Читать книгу Unsere Glückszahl ist die Zwei - Franziska Ferber - Страница 21

Die Kliniksuche

Оглавление

Wenn eine Entscheidung gefällt ist, wenn ich beschließe, etwas umzusetzen, dann tue ich das auch. Wir haben eine Entscheidung getroffen und los geht’s. Ich bin dann gar nicht mehr zu bremsen und will, wenn ich mich für ein Thema interessiere, am liebsten einfach nur noch tief eintauchen und gute Quellen ausgraben. Ich behaupte ja gern, dass ich in Teilen zur Gattung der »sehr breit interessierten Menschen« gehöre. Ich bin also jemand, der sich für sehr viele Dinge interessiert und ein einigermaßen breit aufgestelltes Wissen hat – auch dort, wo es mit dem eigenen Leben eigentlich gar nichts tun hat.

Das ist beispielsweise beim Kochen so. Ich habe ein unglaublich großes Wissen darüber, wie man welches Gericht zubereitet. Ich kenne die Bedeutung von Fachbegriffen, die von Profiköchen verwendet werden. Aber … ja, aber: Ich koche nicht – so gut wie gar nicht. Und wenn, dann nur schnelle Gerichte. Mir fehlt die Geduld, darauf zu warten, dass ein Gericht fertig wird. Zwei Stunden Garzeit im Ofen? Ihr könnt sicher sein, dass ich das nicht koche.

Doch, einmal habe ich so etwas gemacht. Ich liebe Quitten und trauere noch heute dem Quittenkonfekt meiner Großtante hinterher, die mit 97 Jahren selig entschlafen ist und leider das Rezept mit in den Himmel genommen hat. Nach langer Suche hatte ich endlich ein Herstellungsverfahren gefunden, das so klang, als könnte es zu einem Quittenkonfekt führen, das dem in der ganzen Familie so geliebten »Quittenbrot« von Tante Maria wenigstens ähnlich wäre. Es dauerte sage und schreibe drei Tage, die Quitten so zu verarbeiten, dass die Grundlage für das Konfekt trocknungsbereit auf den Backblechen lag. Und weitere, man glaubt es kaum, fünfzehn Tage mit täglichem Drehen und Wenden, bis es so getrocknet war, dass man die kleinen Quadrate in feinstem Zucker wenden und anschließend in hübsche kleine Geschenktütchen verpacken konnte. Dies ist aber auch die einzige Ausnahme, die mir einfällt, bei der ich mich einer langen Zubereitungszeit geopfert habe.

Was ich zu Beginn meiner Kinderwunschklinik-Recherche nicht wissen konnte: Auch dieser Prozess würde mich lange, sehr lange, beschäftigen. Dagegen sind die achtzehn Tage Quittenkonfekt geradezu lächerlich. Heute weiß ich, dass es manchmal ganz gut ist, nicht das volle Ausmaß eines Vorhabens zu kennen – weil man sonst vielleicht gar nicht erst starten würde. Weil man vorher schon den Kopf in den Sand stecken würde, weil es zu lange, zu aufwändig, zu anstrengend wird.

»Es ist schon erstaunlich, was das Internet uns alles beschert«, sage ich zu Andi, während wir am Sonntagnachmittag spazieren gehen. Die Sonne scheint und mir tut es gut, beim Laufen durch Wald und Wiesen mit Andi sprechen zu können. »Ich habe jetzt eine ganze Woche lang in jeder freien Minute das Netz nach Informationen über Kinderwunschkliniken in München durchstöbert. Und ich sage dir, da verstehst du erst mal nur Bahnhof«, beschwere ich mich weiter.

Andi schaut mich an und stolpert fast über einen Stein. Im letzten Moment kann ich ihn noch auffangen. »Wieso denn das?«

»Na, die Internetauftritte der Kliniken und Praxen sehen ja optisch meistens ganz chic aus. Da gibt es Fotos vom ­Empfangstresen, von den Ärzten und Schwestern und von Eizellen, die sich teilen. Und vom Sperma, durch ein Mikroskop betrachtet. Aber woher weiß ich denn bitte, worauf ich achten muss? Das ist alles gutes Marketing, hübsche Bilder und so – aber ich will doch, dass wir eine Klinik finden, die fachlich gut ist. Wenn sie dann noch schön gestylt ist, okay. Aber mir ist doch wichtig, dass die was können!«

»Recht hast du!«

»Ja. Ich weiß. Aber ich kenne mich nicht aus. Dieses Fachchinesisch versteht doch kein Mensch! Ich habe drei Tage gebraucht, um herauszufinden, dass es eine sogenannte ›Baby-Take-Home-Rate‹ gibt, anhand derer die Kliniken ihre Erfolge beziffern. Ist ja schön und gut – letzten Endes zählt, dass man nicht nur schwanger wird, sondern dass das Kind auch tatsächlich geboren wird, nicht wahr? Also eben ›Baby-Take-Home‹. Na toll. Und dann darfst du losgehen und die Quoten aus lustigen Tabellen ablesen und herausarbeiten und Listen darüber führen, welche Klinik wie viele Babys ›nach Hause gebracht‹ hat. Aber das macht keinen Spaß, sage ich dir! Ich will ein Kind haben und keine Excel-Expertin werden.«

Ich bin gerade echt im Überforderungsmodus. Alles neu, alles ungewohnt, eine Portion Unsicherheit im Gepäck und erst einmal habe ich außer tiefer Recherche wirklich keine Idee, woher ich die Quellen bekommen soll, die eine verbindliche Grundlage für eine Entscheidung sein könnten.

»Gibt es da keine Erfahrungsberichte?«

»Wie denn? Kein Mensch redet über den unerfüllten Kinderwunsch – und wenn, dann nur anonym. Oder sehr spät mit ausgewählten, wenigen Menschen – wenn die Last, das Thema allein zu tragen, zu groß wird oder wenn die Umgebung zu skeptisch wird. Aber da kann ich ja nicht einfach so nachhaken. Und wer sagt mir denn, dass die Berichte nicht gefälscht oder bestellt sind – so wie oft bei den Bewertungen von Hotels und Restaurants?«

Andi hat es gerade echt nicht leicht mit mir und dass die Sonne scheint, hilft der Stimmung nur bedingt – die nehme ich nämlich gar nicht wahr, weil ich mich so in Fahrt geredet habe. Alles, was ich diese Woche erlebt habe, muss jetzt raus. Da muss er durch, denke ich.

Ich liebe diese Sonntagsgespräche beim Spaziergang. Unter der Woche konzentriert sich jeder auf seine Sachen. Abends erzählen wir uns vor dem Schlafengehen immer, wie der Tag war – aber die großen Themen, die, die wirklich Zeit brauchen, heben wir uns meistens für das Wochenende auf. Auf diesen Sonntagsspaziergängen planen wir immer, was ansteht, stimmen uns ab und entwickeln neue Vorhaben. Manchmal denke ich, dass wir durch die vielen Jahre der Zusammenarbeit einen ganz besonderen Modus im Miteinander gefunden haben. Das, was zu planen ist, planen wir oftmals in ähnlicher Art und Weise, wie wir es im Beruf auch tun würden: generalstabsmäßig, mit Projekt- und Zeitplan, Risiken bedenkend, Chancen sehend, und wir erarbeiten immer die Erfolgsfaktoren. Oftmals ist es tatsächlich so, dass wir uns fragen: »Okay, wenn das der Weg ist – worauf kommt es dann an, damit es gut ausgeht?« Auch das ist eine Denke, die wir uns durch die Organisation einiger größerer Veranstaltungen angeeignet haben: gut planen, Gefahren vorausahnen und den Umgang mit ihnen, wenn sie denn eintreten, schon planen und dann anpacken und gestalten. Wir beide mögen das, für uns als Ehepaar passt das gut – und was oder wie andere Paare das machen, interessiert uns herzlich wenig.

»Ist ja schön und gut, wenn die Kinderwunschkliniken versuchen, einen brauchbaren Außenauftritt zu haben. Ist ja nicht bei allen so, dass sie Kompetenz mit entsprechenden Bemühungen unterstreichen. Aber wenn wir mal die ganzen Marketingaspekte zur Seite stellen«, greife ich das Thema wieder auf, nachdem wir eine Weile in friedlichem Schweigen nebeneinander hergelaufen sind, »dann komme ich zu dem Ergebnis, dass folgende Kriterien für die Klinikauswahl für uns Sinn machen könnten: fachliche Kompetenz und der daraus resultierende Erfolg, Kundenorientierung und menschliche Sympathie sowie eine halbwegs akzeptable räumliche Nähe beziehungsweise Erreichbarkeit für uns.«

»Okay. Okay?«

»Ja, so wie ich das sehe, muss man im Behandlungszyklus ständig dahin – hier Blutabnahme, da Ultraschall, Medikamentenjustierung und was weiß denn ich noch alles. Wenn ich da jedes Mal durch die halbe Republik reisen muss, kann ich es auch gleich sein lassen. Wie soll ich das denn alles neben dem Berufsalltag unterbringen?«

»Stimmt«, sagt Andi, und ich merke deutlich, dass er nun auch gemerkt hat, dass das ganze Vorhaben vermutlich nicht in die Kategorie »schönes Paarerlebnis« fallen wird.

»Also, noch mal: Wenn meine Kriterien richtig sind und ich davon ausgehe, dass die Hauptlast des Ganzen bei mir liegt, dann habe ich eine favorisierte Praxis. Die ist in erreichbarer Entfernung. Und noch etwas, was ich wichtig finde: Sie haben wenigstens eine Internetseite, die Informationen über den Ablauf und die verschiedenen Behandlungsmethoden gibt und alles halbwegs brauchbar erklärt. Das finde ich per se schon mal vertrauen­erweckend. Sie tun wenigstens nicht ganz so, als wäre es nur ein Spaziergang oder gar ein Wellnesstrip.«

Andi bleibt stehen, schaut kurz hoch zum Himmel in die Sonne und dann zu mir. »Hör mal, Spatzl, ich weiß, dass du da echt Mühe – zeitlich und seelisch – investiert hast. Ich weiß, dass das, was wir uns vorgenommen haben, nicht lustig wird. Und ich weiß, dass du davon das Meiste zu tragen haben wirst. Aber ich bin da für dich und für unser Vorhaben. Es ist unser Vorhaben – es ist unser Wunsch. Du bist nicht allein, auch wenn du es nun alles gerade allein recherchiert hast. Du kannst dich auf mich verlassen.« Er nimmt mich in den Arm, ganz fest, und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. »Wir schaffen das. Zusammen. Gemeinsam. Was meinst du: Wir könnten doch da erst einmal hingehen und uns die Klinik anschauen. Dann sind wir schlauer und haben auch ein Gefühl, ob die menschlich zu uns passen.«

Ich löse mich ganz gerührt aus seiner Umarmung. Seine starken Arme geben mir Halt und ich freue mich, dass er von sich aus genau das gesagt hat, was ich gerade am liebsten hätte hören wollen. Ach, denke ich und blinzele in die Sonne, das schaffen wir schon. Mit Andi geht das. Ich habe ein wohlig-warmes Gefühl im Bauch und auf einmal bemerke ich auch die warmen Sonnenstrahlen, die mein Haar wärmen. Innerlich fühle ich Hoffnung.

»Danke, Liebling!«, sage ich und küsse Andi. Er hat es wieder einmal geschafft, das, was ich gedacht habe, rund zu machen. »Ja, wir haben einen Plan. Ja, wir kennen den nächsten Schritt. Das tut gut. Danke, du!«

Unsere Glückszahl ist die Zwei

Подняться наверх