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Wahrheit oder Lüge – vom Kinderwunsch erzählen oder nicht?

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Ich gebe zu, dass mein Gehirn – oder sollte ich besser sagen: mein Nachrichtenempfangszentrum im Gehirn mit dem dazugehörigen Ohr – nach vielen Jahren im Beruf sehr sensibel geworden ist, was empfangene Botschaften angeht. Andi und ich sitzen zu Hause an unserem Küchentisch vor der grünen Wand mit den vielen liebevoll gesammelten Schwarz-Weiß-Fotos und lassen den Tag und das Erlebte Revue passieren. Häufig ist es so, dass wir hinterfragen, ob das, was wir gehört haben, auch vom Sender so beabsichtigt war. Wir sind in Sachen Wahrnehmung doch einfach besonders geschult, denken wir und finden, dass es uns schon oft genutzt hat, ein derart sensibles Ohr zu haben. Wir fragen uns oft bei diesen Küchentischgesprächen, was derjenige, der gerade Gesprächsstoff ist, gesagt und gemeint hat. Was zwischen den Zeilen gesagt wurde.

»Andi, wir haben diese gewisse ›Ohr-Sensibilität‹. Ich frage mich, ab wann eine Lüge eine Lüge ist. Hast du schon mal darüber nachgedacht?«

»Wie meinst du das?«

»Nun, was zeichnet die Wahrheit – also das Gegenteil einer Lüge – aus? Ab wann wird durch das Weglassen von Informatio­nen eine Wahrheit zur Lüge, auch wenn man sich ansonsten an die Fakten hält?«

»Oh. Darüber muss ich nachdenken«, sagt Andi und lächelt mich an. Wir beide mögen unsere Werte-Fachsimpeleien, in denen wir um Definitionen ringen. Es ist schon eine Art gemeinsames Hobby geworden.

Und hiermit gestehe ich: Wenn man eine Aussage durch das Weglassen von bestimmten Aspekten zur Lüge machen kann, dann habe ich tatsächlich jahrelang gelogen.

Denn erst nach einer langen Zeit der schleichenden Vereinsamung und des nahezu vollständigen Rückzugs aus meinem bisherigen sozialen Umfeld habe ich mich entschieden, offen über meinen Wunsch nach einem Kind zu sprechen. Warum? Weil ich einfach keine Lust mehr hatte. Keine Lust, Geschichten zu erzählen, Gründe zu erfinden und vorzuschieben, und weil ich zum Zeitpunkt meiner größten Verzweiflung der Meinung war, dass ich Menschen in meinem Leben verdient habe, denen ich die Wahrheit zumuten kann.

»Weißt du, weshalb ich dich das mit der Wahrheit und der Lüge frage?«, ergänze ich noch.

Andi schüttelt den Kopf.

»Ich bin gedanklich mal wieder beim Kinderwunsch. Und ich frage mich, ob ich heute wieder mal gelogen habe. Weißt du, ganz am Anfang habe ich ja nur für mich über den Kinderwunsch nachgedacht. Und dann später auch wir beide gemeinsam. Und das blieb – abgesehen von unseren liebevollen und unterstützenden Familien – auch sehr, sehr lange Zeit so«, sage ich und denke daran, dass Andi und ich oft darüber gesprochen haben, wen wir vielleicht über unsere Kindersehnsucht und unser Erleben informieren würden. Am Ende sind wir jedes Mal wieder davor zurückgeschreckt, es tatsächlich offen zu erzählen, weil wir beide in einem beruflich Werte-getriebenen Umfeld tätig sind und dort auch viele persönliche Verbindungen haben. Wir haben uns entschieden, nach und nach einige wenige, handverlesene Freunde einzuweihen. »Und was wir erfahren haben, war so ganz anders als das, was wir erwartet haben: Mitgefühl, Wärme, Herzlichkeit, Unterstützung, Bereitschaft zum Reden, wenn Redebedarf war, und Bereitschaft zum Schweigen, wenn Stille gefragt war. Ich bin meinen und unseren Freunden von Herzen dankbar für diese Unterstützung; ich weiß nicht, was ich ohne sie getan hätte. Dass ich es erzählen konnte, hat die Last gemindert, mich vor dem Ausdenken weiterer ›Schummeleien‹ bewahrt und mir geholfen, die Lebensfreude halbwegs zu bewahren und an dunklen Tagen wiederzufinden. Es war kein leichter Schritt damals, sie einzuweihen. Aber es hat sich gelohnt, dass ich meinem Empfinden Raum und dem Ruf nach Offenheit in Freundschaften stattgegeben habe. Danach war der Weg zwar immer noch sehr steinig – aber ich hatte mit meinen Freunden an der Seite dickere Sohlen, um darauf zu gehen.«

»Ja, das stimmt. Ohne die Eingeweihten wären wir ganz schön einsam gewesen – noch einsamer als sowieso schon.«

»Ja, aber heute habe ich mich eben wieder einmal gefragt, ob ich lüge, wenn ich zwar die Wahrheit sage – aber nicht die ganze Wahrheit. Ist das Weglassen von Informationen – wie beispielsweise über unseren Kinderwunsch auf die Frage, ob wir glücklich sind – eine Lüge? Ehrlich, ich weiß es nicht. Aber irgendwie fühlt es sich nicht nach einer Lüge im eigentlichen Sinn an. Vielleicht ist es nur das Schaffen eines Schutzraumes?«

»Das ist ethisch auf jeden Fall die passendere Formulierung, finde ich«, sagt Andi und damit ist für ihn das Thema für heute erledigt.

Unsere Glückszahl ist die Zwei

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