Читать книгу Unsere Glückszahl ist die Zwei - Franziska Ferber - Страница 6
Früher
ОглавлениеJa, heute tue ich mir etwas Gutes!, denke ich. Und weil ich das schon immer schrecklich gern getan habe, schnappe ich mir meine Handtasche, das iPad und den Autoschlüssel, fahre in die Innenstadt, kaufe mir Zeitungen und Zeitschriften und setze mich in eins meiner Lieblingscafés.
Ich bestelle einen großen Milchkaffee, dazu – weil ich mir ja etwas gönnen will – auch noch ein Croissant, dessen Fettgehalt, so las ich einmal, dem von dreizehn (!) Semmeln entspricht, richte mich auf meinem Lieblingsplatz an der großen Fensterfront gemütlich ein und beginne also damit, mir etwas Gutes zu tun.
Ich schlürfe den Kaffee, genieße dieses himmlisch-fies-fettige Croissant, blättere in den Zeitschriften und schaue aus dem Fenster. Und anfangs, weil ich ein Frühaufsteher und deshalb früh dran bin, empfinde ich es nur als großen Luxus, einfach an einem Samstagvormittag hier zu sitzen und Menschen vorbeilaufen zu sehen und dabei zu beobachten.
Weil ich es so schön finde, vergeht die Zeit wie im Flug und – bang! – ist es etwas später und die Familien beginnen vorbeizuflanieren. Nach kurzer Zeit sehe ich nur noch hübsche Mütter mit attraktiven Ehemännern, tollen Kinderwagen und reizenden Kindern. Hübsch zurechtgemacht für den Familienausflug in die Stadt – fast wie in Spanien auf der Plaza Mayor prominieren sie vor meinem Sitzplatz entlang. Je länger ich aus dem Fenster schaue, desto mehr sehe ich davon. Und desto trauriger werde ich – denn diese Menschen scheinen all das zu haben, was ich mir wünsche und was ich heute, wo ich mir in der angespannten Seelenlage etwas Gutes tun wollte, einmal nicht sehen wollte, obwohl ich es ihnen von ganzem Herzen gönne.
Genau das ist es nämlich: Es ist kein Neid, der mich beschäftigt. Ich bin ein Mensch, den der Lebenssatz »Gib – und dir wird gegeben« begleitet. Auch an einem solchen Samstagvormittag freue ich mich für die Menschen, die das haben, was ich mir so sehnlich wünsche – Kinder. Mich packt das Gefühl des »Will ich auch« so sehr, dass ich traurig meine Zeitungen und Zeitschriften zusammenpacke, bezahle, zum Auto gehe und weine – weil die Sehnsucht nach einem Kind mal wieder so groß ist.
Wer mich kennt, weiß, dass ich alles dafür getan habe, ein Kind – unser Wunschkind – zu bekommen.
Gut, als ich mit Anfang zwanzig meine Studienzeit im Ausland beendet hatte, frisch berufstätig war und mit einer ganz besonders lieben Freundin das Leben in einer für uns neuen Stadt im Süden Deutschlands genoss, war ich davon nicht überzeugt. Ganz im Gegenteil: Wir beide waren uns sicher, dass wir eigentlich weder heiraten noch Kinder bekommen wollten. Warum auch? Bei unendlich vielen Gesprächen – zwischen Kaffeetassen und manchmal auch einem Glas Wein – stellten wir immer und immer wieder fest und bestärkten uns (und auch gern die, die uns zuhörten), dass wir eigentlich nicht bereit waren, unsere Freiheit und Identität abzugeben. Denn wir glaubten, das müssten wir, wenn wir uns einen (Ehe-)Mann suchen und mit ihm und gemeinsamen Kindern eine Familie gründen würden.
Später lernte ich noch eine andere Freundin kennen, die gern sagte: »Wenn die anderen normal sind, spinne ich gern!« Und genauso fühlte es sich an: Wir erfreuten uns an unseren Macken, die wir bisweilen auch kultivierten, und an unserer Unabhängigkeit. An unseren spannenden Jobs, die uns manchmal mehr lehrten, als wir eigentlich lernen wollten. Und an unserem Leben. Ja, man kann sagen, wir genossen unser Leben in vollen Zügen.
Aber kaum wurden wir älter, kaum wurden wir routinierter in unseren Jobs, kam irgendwann doch bei uns – jedenfalls ganz sicher bei mir – das Gefühl auf, das Leben könnte wohl doch noch etwas mehr zu bieten haben.
Heute, zehn Jahre nach dem »Ende zwanzig«, blicke ich auf mein Leben, das mir seltsamerweise noch immer – oder sollte ich besser sagen: wieder? – ziemlich frei und unabhängig vorkommt. Ein Leben, in dem (meine Eltern würden es lachend bestätigen) meine Macken nicht weniger geworden sind, ich aber glücklich verheiratet, wenngleich doch kinderlos bin.
In großen Teilen war es allerdings keine leichte, unbeschwerte Zeit. Denn wir, mein kluger, zauberhafter Mann und ich, hatten jahrelang einen großen Kinderwunsch und haben letzten Endes alles in Deutschland (reproduktionsmedizinisch) Mögliche und für uns Vertretbare getan, um unser Wunschkind zu bekommen. Und wir haben dieses Wunschkind bis heute nicht.
Dennoch sind wir nun glücklich, fröhlich und frei, auch wenn es kein leichter Weg dahin war – ganz und gar nicht.
Unsere Geschichte, die Geschichte dieser langen Jahre des unerfüllten Kinderwunsches, voller medizinischer Behandlungen, vieler Grenzerfahrungen, Kübeln voller Tränen im Tal der Enttäuschung und des mühsamen Wegs in die heute abgeschlossene Versöhnung mit dem kinderlosen – aber nun wirklich nicht freudlosen – Leben, erzähle ich hier.
Meine wunderbare Mutter hat es von jeher mit diesen Worten gehalten: »Und wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.« Unser Licht, das von meinem Mann und mir, leuchtete phasenweise nur noch kaum wahrnehmbar – heute strahlt es wieder. Unser Weg dahin und die Tipps, Methoden und Gedanken, die mir im Umgang mit unserem unerfüllten Kinderwunsch geholfen haben, sind der Grund, warum ich heute als Kinderwunsch-Coach arbeite, und gleichzeitig Anlass, meine Geschichte des unerfüllten Kinderwunsches zu erzählen.
Warum ich das tue? Ich möchte anderen, die von diesem Tabuthema betroffen sind, Mut machen und sie wissen lassen, dass sie nicht allein mit ihrem Erleben sind. Und dass das Leben auch ohne das ersehnte Wunschkind wunderbar sein kann – wenn man es schafft, loszulassen.