierung« verbundene Regierungsweise indes nicht, wenn der Blick über die preußischen Grenzen hinaus gerichtet wird.34 Die Distanz des Monarchen zur traditionellen Hauptstadt seines Reiches war auch anderswo – nicht nur im Verhältnis zwischen Paris und Versailles – zu beobachten. Und in Kursachsen war zum Beispiel bereits einige Jahre vor 1713 mit dem »Kabinettsministerium« ein Gremium etabliert worden, das oberhalb der eigentlichen Zentralbehörden amtierte. August der Starke, der aufgrund seiner Stellung als polnischer König häufig in räumlicher Distanz zu den sächsischen Behörden agieren musste, sah sich genötigt, mithilfe eines Stabes ihn begleitender Beamter (»Kabinettssekretäre«) die Regierungsarbeit zu organisieren. Aus der eher provisorischen Einrichtung entwickelte sich zwischen 1703 und 1706 das unter Leitung des Ministers Jakob Heinrich Graf von Flemming stehende Geheime Kabinettsministerium, an dessen Sitzungen der König-Kurfürst aber selbst nicht teilnahm.

Dies schärft zugleich das Verständnis dafür, dass mehrere Erklärungsansätze für die nicht nur in Preußen aufkommende Kabinettsregierung herangezogen werden können. Neben der bereits erwähnten Unlust des Königs, mit der Ministerversammlung in direktem mündlichen Austausch die verschiedenen politischen Gegenstände zu beraten, wird sein Bestreben, angesichts der immer mehr anwachsenden Materien den Überblick zu behalten, bedacht werden müssen. Aus seiner Sicht war auf jene Weise eine effektivere Koordination des Verwaltungshandelns zu erreichen. Das sogenannte »Gesetz über das Wachstum der Staatsgewalt« machte schließlich nicht vor den preußischen Grenzen halt.35 Der Vergleich zu Kursachsen und der österreichischen Habsburgermonarchie zeigt allerdings nur partielle Ähnlichkeiten. Die »Regierung aus dem Kabinett« ist nicht zu verwechseln mit einem für alle Materien gleichermaßen zuständigen Kabinettsministerium, das es in Preußen etwa im Gegensatz zu Kursachsen nicht gab.36

Friedrich Wilhelm I.

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