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Der Weg zwischen früher
und heute
Оглавление»Wir lernen in der Schule immer früher und immer mehr darüber, wie man am besten eine Schwangerschaft verhindert. Im Biologieunterricht gibt es irgendwann auch die Einheit ›Sexualkundeunterricht‹. Hier lernen wir, wie Kinder entstehen. Nein, es sind immer noch nicht die Bienchen und Blumen. Wir lernen, wie die Kinder im Bauch der Mutter heranwachsen und auf die Welt kommen. Was uns niemand beibringt, ist, wie die Fruchtbarkeitskurve der Frau verläuft. Wir lernen nicht, wann wir weiblichen Wesen am fruchtbarsten sind und wie (rasant!) die Kurve nach unten geht, kaum dass wir die Altersklassifizierung 25 bis 29 hinter uns gelassen haben«, beschwere ich mich im Gespräch mit einer Freundin. »Mir hat niemand beigebracht, dass die statistische Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Jahres schwanger zu werden, zwischen 20 und 24 Jahren um die achtzig Prozent liegt, während sie bei 35- bis 39-jährigen Frauen nur noch bei circa fünfzig Prozent und ab vierzig bei circa 35 Prozent liegt.«
»Das stimmt. Und es kann eigentlich nicht sein«, bestärkt mich Dorothee, meine Freundin, eine – nicht nur familienpolitisch – sehr engagierte Mutter von drei Kindern. »Die Gesellschaft wundert sich über niedrige Geburtenraten. Dabei ist es doch eigentlich klar: Wir Frauen sind heutzutage so gut ausgebildet und beruflich so erfolgreich wie noch nie. Und weil wir so viel in unsere Ausbildung investiert haben, erwarten wir, dass sich das erst einmal rentieren muss, bevor wir uns anderen Dingen (beispielsweise Kindern) zuwenden. Zudem haben wir in unserer Generation, der ersten, deren Eltern selbst Nachkriegskinder sind, gelernt, dass alles möglich ist. Die meisten von uns kennen keine Not und keinen Hunger. Stattdessen sind wir vor vielleicht 25 Jahren mit dem ersten Gameboy und seinen Freuden – neben vielem anderen – konfrontiert gewesen. Wir haben gelernt, dass das Leben Freude bringen soll und einem ein Stück vom großen Kuchen zusteht. Und weil das so ist, fangen wir immer später an, uns fest zu binden, weil wir ja vorher noch etwas erleben wollen. Aber erst wenn feste Bindungen eingegangen worden sind, entsteht normalerweise früher oder später die Kindersehnsucht, der Wunsch nach einer eigenen Familie und einem eigenen Kind. Und währenddessen werden wir Frauen dreißig und fünfunddreißig und manchmal vierzig, bis es tatsächlich so weit ist.«
Ich höre Dorothee zu und weiß, dass sie recht hat. Eigentlich fühlt es sich sogar so an, als würde sie über mein Leben sprechen. Aber sie ist noch nicht zu Ende mit ihrer Rede.
»Wenn heute eine Frau vierzig Jahre alt ist, sieht sie aus wie früher eine Dreißigjährige. Wenn heute eine Frau fünfzig Jahre alt ist, wird sie oft auf gerade mal vierzig geschätzt. Was uns niemand beigebracht hat, ist, dass die Eizellen, die wir haben, nicht mit den gleichen Mitteln verjüngbar sind wie unsere Haut und unser ganzes Erscheinungsbild. Wir sehen länger besser und jünger aus – aber unsere Eizellen und unsere Fruchtbarkeitskurve schreiten kontinuierlich dem Ende entgegen. Bis wir merken, dass das so ist, ist es häufig zu spät. Ich habe Glück; ich habe drei wunderbare Kinder. Du hast dieses Glück nicht. Aber gesellschaftlich muss sich da etwas ändern – und zwar von beiden Seiten, von den Politikern und den Bürgern –, ob durch Kinderlosigkeit betroffen oder nicht. Ich finde es mutig, welchen Weg du gegangen bist!«, ruft sie mir zu, bevor sie ins Auto steigt.
Früher, ganz früher, war meine Sorge auch, dass ich ungewollt und noch in der Ausbildung schwanger werden könnte. Heute denke ich manchmal: Das wäre gar nicht so schlecht gewesen. Dann wären wir als Familie vielleicht durch das Gröbste schon durch und könnten uns voll auf den Beruf konzentrieren, wenn andere gerade erst anfangen, darüber nachzudenken, wie sie Beruf, Karriere und Kinder verbinden. Was spricht dagegen, früh Eltern zu werden? Aus meiner Sicht: Nichts.
Heute wissen mein Mann und ich, dass wir auch dann kein Kind bekommen hätten, wobei wir die konkrete medizinische Ursache in unserer Privatsphäre halten möchten. Damals wussten wir allerdings noch gar nicht, was das Problem war, und es sollte noch Jahre dauern, bis wir diese medizinische Diagnose erhielten.