Читать книгу Jugendstrafrecht - Franz Streng - Страница 34

III. Das Verhältnis des § 3 JGG zu §§ 20, 21 StGB

Оглавление

59

§ 3 S. 1 JGG und § 20 StGB betreffen gleichermaßen die Schuldfähigkeit. Beide Normen bedingen eine zweistufige Prüfung, nämlich zunächst der Eingangsmerkmale und – bei Vorliegen relevanter Auffälligkeiten – anschließend der Kriterien Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit. Da beide Regelungen soweit strukturgleich sind, ist das Überlappen der Geltungsbereiche vorprogrammiert. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Regelungen liegt darin, dass § 20 StGB im ersten Stockwerk als „biologisch-psychologischer“ Ebene pathologische Zustände iwS (einschl. Bewusstseinsstörung und schwerer anderer seelischer Abartigkeit) voraussetzt, während § 3 S. 1 JGG im ersten Stockwerk auf die sittliche und geistige Entwicklung abstellt, wobei es ganz gleich ist, ob die hier ausschlaggebenden Reifedefizite in körperlichen, sozialen oder psychischen Faktoren wurzeln. Solche Reifemängel sind dadurch charakterisiert, dass man bei ihnen erwarten kann, dass sie ohne Heilbehandlung im Verlauf der weiteren Reifeentwicklung (zumindest weitestgehend) kompensiert werden[39]. Angesichts des einigermaßen vagen Reifekriteriums sind Tendenzen der forensischen Gutachter erkennbar, sich auch hier vor allem auf biologisch bzw. pathologisch bedingte Entwicklungsstörungen zu beziehen, also eine Brücke zu den klarer definierten Eingangsstörungen des § 20 StGB zu bauen[40].

Dass §§ 20, 21 StGB auch im Rahmen des JGG gelten, ergibt sich aus § 2 II JGG und mittelbar auch aus § 7 JGG. Da nämlich die gem. § 7 JGG zulässige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht wegen mangelnder Altersreife verhängt werden kann (vgl § 3 S. 2 JGG), kann die Anwendbarkeit des § 63 StGB im Jugendstrafrecht nur auf der Geltung der §§ 20, 21 StGB beruhen. Freilich sind für die Anwendung von §§ 20, 21 StGB im Jugendalter auch spezifische Formen bzw Verläufe psychischer Störungen im Auge zu behalten[41].

60

Nachdem § 3 S. 1 JGG und §§ 20, 21 StGB bei Jugendlichen in Konkurrenz treten können, stellt sich die Frage des Vorrangs. Häufig wird empfohlen, das Eingreifen von §§ 20, 21 StGB zuerst zu prüfen – Anzeichen für einen pathologischen Zustand oder eine seelische Abartigkeit vorausgesetzt[42]. Erst danach sei – auch wenn Schuldunfähigkeit gem. § 20 StGB bejaht wurde[43] – zur Prüfung der Altersreife überzugehen. Denn beim Vorliegen sowohl von Schuldunfähigkeit gem. § 20 StGB als auch gem. § 3 S. 1 JGG kann der Richter die geeignetste Maßnahme auswählen: Unterbringung gem. §§ 63, 64 StGB (vgl § 7 JGG) oder familiengerichtliche Maßnahmen gem. § 3 S. 2 JGG. Die vorrangige Prüfung von §§ 20, 21 StGB wird wohl deshalb empfohlen, weil man bei vorgezogener Prüfung und Verneinung der Altersreife leicht die §§ 20, 21 StGB aus dem Auge verliert. – Ganz systematisch gesehen, verbietet allerdings ein Fehlen der Altersreife sogar die Prüfung der allgemeinen Schuldfähigkeit: Der unreife Jugendliche kann nämlich von vorneherein nicht schuldfähig oder gar vermindert schuldfähig sein[44]. Von diesem Ausgangspunkt geht man teils von einem Vorrang von § 3 S. 1 JGG aus[45].

61

Hingegen hatte der BGH bei einem jugendlichen Debilen die Verantwortlichkeit gemäß § 3 S. 1 JGG verneint und gleichzeitig eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit gem. § 21 StGB bejaht[46]. Denn nur die Bejahung von § 21 StGB ermöglichte die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB iVm § 7 JGG. Trotz einer ersten Irritation wegen der scheinbaren Konkurrenz von fehlender Strafmündigkeit und gleichwohl nur verminderter Schuldfähigkeit erscheint die Ansicht des BGH letztlich zutreffend. Denn § 63 StGB setzt eben nur voraus, dass die Voraussetzungen des § 21 (oder des § 20) StGB im Sinne eines entsprechenden „Zustands“ erfüllt sind, ganz gleich, ob darüber hinaus sogar Schuldunfähigkeit gem. § 3 S. 1 JGG vorliegt. Es besteht demnach ein Nebeneinander der Regelungen des § 3 S. 1 JGG und der §§ 20, 21 StGB hinsichtlich ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen sowie ihrer Legitimationswirkungen für die Sanktionsanwendung[47].

62

Bleibt unaufklärbar, ob neben einer fehlenden Altersreife iSv § 3 S. 1 JGG auch § 20 oder § 21 StGB gegeben ist, dann gilt für die Anordnung von Maßnahmen gegen den Jugendlichen nur § 3 JGG. Belastende Sanktionen wie die Unterbringung gem. § 63 StGB, für die das Gesetz das Vorliegen eines Schulddefekts iSv §§ 20, 21 StGB verlangt, setzen iS des in dubio pro reo-Grundsatzes voraus, dass § 20 oder § 21 StGB zweifelsfrei gegeben ist[48].

Teil II Der Geltungsbereich des JGG§ 4 Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Jugendlichen › IV. An Stelle einer Zusammenfassung: Ein Fall

Jugendstrafrecht

Подняться наверх