Читать книгу Das Lied des Steines - Frank Riemann - Страница 20

Minsk / Weißrussland, Montag 26. April, 11:40 Uhr

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»Schon wieder Treppen«, dachte Juri Kuznov. »Diese Treppen bringen mich um. Erst in diesem verdammten Haus, dann in Ivanovs Amt und hier im Ministerium schon wieder. Ich sollte zu Hause im Bett liegen. Vielleicht hätte ich ja noch mal über die Kleine rübersteigen können. Oder ich könnte aufs Land fahren, oder zumindest irgendwo bei einem Gläschen Wodka oder einer Tasse Tee mit Rum sitzen. Ich habe Urlaub, verdammt. Stattdessen laufe ich mir die Füße platt.«

Kapitan Kuznov hatte in dem Haus in der Straße Turgenewa im obersten Stockwerk angefangen und sich von Wohnung zu Wohnung durchgefragt. Einige Mieter waren gar nicht zu Hause. So konnte er zwar weniger Informationen sammeln, war darüber aber nicht unbedingt traurig. Eigentlich war er schon genug genervt.

Er klopfte an eine Tür, neben der `Grinkova` auf einem alten verblichenen Messingschild stand. Er klopfte erneut, etwas lauter als zuvor. Von innen ertönte eine krächzende zittrige Frauenstimme: »Ja ja ja, immer langsam mit den alten Pferden. Ich komme ja schon, ich komme ja schon.« Ihre Stimme klang wie knisterndes Papier.

»Oh nein«, murmelte Kuznov, »was kommt jetzt?« Als sich die Tür öffnete, erschrak der Kapitan, auch wenn er sonst nicht so zimperlich war, denn es schien, als stünde der Tod höchstselbst vor ihm.

Gaspascha Grinkova war alt, sie war uralt. Tiefe Falten durchzogen ihr Gesicht und die Haut, bleich und dünn wie Pergament, schloss sich so eng um Kopf und Hände, als hätte der Körper noch nie etwas von Sehnen oder gar Muskeln gehört. Sie trug einen dunklen Umhang und hatte sich einen schwarzen Schal wie eine Kapuze über den Kopf gelegt, so dass keine Haare zu sehen waren. Es hätte Kuznov nicht gewundert, wenn sie gar keine mehr gehabt hätte. Gramgebeugt stützte sie sich auf einen Stock, an dem eigentlich nur noch eine Sensenklinge fehlte, um das Bild perfekt zu machen. Am liebsten wäre der Kapitan sofort wieder gegangen, aber die im Gegensatz zum übrigen Körper hellwachen und lebendigen Augen nagelten ihn fest. Nun, da die Tür geöffnet war, klang die Stimme zwar etwas heller, aber immer noch brüchig und als wäre sie noch wesentlich älter als ihre Besitzerin. »Nein, nein, nein, wieviel Aufregung denn noch? Reicht es noch nicht für einen Morgen?«

Nach Kuznovs Informationen hatte diese alte Dame das Opfer gefunden und die Nachbarn alarmiert. Er begann: »Ich bin...«

»Es interessiert mich nicht, wer Sie sind. Die meisten Menschen nehmen sich für zu wichtig. Mich interessiert nur, was Sie von mir wollen.«

Er zeigte seinen Ausweis, um zu unterstreichen, dass er befugt war, Fragen zu stellen. »Gut. Sie haben heute Morgen den toten Pjotr Michailowitsch Ivanov gefunden.«

»Sie sagen mir nichts Neues.« Ihr feiner Spott ärgerte ihn.

»Ich habe gehofft, dass Sie mir vielleicht noch etwas mehr erzählen können.«

»So sehr ich die Gegenwart junger Männer auch schätze, ich habe aber ihrem Kollegen bereits alles berichtet.«

Kuznov wurde allmählich ärgerlich. »Nun, vielleicht ist Ihnen ja noch etwas eingefallen, oder Sie erinnern sich noch während des Gesprächs an etwas, das Ihnen entfallen ist.«

»Das würde mich wundern.«

»Darf ich vielleicht so lange herein kommen?«

»Ich habe nichts zu verbergen, das hatte ich nie. Treten Sie ruhig näher, drinnen ist es bequemer.« Sie drehte sich um und verschwand in der Wohnug, sodass Kuznov nichts anderes übrig blieb, als die Tür zu schließen und ihr zu folgen. Bei ihrem Gang wunderte er sich, wie die gute Frau überhaupt noch Treppen steigen konnte. Er folgte ihr nach links durch den Flur und dann nach rechts in die Wohnstube. In der Mitte der linken Wand befand sich ein Vorhang, hinter dem Kuznov die Kochnische vermutete. Hinten links sah er eine offene Tür zu einem Raum und konnte ein großes Bett mit wuchtigen schweren Kissen erkennen. Er sah sich im Wohnraum um, der, wie bei vielen alten Leuten, nicht gerade mit den modernsten Möbeln ausgestattet war. Nur wenige konnten sich eine chicke Einrichtung leisten, Rentner schon gar nicht. Aber diese waren nicht einfach nur alt, sie schienen so betagt wie die Greisin selbst zu sein. Klobige Sessel, ein hoher Tisch, ein mächtiger Schrank mit eingestaubten Büchern und vielen vergilbten schwarz-weiß Aufnahmen, machten das Zimmer eng und trotz des großen Fensters an der Stirnseite drang nicht genug Licht durch die schweren Vorhänge, um den Raum ausreichend zu erhellen. Wo ein Sonnenstrahl sie durchdrang, sah man Staubpartikel tanzen und alles roch ein wenig muffig.

Kuznov konnte Grinkova erst gar nicht erkennen. Die Alte schien mit den Schatten zu verschmelzen. Doch nachdem sich seine Augen an das schummrige Licht gewöhnt hatten, sah er sie rechts in einem groben großen Sessel sitzen. Sie wirkte jetzt noch geisterhafter.

»Also, stellen Sie schon ihre Fragen«, krächzte sie.

Nach einer knappen Viertelstunde kam Kuznov aus der Wohnung, und es glich fast einer Flucht. Ohne sich ordentlich verabschiedet zu haben, war er froh, als er wieder draußen war. Er hatte nichts Neues erfahren, dafür hatte die Alte ihn mit ihrem Sarkasmus und ihrem Spott fast in den Wahnsinn getrieben. Sie hatte ihre spitzen Bemerkungen wie ein Füllhorn über ihn ausgegossen, so dass er sich wie ein kleiner Junge vor seiner Lehrerin vorkam.

Nach einigen Fehlversuchen, sprich, Türen, an denen er vergebens geklopft und geklingelt hatte, näherte er sich der Wohnung der Familie Georgijev. Kuznov sah gerade noch einen Schatten hinter dem Spion verschwinden, als auch schon die Tür aufgerissen wurde.

»Nur herein, nur herein. Sie wissen doch, die Leute tratschen zu viel«, zeterte eine Frau, wie es sie wohl in jedem Mehrfamilienhaus mindestens einmal gab. Eine Frau, die Alles wusste und Alles mitbekam, oftmals schon bevor es passiert war. Ehe er sich wehren konnte, zog sie ihn ins Wohnzimmer und schloss die Tür. »Setzen Sie sich, setzen Sie sich, na los doch.« Sie bugsierte ihn zu einem bunten Sessel, zu dem es wahrscheinlich auf der ganzen Welt kein Gegenstück gab, zog sich einen Stuhl heran, setzte sich dem Kapitan gegenüber, und noch bevor dieser irgendetwas sagen konnte, brach ein Gewitter über ihn herein, dem er nichts entgegen zu setzen hatte.

»Also, das war ja so: Gaspadin Ivanov war ja ein ganz Ruhiger, etwas seltsam, aber ruhig. Man bekam ihn kaum zu sehen, und wenn, war kaum mehr als ein `Sdrastwuitje, Guten Tag` drin, wenn überhaupt. Ja gut, er war etwas ungepflegt. Zumindest noch bis vor vier Wochen, oder so, dann bekam er öfter mal Besuch von einer Frau, Letovka, Petrovka, oder so, und seitdem, wie ausgewechselt, ging es mit ihm wohl wieder bergauf. Er war rasiert, gepflegter, war in besserer Stimmung und so...«

»Äh...«

»...ja, und man hatte gerade das Gefühl, da ist ein Nachbar, der vielleicht doch ganz nett ist, und keiner, der sich nur verkriecht, und dann das...«

»Also...«

»...mein Mann war schon aus dem Haus. Wenn ich daran denke, dass es ja auch ihn hätte erwischen können. Was täte ich denn dann jetzt? Die Kinder waren kurz davor, zur Schule zu gehen, als das ganze Theater losging. Wissen Sie, es war eh schon unruhig genug heute morgen. Mein Mann hatte schlecht geschlafen, Probleme im Werk, Entlassungen und so, Sie verstehen. Dann wieder mal kein Kaffee im Haus, Streit und so. Von dem Krach wurde der Kleine wach und begann zu schreien. Als er dann endlich weg war, meinen Mann meine ich, und wieder Ruhe war, mussten die anderen beiden zur Schule. Streit ums Bad und so. Dann waren die auch endlich raus. Ich hab mir gerade überlegt, wo ich wieder einmal das Geld zum Einkaufen herkriege, Kaffee wird es übrigens so schnell bei uns nicht geben, als meine Beiden, Timofej und Larissa, wieder vor der Tür standen. Was ein Geschrei, `Mama, Mama, komm, unten liegt ein Toter`. Ja dann..."

»Aber...«

»...ja dann bin ich gleich runter. Schön langsam, so schnell ging das auch nicht, hatte ich mir doch letzte Woche auf der Straße unten den Knöchel verstaucht. Bin umgeknickt, verstehen Sie, am Bordstein, das tat vielleicht weh, das kann ich ihnen sagen. Macht man sich überhaupt kein Bild von, von sowas. Seitdem humple ich noch etwas, geht aber schon wieder. Ja also, ich bin dann vorsichtig die Treppen runter, da war ja schon das halbe Haus versammelt. Gaspascha Botscharnikova natürlich vorne weg, die ist bei so etwas ja immer gleich mit dabei. Passen Sie ein bisschen auf sie auf. Die erzählt und erzählt, verstehen Sie, aber ich will nichts Böses sagen...«

»Moment mal! Haben Sie irgend etwas gesehen, was mir weiterhelfen könnte?«, platzte es aus Kuznov heraus.

»Wie denn? Die ganzen Leute standen ja um den armen Gaspadin Ivanov herum. Ich konnte so gut wie gar nichts sehen, nur ein paar Blutflecken an der Wand, und auch die nicht richtig. Meine Kinder habe ich natürlich heute nicht zur Schule geschickt. Das sollten sie sich nicht ansehen, ich bin ja keine Rabenmutter, wissen Sie. Da war ein Getöse, da unten. Alle haben durcheinander geredet. Das hat ja einen Moment gedauert, bis Ihre Kollegen da waren und alle bis auf die Grinkova in ihre Wohnungen geschickt haben, und dann habe ich ja überhaupt nichts mehr gesehen. Ausgerechnet die Grinkova. Und oben wollten meine Kinder dann alles ganz genau von mir wissen und so, aber denen konnte ich ja auch nichts genaues sagen...«

»Wann hat denn Ihr Mann heute das Haus verlassen?«

»So gegen sechs Uhr dreißig, und der hatte vielleicht ein Laune, das kann ich Ihnen sagen...«

»Spasiba, Vielen Dank, Sie haben mir sehr geholfen, Gaspascha Georgijeva.« Über Kuznovs Ganglien hatten sich dicke graue Wolken zusammengezogen und ihm war schwindelig. Wackelig stand er auf.

»Sie sehen aber gar nicht gut aus. Soll ich Ihnen eine Tasse Tee machen? Spezialmischung von meiner Schwiegermutter. Ist schnell gemacht, dauert nur ein paar Sekunden. Der Samowar ist zwar schon etwas älter, aber noch gut in Schuss, wissen Sie, ich sage immer...«

»Nein nein, schon gut. Ich muss jetzt gehen.«

»Mama, ist das der Komissar? Zeigen Sie uns Ihren Ausweis? Haben Sie eine Waffe...« Die beiden Älteren ihrer drei Kinder waren hervorgekommen, sie mochten vielleicht acht und zehn Jahre alt sein, und tanzten nun um Kuznov herum.

Hatte er sich zuvor gewünscht, wieder in seinem Bett zu liegen, so wünschte er sich jetzt, er wäre tot. »Ich muss nun wirklich gehen. Do swidanja, auf Wiedersehen.« Lieber nicht, aber das sagte er nicht.

Er wand sich aus der Wohnung, stolperte die Treppen hinunter, Georgijeva rief ihm noch hinterher »...das geht manchmal schneller, als Sie meinen. Wie kann man nur so etwas tun? Diese Monster...«, weigerte sich, noch irgendetwas von dieser Frau zur Kenntnis zu nehmen und stürzte aus dem Haus. Draußen verlangsamte er seine Schritte, zündete sich eine Papirossej an und zog den Rauch tief und gierig in sich hinein. Bosche moi, mein Gott, es gab schon verrückte Menschen auf dieser Welt. War er froh, dass sie ihm nicht noch vom letzten Weihnachtsfest bei Tante Nina in Baranowitschi erzählt hat, sofern sie es feiern, oder ausgeführt hat, warum sie es nicht feiern. Noch ein paar Minuten länger bei dieser Frau und er wäre irrer geworden, als sie und der Mörder zusammen. Na ja, immerhin wusste er jetzt den ungefähren Zeitpunkt der Tat, noch bevor die Gerichtsmedizin ihn ihm gesagt hatte. Ungefähr zwischen sechs Uhr dreißig und sieben Uhr dreißig morgens. Allerding musste er noch einmal wiederkommen, und zwar am Abend. Zu viele Türen waren verschlossen geblieben. Und vielleicht hatte der Mann dieses verbalen Wasserfalles jemanden gesehen, der verdächtig um das Haus geschlichen war, der es beobachtet hatte oder sich sonst irgendwie auffällig verhalten hatte.

Nun stieg Juri Kuznov im Ministerium die Treppen vom dritten in den vierten Stock hinauf. Schon wieder Treppen. Nach dem Besuch des Tatorts hatte er den Arbeitsplatz des Ermordeten aufgesucht.

Er hatte mit den Kollegen aus Ivanovs Amt gesprochen, aber wiederum nichts Neues erfahren. Einer Ahnung folgend, sah er sich eine Namensliste aller Mitarbeiterinnen an und entdeckte eine Natascha Petrovka, zu der er jetzt unterwegs war.

Nach einem Klopfen an ihrer Tür und einem »Herrein!« betrat er ihr Büro.

Sie schloss gerade die Lade eines Aktenschrankes, setzte sich hinter ihren Schreibtisch und sah ihn verwundert an. Sie kannte Kuznov nicht und in ihrer Abteilung gab es normalerweise keinen Publikumsverkehr. Er stellte sich vor und nahm auf ein Zeichen hin ihr gegenüber Platz.

»Können Sie mir etwas über Tawarischtsch Ivanov erzählen, über seine Arbeit und Ihre Beziehung zu ihm?«

Petrovka zog die Stirn kraus. »Sagten Sie nicht, Sie seien von der Kriminalpolizei? Warum interessieren Sie dann solch interne Angelegenheiten? Ich dachte, die Zeiten der Überprüfungen und Bespitzelungen durch den Geheimdienst wären vorbei. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass Sie mit ihm und seinen Kollegen bereits gesprochen haben, die Ihnen sicherlich besser Auskunft über seine Arbeit geben können, als ich. Und was immer man ihm vorwerfen sollte, ich bin überzeugt, es ist nicht wahr.«

Kuznov, schon entnervt genug, wurde schnippisch. »Ich konnte nicht mehr mit ihm sprechen.« Er hatte wahrlich keine Lust, ihr den Sanften vorzuspielen und es ihr schonend beizubringen. Einfach war es ohnehin nie, also sagte er geradeheraus und sah dabei wie sie blass wurde: »Mit ihm kann niemand mehr sprechen, er ist tot.« Er musste sich zur Ruhe zwingen. Es gelang ihm, emotionslos fuhr er fort: »Und ich bin von der Kriminalpolizei, Abteilung Mordkommission. Würden Sie mir jetzt freundlicherweise etwas über den Verstorbenen erzählen?«

»Er ist tot?« Eine Träne lief ihr über die Wange. »Mord?« Petrovka lehnte sich zurück, verschränkte ihre Hände, weil sie zu zittern angefangen hatten, presste ihre Lippen zusammen, dass sie noch schmaler wurden, als sie es ohnehin schon waren, weil sie bebten, und schloss für einen Moment ihre feucht gewordenen Augen.

Sie dachte an Pjotr und kurz über ihre eigene Situation nach. Sie war ihr ganzes Leben nur von den Männern ausgenutzt worden. Hinterher stand sie immer mit leeren Händen da. Aber dieses Mal war es anders gewesen, dieses Mal hatte sie die Initiative ergriffen. Sie war Ende Zwanzig und wollte endlich eine Familie haben. Als sie Pjotr dann soweit hatte, dass man ihn wieder als Menschen bezeichnen konnte, hatte sie gemerkt, wie sie sich ganz langsam in ihn verliebt hatte. Er war fürsorglich, ehrlich, zuverlässig und was sie gar nicht für möglich gehalten hatte, er hatte auch einen feinen Sinn für Humor. Ihr gemeinsames Wochenende war nicht nur der Lohn für ihre Mühen gewesen, sondern resultierte aus echter tiefer Zuneigung. Es war wunderbar gewesen und sie war erst am späten Sonntagnachmittag in ihre eigene Wohnung zurückgekehrt. Da hatte sie ihr Glück kaum fassen können.

Und das sollte jetzt vorbei sein? So richtig hatte es doch noch gar nicht begonnen. »Wie...«, ihr versagte fast die Stimme, »wie ist es denn passiert?«

»Soviel ich zur Zeit sagen kann, wurde er erschlagen.«

»Erschlagen?« Es kam ihr alles so unwirklich vor. Gestern hatte sie noch den Himmel auf Erden, und heute kam da einfach jemand in ihr Büro spaziert, der ihren Traum zerplatzen ließ wie eine Seifenblase. Wie im Mittelalter, als sich der Überbringer schlechter Nachrichten seines Lebens nicht mehr sicher sein konnte, wurde Natascha Petrovka zunehmend wütend und ihr Zorn begann sich gegen den Kommissar zu wenden. Mit welchem Recht kam er hier herein und zerstörte ihr ihre Zukunft?

»Also, was wollen Sie noch von mir?« Ihr Ton wurde schärfer. »Wie kann ich Ihnen denn jetzt noch weiterhelfen?«

»Jede Einzelheit könnte für mich von Nutzen sein.«

»Ich sehe keine Veranlassung und habe auch überhaupt kein Bedürfnis danach, unsere Beziehung vor Ihnen auszubreiten. Ich habe keine Ahnung, wer Pjotr getötet haben könnte.« Ihre Stimme war fast nur noch ein Wimmern. Trotzig steckte sie ihr dunkles Haar hinter die Ohren und wischte sich mit den Handballen über die Augen. »Ich kann Ihnen dabei nicht weiterhelfen und der Rest geht Sie nichts an.«

Petrovkas ablehnende Haltung ging Kuznov etwas zu schnell. »Waren Sie vergangene Nacht bei ihm, oder hatten Sie einen speziellen Grund, heute Morgen nicht bei ihm zu sein? Vielleicht wollten Sie ja gerade heute Morgen nicht am Tatort gesehen werden.«

»Wie bitte?«

»Hatten Sie Streit in letzter Zeit? War etwas vorgefallen? War vielleicht von Trennung die Rede?« Der Kapitan war jetzt ganz offensiv. »Waren Sie aus irgendeinem Grund wütend auf ihn?«

»Was soll das?« Petrovka konnte es nicht fassen. "Sie platzen hier rein und verdächtigen mich, nein, beschuldigen mich, etwas mit Pjotrs Tod zu tun zu haben. Sind Sie noch bei Trost, Tawarischtsch? Das ist doch absurd. Ich habe ihn...«, sie senkte den Kopf und ihre Stimme, zuvor noch laut und aufgebracht, wurde wieder ruhiger, »Auch wenn Sie es nicht verstehen oder mir nicht glauben, ich habe ihn geliebt. Aber wie ich schon sagte, das geht Sie nichts an.«

»Ich kann Sie auf die Station kommen lassen oder sogar vor Gericht, wenn Sie jetzt nicht reden wollen. Aber ich finde, Sie sollten besser den Mund aufmachen. Ich glaube, Sie stecken ganz schön in der Klemme. Ziehen Sie lieber juristischen Beistand hinzu und in Ihrem eigenen Interesse, verreisen Sie in nächster Zeit nicht.« Er stand auf.

Petrovka sprang aus ihrem Stuhl hoch. »Das ist ja wohl die Höhe. Mit welchem Recht machen Sie mir diese Vorschriften? Ich habe nichts verbrochen.«

»Mit dem Recht des Polizeikapitans. Ob Sie etwas verbrochen haben oder nicht, werden wir noch klären. Im Moment sind Sie meine einzige Spur.«

»Was für eine Spur?«, keifte sie ihn an. »Ich bin verdächtig, weil ich ihn kannte? Dann ist hier im Ministerium und in seinem Haus jeder verdächtig. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Sie müssen der Stolz Ihrer Abteilung sein. Sie picken sich jemanden raus, Fall abgeschlossen. Sie haben bestimmt eine hohe Aufklärungsrate.«

Kuznov merkte, er war auf der Verliererstraße, aber außer ihr hatte er wirklich noch keine andere Spur, und das frustrierte ihn. »Sagen Sie mir nicht, wie ich meine Ermittlungen zu führen habe.«

»Es hat sich wirklich nichts geändert.«

»Seien Sie bloß vorsichtig.« Und beim Hinausgehen brummte er noch: »Ich bin sicher, wir sehen uns wieder.«

Er war bereits draußen, als bei Natascha Petrovka die Dämme brachen. Sie fiel in den Stuhl und in sich selbst zusammen und ließ ihrer Trauer freien Lauf.

Kuznov war verwirrt und wühlte in seinem buschigen braunen Oberlippenbart. Sie hatte natürlich Recht gehabt. Petrovka zu verdächtigen, war tatsächlich an den Haaren herbeigezogen, aber ansonsten stand er mit leeren Händen da. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Vielleicht sollte er einfach warten, bis der Täter noch einmal zuschlug, oder bis er einen Fehler machte. Aber was, wenn dies nur eine einmalige Sache war und er niemals wieder in Erscheinung treten würde? Vielleicht hatte die Spurensicherung ja schon etwas herausgefunden.

Obwohl er kaum verwertbare Hinweise hatte, hatte Kuznov jetzt schon das Gefühl, irgendetwas übersehen zu haben. Ein Indiz, etwas, das gesagt worden war, Hinweise am Tatort... irgendetwas war ihm entgangen.

Das Lied des Steines

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