Читать книгу Unsere Glückszahl ist die Zwei - Franziska Ferber - Страница 19
Die Überraschung
Оглавление»Schaffen Sie auch Inseln, also Zeiten, in denen Sie nur das tun, woran Sie als Paar ohne Kind Spaß haben!«, sagt mein Frauenarzt ermutigend und gütig. Dennoch denke ich: Ja, ja – wenn du wüsstest! Wann bitte soll ich denn das auch noch organisieren? Und überhaupt – Spaß haben, wenn wir uns doch ein Kind wünschen … wie stellst du dir das eigentlich vor? Weißt du überhaupt, wie das ist?!
Ich habe so viel im Kopf – nicht nur den Beruf als Unternehmensberaterin, der mich fordert mit dem ständigen Koffer-Ein-und-Auspacken, Ankommen, Abreisen … überall unterwegs und ständig auf dem Sprung. Genau dieses Leben macht es mir schwer, im Hier und Jetzt zu leben. Andi scheint das zu wissen. Als er nach Hause kommt, die Jacke in den Schrank gehängt und die Aktentasche in seinem Büro abgestellt hat, wedelt er mit einem Umschlag.
Erstaunlicherweise schaffe ich es, interessiert zu schauen, was er da mitgebracht hat. Das ist nicht immer der Fall, denn oft bin ich zu müde und ausgelaugt zwischen Job, Kinderwunsch und dem ständigen Versuch, meine Seele auf einem halbwegs tragbaren Niveau zwischen Hoffnung und Enttäuschung zu halten.
»Schau mal, was ich heute gemacht habe«, sagt Andi.
»Gearbeitet?«, lache ich ihn an.
»Auch. Rate weiter!«
»Weil ich ja so gern rate und Überraschungen so besonders schätze? Na gut: Du hast mir einen Zeitungsartikel aufgehoben.«
»Nö!«, lacht Andi mich schelmisch an. »Also?«
Obwohl ich wirklich keine Überraschungen mag und mich nur bedingt erfolgreich als Ratefuchs betätige, fantasiere ich drauflos.
»Kinokarten?«
»Falsch!«
»Einladung zu einer Hochzeit?«
»Die soll ich heute gemacht haben? Ergibt keinen Sinn, merkst du selbst, oder?«
»Also. Was ist es denn?«
Andi merkt, dass ich jetzt für meinen Geschmack genug Vorschläge gemacht habe, und erbarmt sich. Ich vermute, dass ihm wieder einfällt, dass Geduld nun wirklich nicht zu meinen besonderen Stärken gehört.
»Spatzl, wir machen einen Ausflug! Im Juli! Ich habe schon alles gebucht!«
»Wie, du hast schon gebucht! Und was für einen Ausflug? Wohin überhaupt?«
Hatte ich erwähnt, dass mir neben der Geduld auch die Bereitschaft fehlt, mich fremdverplanen zu lassen? Ich entscheide schon gern selbst. Aber gut, mein Mann hat sich Mühe gegeben und sich etwas für mich einfallen lassen. Und mir eine Überraschung bereitet. Ich fange an hochzuhüpfen und versuche, den weißen, länglichen Briefumschlag, den er jetzt mit gestrecktem Arm hochhält, zu erwischen. Gar nicht so leicht. Aber ich schaffe es, erwische den Umschlag, strahle Andi ob unseres kleinen Wettkampfes an und zeige mein schönstes Gewinnerlächeln.
Und auf einmal halte ich inne. Was kann es sein, was hat er sich da überlegt? Schnell fällt mir ein, dass es ja sein könnte, dass er sich auch wünscht, mal rauszukommen aus allen Verpflichtungen und etwas zu erleben. Ach, wie schön wäre das!
Ich halte den Umschlag, der auf einmal so viel Vorfreude verspricht, in meinen Händen. Für einen Moment bin ich tatsächlich nur hier – nicht beim Eben und nicht beim Gleich, einfach nur hier. Mit dem Umschlag in der Hand. Er fühlt sich auf einmal, obwohl es ein ungefütterter Standard-Briefumschlag ist, ganz weich an. Ganz vorsichtig hebe ich die eingesteckte Lasche auf der Rückseite hoch. Und dann sehe ich sie, die Flugtickets. Ein Stück weit ziehe ich sie noch raus und kann nun auch lesen, wohin sie uns bringen werden. Nach Rom!
Drei Wochen später ist es so weit, es geht endlich los in Richtung Rom. Andi hat den Kurztrip mit meinem Büro abgestimmt und einen Flug am Mittwochabend ausgesucht; von München nach Rom. Das heißt, dass ich am Mittwochmittag bereits das Büro verlassen muss, um rechtzeitig zu Hause zu sein, den Koffer zu packen und die Blumen zu gießen. Als Andi kurz nach mir zu Hause eintrifft und wir uns mit einem kurzen Kuss begrüßt haben, lassen wir uns auf das Sofa fallen.
»Und? Wie war dein Tag?«, frage ich ihn.
»Anstrengend. Ich kann so gut wie möglich vorausarbeiten und meinen Schreibtisch abarbeiten. Und dann kommt doch immer noch etwas Unvorhergesehenes, Dringendes rein. Da komme ich echt ins Schwitzen.«
Ich nicke. Ich kenne das so gut. Mir ging es genauso. Ich hatte gerade noch eine kurzfristig angesetzte Telefonkonferenz mit meinem Auftraggeber, der mal »ganz kurz« noch ein paar Fragen hatte zu einem Konzept, das ich geschrieben habe.
»Unglaublich, oder? Es scheint fast so, als würden die Menschen im Umfeld glauben, die Welt würde enden, nur weil wir mal zweieinhalb Arbeitstage – und das sogar mit Ankündigung – nicht erreichbar sein werden. Irgendwie kommt es dann doch immer völlig überraschend. Wie bei der Bahn der Herbst oder beim Einzelhandel Weihnachten. Komisch, oder?«
Andi nickt, streckt sich und schaut mich an. »Komm, jetzt machen wir uns fertig und fliegen weg. Es wird schon nichts schiefgehen! Aber ehrlich, ich könnte jetzt auch einfach ins Bett gehen«, sagt er und gähnt hinter vorgehaltener Hand. Ich fühle mich so erschöpft, dass ich das tatsächlich kurzzeitig erwäge, bevor ich mich zusammennehme und aufstehe.
Wir sammeln unsere Kleidung und die Stadtführer ein, packen alles geübt in die beiden kleinen Rollkoffer. Dann kochen wir uns noch einen schnellen Kaffee. »Auf dem Weg nach Italien in die ewige Stadt kann man einfach nicht sicher sein, dass man einen guten Kaffee bekommt, oder?«, grinst mich mein Mann an. Und dann geht’s los. Erst zum Bahnhof und von dort mit der S-Bahn zum Münchner Flughafen. Leider sind wir nicht – wie von Edmund Stoiber damals auf mittlerweile so berühmte, verhaspelte Art und Weise visionär vorgeschlagen – in zehn Minuten und bereits eingecheckt vom Hauptbahnhof im Flieger. Nein, in München dauert der Weg mit der S-Bahn eine Dreiviertelstunde. Aber das macht nichts – so haben wir Zeit, innerlich bei unserer Reise anzukommen und den Büroalltag hinter uns zu lassen.
Die Stadt der Liebe ist Paris. Die ewige Stadt ist Rom. Und wir sind mitten drin. Andi hat ein schönes kleines Hotel in der Nähe der Fontana di Trevi gefunden, wir haben schon das Zimmer bezogen. Es ist spät am Mittwochabend, aber wir wollen noch einmal kurz los und einen ersten, kleinen Eindruck von Rom bekommen, bevor wir ins Hotelbett fallen.
Es sind nur ein paar Minuten zu Fuß zur Fontana di Trevi, diesem sagenhaft schönen und abends romantisch beleuchteten Brunnen. Kaum sind wir angekommen und haben uns umgeschaut, müde, aber fröhlich, schlägt Andi vor, in der nahe gelegenen Gelateria, die er auf dem Weg gesehen hat, ein Eis zu holen.
»Was möchtest du?«
»Vanille und Haselnuss, bitte.« Ich bestelle das, was ich immer bestelle, wenn ich eine neue Gelateria entdecke. Ich finde, bei den Standard-Eissorten ist die Vergleichbarkeit am höchsten. Wie sonst sollte ich an meinem Lebensende die Frage beantworten können, wo ich denn nun das beste Eis gegessen hätte? Falls das mal jemand von mir wissen möchte.
Ich bleibe allein am Brunnen zurück und schaue die vielen Figuren an, die aus dem Marmor herausgeschält wurden. Davor plätschert das blaue Wasser. Nein, an Anita Ekberg denke ich nicht.
»Signora!«, höre ich dicht neben mir. Schwupps, drehe ich mich auf dem nicht vorhandenen Absatz meiner Ballerinas um und sehe einen Mann vor mir, dunkle Augen und Haare und im Arm drei rote, langstielige Rosen. Ich nehme sie an und schnuppere an ihnen, um zu sehen, ob sie so schön duften, wie sie aussehen.
»Spatzl!«, höre ich Andi zurückkommen, zwei Eis in der Hand. Eins davon reicht er mir und bevor ich es abnehmen kann, dreht sich der Rosenverkäufer zu Andi um und streckt die offene Hand vor, die Handfläche nach oben. Es sieht so aus, als wollte er Geld. Aber das verstehe ich nicht gleich.
»Andi, nein. Er will doch nur Feierabend machen, es ist spät – da hat er mir die Rosen geschenkt.«
Aber der Mann steht noch immer da mit der offenen Hand.
»Spatzl!«, sagt Andi. »Du bist wirklich selten naiv, aber jetzt schon! Wusstest du nicht, dass sie es genauso machen? Den Frauen werden die Rosen gereicht und die Begleiter müssen sie dann bezahlen. Und zurück nehmen sie sie auch nicht.«
Andi meint das liebevoll und gibt dem Verkäufer einen Fünfeuroschein. Aber der ändert seine Haltung nicht und es wird klar, dass ihm das für die drei roten Rosen nicht reicht.
Am Ende ist Andi um zehn Euro ärmer und ich um drei rote Rosen reicher, die ich ins Hotel zurücktrage und im Zahnputzbecher neben den Fernseher auf den kleinen, dunkelbraunen Schreibtisch stelle. Nachdem das ganze Hotelzimmer in Dunkelrot gehalten ist und die Möbel aus dunklem braunem Holz sind, machen sie sich dort eigentlich ziemlich gut – meine Rosen. Und dann schlafen wir ein – tief und fest in der ewigen Stadt.