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Sioux City / Iowa, Montag 26. April, 08:05 Uhr

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Greg Bascomp griff nach seinem Mikrofon, drückte die Sprechtaste, nannte seine Rufnummer und fügte hinzu: »O.K. Ich hab`s mitgekriegt, alle zur Allan Street. Verkehrswidriges Verhalten. Ich bin auf dem Weg.«

»Sei vorsichtig«, ermahnte ihn Nancy, die junge Kollegin, die Funkdienst in der Leitstelle hatte.

Greg war zweimal mit ihr ausgegangen. Sie stand auf seine blonden Stoppelhaare und seine klaren hellblauen Augen und er auf ihre Kurven. Nach der zweiten Verabredung waren sie bei ihm gelandet und ihr starkes Verlangen hatte ihnen beiden eine lange Nacht beschert, in der keiner von ihnen zu kurz gekommen war. Doch bereits am nächsten Morgen hatte sie sich verändert. Während sie noch am Abend zuvor das schüchterne Kleinstadtmädchen gewesen war, der Greg die folgende Nacht gar nicht zugetraut hatte, gab es bis zum Mittag bereits ein Dutzend Gründe, um an ihm herumzumäkeln und ihre penible Art ging ihm sofort auf die Nerven. Aber als Nancy dann gesagt hatte »Na ja, das ändert sich Alles, wenn wir erst einmal verheiratet sind«, bekam Greg zu viel. Er hatte sie nach Hause gefahren und ihr vor ihrer Tür erklärt: »Niemand hat etwas von heiraten gesagt.« Er hatte ihr noch darlegen wollen, wie er sich ihre Beziehung vorstellte, falls es eine Beziehung geben sollte, war aber nicht mehr weit gekommen, da Nancy ihm ins Gesicht geschlagen hatte, aus dem Wagen gesprungen und im Haus verschwunden war. Ihr Verhalten zu ihm hatte sich seitdem merklich abgekühlt, sie war aber weiterhin freundlich zu ihm.

»Bitte sei vorsichtig«, sagte sie erneut. »Du weißt, Sam sitzt noch hier auf der Station und wartet auf dich.«

»Schon gut«, antwortete Greg, »ich werd`s nicht übertreiben.« Er hängte das Mikrofon zurück an den kleinen Haken, schaltete die Alarmlichter und das Signalhorn ein und kurbelte das Fenster hoch, damit ihm der auf- und abschwellende Ton nicht zu laut in den Ohren jaulte.

Sam war sein Partner. Es war zwar noch ein bisschen Zeit, bis zu seiner Pensionierung, aber mit seinen 46 Jahren hatte er genug Erfahrung im Streifendienst, um dem jungen Polizeischüler alle Tricks und Kniffe beizubringen. Der 21-jährige Sergeant-Anwärter Gregory Bascomp war froh, mit Sam Moore Dienst zu tun.

Genau genommen durfte er diesen Einsatz alleine gar nicht annehmen, aber was sollte schon schief gehen? Man brauchte halt viele Wagen, um einen Verkehrsrowdie zum Anhalten zu bringen. Greg hatte noch drei Wochen Praktikum vor sich und der alte Hase Sam hatte ihm schon oft geholfen und er hatte einiges von ihm gelernt, besonders, was den Umgang mit Menschen anging. Die meisten Bürger verhielten sich ganz anders, wenn ein Uniformierter vor ihnen stand.

Nach der Praktikantenzeit würde er noch einmal an die Akademie, nach Des Moines, gehen, um seinen Abschluss zu machen. Er hoffte auf ein gutes Ergebnis und eine darauffolgende Rückkehr als Polizist in seine Stadt.

Sam Moore wohnte in der Nähe der Polizeistation und ging die kurze Strecke immer zu Fuß. So konnte Greg den Dienstwagen nehmen, holte ihn von der Station ab, oder manchmal auch von zu Hause, und sie begannen mit ihrem Streifendienst.

Im Moment saß Sam bei Nancy in der Zentrale, trank Kaffee, drückte auf den Sprechknopf der Funkanlage und meldete sich bei Greg: »He Junge, mach mir keine Schande, verstehst du?«

»Hallo Sam, altes Haus. Hast du nichts Anderes zu tun, als mit Nancy zu flirten? Keine Bange, ich werde mich bemühen, dir alle Ehre zu machen. Außerdem bin ich ja nicht alleine auf der Straße.«

»O.K.«, meinte Sam, »gib auf dich Acht.«

Greg folgte dem Hamilton Blvd, der einen Schwenk in südwestliche Richtung nahm. Er wollte zur W 4th Street, die direkt auf die Allan Street traf.

Sioux City war keine der großen bekannten Metropolen, und mit seinen knapp 100.000 Einwohnern ungefähr halb so groß wie die Landeshauptstadt Des Moines, und so fehlte auch die Art Innenstadt, wie sie für die Großstädte typisch war, mit ihren riesigen Verkehrsknotenpunkten und gewaltigen Wolkenkratzern. Rund um die Stadt gab es zahlreiche Farmen. Ein Großteil der Bevölkerung lebte von der Landwirtschaft und ein wenig Viehzucht. Im Westen der Stadt zog der Missouri dahin, auf dem die Erträge in den Süden, bis zur Küste, an der die Industrie blühte, gelangten. Durch die geographische Lage Iowas, genau zwischen Missouri und Mississippi und den fruchtbaren Lössboden, gehörte der Staat zur Kornkammer der USA. Den Menschen, die dort lebten, ging es gut. Ein großes Land wollte ernährt werden, und so gab es eher geringe Arbeitslosigkeit.

Um die Innenstadt herum gab es viele kleinere Häuser, mit winzigen Vorgärten und genug Platz und Wohnraum für Alle. Es war ein beschauliches Städtchen, man kannte und achtete sich und so kam es selten zu Reibereien unter Nachbarn.

Im Zentrum befanden sich die Geschäfts- und Verwaltungsgebäude, die zwar nicht so imposant waren, wie etwa die Skyline von Manhattan, die sich aber trotzdem deutlich hervortaten. Die größten Getreidesilos und Ställe für das Vieh, das auf seine Verladung wartete, befanden sich am Fluss. Die Arbeit dort war hart und wurde gut bezahlt.

Es gab eigentlich gar keinen Grund für irgendjemanden, wie ein Irrer durch die Gegend zu rasen. Es konnte sich doch nur um einen Auswärtigen handeln. Am Wochenende schlugen schon mal ein paar Jugendliche mit ihren aufgemotzten Karren über die Stränge und wollten vor ihren Freundinnen angeben, denn das Nachtleben ließ in einer relativ kleinen Stadt wie Sioux City zu wünschen übrig. Allein Des Moines war in dieser Hinsicht schon eine andere Welt, wie Greg von der Akademie her wusste. Von den Millionenstädten ganz zu schweigen.

Greg schloss den betrunkenen Angeber aus, es war Montagmorgen. Folglich musste es sich um einen Fremden handeln. Laut den Nachrichten, und dem, was er selber aus Des Moines kannte, gab es in den Großstädten genug Verrückte, so dass man auf Alles vorbereitet sein musste. Hoher Personen- und Sachschaden, hatte Nancy gesagt. Das konnte doch niemand aus dieser Stadt verursacht haben.

Greg fuhr auf das Zentrum zu, immer noch Richtung Süd-Westen. Die wenigen Fahrzeuge vor ihm fuhren an den Fahrbahnrand und ließen ihn passieren. Bald musste er in die W 4th Street abbiegen.

Jetzt kam ihm eine andere Idee. Der Fahrer bzw. die Fahrerin musste nicht nur gestoppt werden, er oder sie musste schnell gestoppt werden. Der Missouri bildete die Staatsgrenze zu Nebraska. Falls der oder die Flüchtige erst den Fluss überquert haben würde, wäre es für die Beamten des Sioux City Police Departments unmöglich, den Wagen weiter zu verfolgen. Und Greg bezweifelte, dass die zuständige Behörde des Nachbarstaates sofort zur Stelle wäre, um den Wagen in Empfang zu nehmen.

Im Nord-Westen lag, auch nicht weit entfernt, South Dakota. Sioux City befand sich praktisch im Schnittpunkt dieser drei Staaten. Auch dorthin könnte man schnell gelangen. Es war also alles eine Frage der Zeit. Einerseits durfte niemand mehr verletzt werden, und andererseits sollte der oder die Flüchtige Iowa nach Möglichkeit nicht verlassen.

Inzwischen folgte Greg ein weiterer Streifenwagen, als wäre er selber auf der Flucht. Er erkannte im Rückspiegel, es handelte sich um Walter Anderson und Steve Barnes. Beide, die in der gleichen Schicht waren wie er, kannte er gut. Mit Steve, der etwa so alt war wie Greg, und drei anderen Polizisten ihrer Schicht, traf man sich ab und zu zum Monday Night Football Game oder gelegentlich zu einer Pokerpartie. Steve war der Sohn eines Polizisten und früher in die Fußstapfen seines Vaters getreten, als Greg seinen Dienst aufgenommen hatte. Er war seit etwa einem Jahr mit der Ausbildung fertig und hatte ganz gute Noten von der Akademie mitgebracht, obwohl sich sein Vater noch bessere Ergebnisse gewünscht hatte. Würde Greg Steves Noten haben, wäre er mehr, als zufrieden.

Der 49-jährige Walter Anderson war schon Polizist, als Greg heranwuchs und wohnte ganz in der Nähe seiner Eltern. Nach einer Mutprobe, die in die Hose ging, lernte er seine Handschrift kennen. Er wollte ein paar Äpfel aus dem Garten neben Andersons Haus stehlen. Wer bestahl schon einen Bullen, könnte man denken, aber sonst wäre es ja keine Mutprobe gewesen. Er wurde erwischt und Walter hatte ihm den Hintern versohlt. Dann hatte er ihm seine Dienstmarke und seine Waffe gezeigt und ihm Horrorstories von dunklen Kerkern erzählt, in die er Greg werfen wollte, wenn er ihn noch einmal beim Stehlen erwischen würde. Greg ging eingeschüchtert nach Hause, verbrachte die Zeit beim Abendessen stehend und stahl nie wieder etwas. Seitdem hatte sich die Frage »Na, was macht dein Hintern?« zur Begrüßung zwischen ihnen Beiden zu einer Art Running Gag entwickelt.

Greg fuhr vom Hamilton Blvd nach rechts in die W 4th Street, seine Kollegen folgten ihm, schlitterte mehr um die Kurve, als dass er sein Fahrzeug lenkte und wäre beinahe mit einem anderen Streifenwagen kollidiert, der rasant einen Übertragungswagen des hiesigen Fernsehsenders, einem von NBC aufgekauften lokalen Kleinsender, überholte. Greg riss das Steuer herum, bog scharf nach rechts in die W 4th Street ein, rutschte über die gesamte Fahrbahn, prallte fast gegen andere Fahrzeuge, die auf der linken Seite geparkt waren, bekam den Wagen aber wieder in den Griff und steuerte zurück auf den rechten Fahrstreifen, wo er erst einmal kräftig durchatmete.

Viel Zeit zum Verschnaufen blieb ihm allerdings nicht, denn jetzt war Greg mittendrin in der Verfolgungsjagd. Hinter ihm, wovon er allerdings nichts mehr mitbekam, rauschte der Wagen seiner Kollegen in die Seite des Übertragungswagens.

Greg nahm jedoch in aller Deutlichkeit wahr, welches Bild sich ihm hier bot.

Das Lied des Steines

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