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Minsk / Weißrussland, Montag 26. April, 08:28 Uhr

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Es war sein erster Urlaubstag, von denen er sowieso nicht allzu viele hatte, und somit störte ihn das Klingeln des Telefons gewaltig. Er machte einen langen Arm, langte über die Frau an seiner Seite hinweg, hob ab und legte wieder auf. Er drehte sich um, zog die Decke mit, worauf die Frau sich zu regen begann. Gemurmel, sein Name, Juri, und erneut Gemurmel. Pause, dann wieder Gemurmel.

»Du nervst!«, blaffte er schroff. Er konnte sie noch nicht einmal mit Namen anreden, denn er hatte erst gar nicht danach gefragt. Und wenn sie ihn ihm gesagt hatte, dann hatte er ihn vergessen. Es war ihm nicht wichtig.

Das Telefon begann wieder zu läuten. Gemurmel neben ihm.

Er war gestern Abend in einem dieser Cafés gewesen, die jetzt überall aufmachten. Sie war auch dort, saß ebenso alleine an einem der Tische, wie er selbst. Und wie war noch mal ihr verdammter Name?

Klingeln. Gemurmel.

Sie hatten etwas zusammen getrunken, über belangloses Zeug gesprochen und waren schließlich zu ihm gegangen. Beide waren sie Jäger gewesen und beide die Beute. Er hatte sie benutzt, schnell und kraftvoll und ohne ein tieferes Gefühl zu investieren.

Klingeln.

Sie stand auf und ging ins Bad, nackt wie sie war. Er hatte keinen Blick für sie übrig. Vielleicht wüsste er ihren Namen noch, wenn er etwas weniger getrunken hätte. »Ach, was soll`s?«, bockte sein umnebelter Geist. »Wen interessiert`s?«

Klingeln.

Juri wälzte sich herum, behäbig und verärgert. Er hoffte, der Anrufer würde die Geduld verlieren.

Klingeln.

Verdammt. Er hob ab, legte nicht wieder auf, und meldete sich mit einem gemurmelten: »Was ist los?«

»Hören Sie zu!« Er erkannte die Stimme seines Vorgesetzten sofort. »Legen Sie nicht wieder auf, Tawarischtsch Kuznov.«

Juri brummte missmutig.

»Ich weiß, es ist Ihr erster Urlaubstag seit über einem Jahr, aber ich dachte mir, wenn Sie schon nicht an das Schwarze Meer fahren, wie üblich, kann ich Sie auch anrufen, falls ein Notfall eintritt und Sie verschieben Ihren Urlaub auf ein andermal. Ich weiß, Sie sind nicht der einzige Polizeihauptmann hier, aber erstens haben Sie schon einmal einen ähnlichen Fall bearbeitet, und zweitens möchten Sie vielleicht gerne ein paar Punkte zu Ihrer Beförderung zum Major sammeln. Wenn Sie schon einer unserer jüngsten Hauptmänner sind, wozu Zeit vergeuden?«

Juri Ivanowitsch Kuznov verzog das Gesicht. Er hatte so gut wie gar nichts verstanden.

»Sind Sie noch dran?«, fragte sein Vorgesetzter. »Hallo, Kapitan Kuznov?«

Das Einzige, das in Juris schwerfälliges Bewusstsein vordrang, war: Sein Urlaub war wohl bereits wieder beendet.

»Ja, ich bin noch dran, Tawarischtsch Oberst. Zum Amt?«

»Ja, zum Amt.«

»Bosche moi! Ich komme«, kratzte Juris Stimme. Er fummelte den Hörer auf den Apparat, hörte aus dem Bad die Frau ununterbrochen schimpfen, ohne genau zu verstehen, was sie sagte und fluchte.

Nachdem er sie rausgeworfen hatte, diesmal fluchte sie und er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, nach ihrem Namen oder einer Telefonnummer zu fragen, und sich etwas angezogen hatte, fuhr er eine gute halbe Stunde zum Amt. Sein Vorgesetzter Oberst Burlakow wies ihn bei wässrigem Kaffee auf die Schnelle ein, dann fuhr er zum Tatort.

Unterwegs zum Hochhauskomplex in der Straße Turgenewa ging ihm Alles noch einmal durch den Kopf. Pawel und Igor waren einem anderen Fall zugeteilt. Janzew lag noch im Krankenhaus, und er selbst ging in den Urlaub. So war gleich das gesamte Team aus dem Rennen. Die anderen Beamten seiner Abteilung waren mit anderen Aufgaben beschäftigt. Burlakow hätte es ihm auch befehlen können, aber im Hinblick auf seine Karriere hoffte er, Kuznov würde freiwillig zusagen. Ohne Partner musste er den Fall nicht unbedingt sofort lösen, und er sollte schon gar nicht alleine den Helden spielen und sich in Gefahr begeben, sondern erst einmal nur Informationen sammeln.

Juri bog ab und hielt seinen kleinen Maskwitsch vor dem Haus, in dem vor knapp drei Stunden Pjotr Michailowitsch Ivanov ums Leben gekommen war. Die Todesursache schien klar, was fehlte, war das Motiv und natürlich der Täter. Zeugen gab es anscheinend keine. Als er das marode Treppenhaus betrat, fielen ihm gleich die Flecken an den Wänden auf. Die Mauern selbst stachen schon schmutzig grau hervor, aber die roten Flecken sprangen ihm sofort ins Auge. Jemand hatte den Kopf des Opfers solange an die Wand geschlagen, bis von ihm nicht mehr viel übrig war. Man hatte zwar die Leiche fortgeschafft, aber bis die Spritzer an den Wänden verschwunden sein würden, konnte es noch etwas dauern, da sich vermutlich niemand ernstlich darum kümmerte.

Über den oder die Täter hatte Juri einige Vermutungen. Nun galt es, zu sortieren und immer mehr zu streichen, bis die richtige Lösung übrig blieb. Der Täter musste groß und kräftig sein, um so etwas zu tun, oder er war rasend vor Wut, das Opfer war nämlich nicht unbedingt klein zu nennen. Oder es waren mehrere. In diesem Fall durfte man die immer stärker werdende organisierte Kriminalität nicht außer Acht lassen. Oder ein eifersüchtiger Ehemann oder Nebenbuhler, oder ein Geldverleiher. Er musste das Opfer kennenlernen, in sein Leben eintauchen, um die Hintergründe herauszufinden, die zu der Tat führten.

Abgesehen von seinen ersten Ahnungen konnte natürlich auch Alles ganz anders sein, so dass er sich anderen Möglichkeiten gegenüber auch nicht ganz verschließen durfte. Er wollte sich erst im Haus von oben nach unten durcharbeiten, danach im Ministerium weitermachen, denn dass Ivanov dort gearbeitet hatte, hatte der Computer zumindest schon einmal ausgespuckt, dann zurück zum Amt fahren und eine Persönlichkeitsstruktur erstellen, mit allen privaten und beruflichen Verbindungen. Juri musste das große Gesamtbild betrachten und durfte Nichts übersehen.

Was er im Moment noch nicht wusste: Er würde immer noch nicht den kleinsten Hinweis auf Täter oder Motiv haben, wenn er damit fertig war.

Das Lied des Steines

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