Читать книгу Unsere Glückszahl ist die Zwei - Franziska Ferber - Страница 7
Heute
ОглавлениеUnsere ersehnten Ferien beginnen, wir können endlich losfahren. Nach Italien. Allein das Wort »Italien« löst bei mir schon eine ganze Welle schöner Assoziationen aus; eine Welle von Eis und gegrilltem Fisch, von Sonne und Erholung, von Antipasti und Aperitivo, von Pasta, Cappuccino und Dolce Vita. Wir fahren aber nicht nur nach Italien, sondern in den Piemont. Eigentlich ist das nur zufällig unser Ziel geworden. Wir hatten uns ausgemalt, wie schön es wäre, die Ferien zwischen Kühen und Seen in Kärnten zu verbringen. Wir hatten vor, wie früher in der Kindheit zwischen früh gemähtem Heu – oder zumindest dessen Duft – morgens nach dem Aufstehen im Garten unseres (noch zu findenden) Ferienhauses Kaffee zu trinken und dem Tag beim Erwachen zuzusehen. Wir wollten die Sonne auf der Haut genießen, mit dem Hund spazieren gehen und spielen, viel lesen, auch kochen und vor allem Zeit gemeinsam verbringen. Zeit als Paar. Aber so kam es nicht. Denn wir fanden partout kein Ferienhaus, das zu uns und auch zu den Bedürfnissen von Elli, der lieben, aber eben auch jungen und entdeckungsfreudigen Hündin, gepasst hätte. Außerdem sollte es uns ja auch noch gefallen und wir konnten uns partout nicht vorstellen, zwischen Resopal-Möbeldesign und hochkurbelbaren Sofatischen mit kleinen, braunen Kacheln Erholung zu finden. Kurzum: Wir fanden kein Angebot, das uns wirklich zusagte. Irgendwann weiteten wir unseren Suchradius aus und fanden endlich im norditalienischen Piemont genau das, was wir uns erhofft hatten. Auf einer Onlineplattform war zufällig dieses wunderbare Weingut aus dem 18. Jahrhundert zu sehen, mitten in den Weinbergen und touristisch im Niemandsland gelegen.
Also brechen Andi und ich mit Elli, die seit eineinhalb Jahren mit uns lebt, Anfang August auf ins völlig abgeschieden gelegene, totale Ruhe versprechende Norditalien. Und weil wir so viel gearbeitet haben, sind wir ahnungslos, wo wir eigentlich genau hinfahren.
»Andi, hast du mal recherchiert, wie es da so vor Ort ist?«, frage ich meinen Mann, der am Steuer sitzt und seit einer Weile schon schweigend fährt. »Also … ich meine, weißt du, was dort an Ausflügen möglich ist und was uns sonst noch erwartet?«
»Nein. Ich habe es zeitlich mit Mühe und Not gerade noch geschafft, daran zu denken, die Route zu eruieren und sicherheitshalber auszudrucken«, sagt er vom Fahrersitz aus in meine Richtung. Ich nicke ihm zu.
»Stimmt. Für mehr Recherche und vorfreudige Ferienplanerei war schlicht keine Zeit – für dich nicht und für mich nicht. Nun, dann fahren wir eben fröhlich in Richtung Ferienexperiment. Kann ja auch ganz witzig sein«, sage ich ferienlaunig fröhlich gestimmt. Und so fahren wir los, mit vielen Hoffnungen im Kopf und der Überzeugung im Herzen, dass es gut werden wird – diese Ferien, auf die wir uns so lange gefreut haben und die wir nun so dringend brauchen.
Wir bewältigen die Tour über die Schweiz und den Großen Bernardino auf einer Straße, die wir bestenfalls als Landstraße bezeichnen würden, die in Wahrheit aber eine Autobahn ist, und fahren durch Norditalien. An Lugano vorbei, an Como, an Mailand und irgendwann biegen wir auf eine dieser italienischen Straßen ab in dem sicheren Gefühl, dass wir ja gleich unser Ziel erreichen werden. Nun ja, nicht ganz. Wir brauchen noch eineinhalb Stunden über kleine Straßen und durch noch kleinere Gassen und ungezählte Dörfer, bis wir endlich unser Weingut finden.
Als wir angekommen sind, beziehen wir unsere Ferienwohnung. Klein, fast winzig, ist sie – aber sie wurde liebevoll in einem früheren Kuhstall hergerichtet. An der gemauerten Decke sieht man noch die alten Metallhaken, an denen vermutlich Tiere angebunden wurden. Der kühle Steinboden ist angesichts der Hitze von knapp vierzig Grad nicht nur für Andi und mich perfekt, sondern auch für Elli, die allzu große Wärme nun wirklich nicht mag.
Schnell haben wir ausgepackt und ziehen unsere Badesachen an. Wir nehmen die bunten Badetücher, die uns schon seit einigen Jahren in die Urlaube begleiten, und ziehen Flip-Flops an.
»Auf geht’s, Liebling! Wir haben uns jetzt wirklich einen Sprung in den Pool verdient.«
»Ja, schön, nicht wahr, dass wir das jetzt vierzehn Tage lang jeden Tag tun können. Einfach in die Badehose steigen und um die Hausecke gehen und dann mit einem Kopfsprung in den Pool. Herrlich!«
Als wir um die Ecke des Hauses biegen, sehen wir, dass ein Haufen Kinder mit ihren Eltern hier ebenfalls Ferien zu machen scheint.
»Früher wäre ich umgedreht oder hätte die Zähne zusammengebissen, mich am Riemen gerissen und versucht, das Beste draus zu machen«, sage ich zu Andi in einem plötzlich aufkommenden Moment der Dankbarkeit, nachdem wir rund um den Pool verteilt Schwimmringe und Wasserspielzeug gesehen haben. »Und du weißt, dass ich früher auch geweint hätte, wenn mich außer dir niemand sieht. Ich hätte gute Miene zum sprichwörtlichen bösen Spiel gemacht. Böse nicht, weil ich Kinder nicht mag. Ganz im Gegenteil. Ich hätte mich diszipliniert, weil ich anders das Glück der anderen nicht hätte ertragen können, wo es doch unser innigster Wunsch war, selbst endlich ein Kind zu bekommen. Ach, Andi … was bin ich froh, dass ich damit heute anders umgehen kann. Ich bin sehr glücklich, dass wir unseren Weg gefunden haben und ihn so gut gehen können. Mehr noch, dass er uns glücklich macht.«
Am einen Ende des Pools, dort, wo die geschwungenen Treppen ins Wasser führen, sehen wir eine hochschwangere junge Frau und ihr Kleinkind.
»Vielleicht eineinhalb Jahre alt? Oder was meinst du?«, raune ich Andi zu, denn wir raten öfter mal das Alter von Kindern, die wir sehen.
»Ja. Könnte hinkommen. So ungefähr jedenfalls.«
Nachdem wir die Handtücher auf den beiden freien Liegen neben der Hecke, aber dennoch in der sengenden Sonne abgelegt haben, verzichten wir angesichts der herumtollenden Kinder auf den Kopfsprung ins kühle Nass und wählen den gesitteten Weg in den Pool über die Treppen.
»Hi. Grüß Gott«, grüßen wir die Schwangere und ihren kleinen Sohn.
»Griaßt euch«, schallt es uns freundlich entgegen.
Nachdem wir uns ausgiebig abgekühlt und einige Bahnen durch das Schwimmbecken gezogen haben, zieht es uns zurück zu unseren Liegen. Gegen Abend verlassen wir den Poolbereich und gehen in unsere Wohnung. Später, als wir geduscht haben, tragen wir unser Abendbrot zur Laube vor unserer Ferienwohnung, die wunderbar von Wein und Rosensträuchern eingewachsen ist. Dort steht ein großer Steintisch mit acht Stühlen. So viel Platz brauchen wir zu zweit natürlich nicht und so nehmen wir nur die eine Seite des großen Tisches in Besitz. Etwas später kommt die nette Schwangere an unseren Tisch und fragt, ob sie, ihr Mann und ihr Sohn sich für das »Nachtessen« dazusetzen könnten. Natürlich bejahen wir dies gern.
Wir kommen ins Gespräch und erfahren, dass die beiden ihren zweiten Sohn in fünf Wochen erwarten und dass der erste 21 Monate alt ist. »Ja, das ging doch ziemlich schnell, dass ich wieder schwanger wurde«, lacht sie uns an und wir lachen mit.
»Ich bin doch ganz schön zufrieden mit mir«, sage ich zu Andi, als wir später freudig, aber müde zusammen im Bett liegen.
»So«, murmelt Andi fragend zu mir herüber.
»Früher wäre es der Horror für mich gewesen – die vielen süßen, kleinen Kinder, die Schwangere … und ich. Und jetzt? Ich finde es herrlich – die Kinder machen mir Freude. Der kleine Schweizer ist doch ein Engelchen. So hübsch, so brav, so interessiert … er hat einen ganz wachen Blick. Mit den Schweizern können wir es hier die Ferien über gut aushalten, glaube ich. Hast du gesehen, wie süß und ohne Angst der Kleine auf Elli zugegangen ist? Und wie sie dann nebeneinander im Gras saßen? Da geht mir doch das Herz auf. Er spielt mit dem Traktor und Elli schaut ihm einfach dabei zu.«
Die nächsten Ferientage vergehen zwischen Bummeln und Einkaufen im nahe gelegenen kleinen Städtchen, Kaffeetrinken in der Laube, Lesen auf der Liege und Baden im Pool. Es ist ein leichtes, fröhliches Leben, das wir in diesen Ferien führen dürfen.
Wenn ich auf meiner Liege ausruhe, wandert mein Blick manchmal zu den am oder im Pool spielenden Kindern. Lächelnd beobachte ich, wie sie sich Tag für Tag leichter tun, auf den großen grauen Plastikdelfin im Wasser zu klettern, um sich dann kurz darüber zu freuen, die Herrschaft über das aufblasbare Plastiktier gewonnen zu haben. Wenn ihre Freude sich dann ausdehnt und sie einen Moment unachtsam werden, dreht sich das Bild allerdings schnell: Der Plastikdelfin entfaltet ein Eigenleben und scheint sich aufzubäumen. Schupps, rutschen die Kinder herunter. Wenn sie dann prustend wieder aufgetaucht sind, lachen sie. Und ich lächele ihnen zu.
Wenn der Abend kommt, ziehen wir von den Liegen in die Laube um und genießen das Abendessen. Ein paarmal grillen wir auch mit den Schweizern zusammen. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo der kleine Sohn müde und ein wenig quengelig wird und wo dann einer der Elternteile für eine Weile in ihrer Wohnung verschwindet, um ihn schlafen zu legen. Andi und ich bleiben genüsslich sitzen und freuen uns unseres Lebens.
»Weißt du was?«, versuche ich Andis Aufmerksamkeit zu gewinnen, der anscheinend gerade ein spannendes Kapitel in seinem Krimi liest und vollkommen in den Mordermittlungen aufgeht.
»Was denn?«, fragt er, ohne von seinem Buch aufzublicken.
»Wir haben doch wirklich ein gutes Leben! Wenn anderer Leute Kinder müde werden, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sie zu Bett zu bringen – egal, wie schön der laue Augustabend gerade ist. Wir aber, wir können einfach sitzen bleiben und unseren Weißwein weiter auf der Terrasse trinken. Das ist doch wirklich schön, nicht wahr?«, teile ich Andi meine Begeisterung mit und blicke in den Sternenhimmel. Kurz streichele ich seine freie Hand, die auf dem Steintisch liegt.
»Ja, das ist wirklich ein Segen«, höre ich ihn hinter dem Buch sagen.
»Weißt du, wir haben keine Kinder – und deshalb müssen wir auch nicht dafür sorgen, dass sie nach einem langen Tag in der Sonne am Pool gefüttert werden. Wir können einfach hier draußen bei Kerzenschein in der Laube sitzen, lesen und das so lange tun, wie es uns gefällt. Hast du eigentlich den wunderbaren Sternenhimmel gesehen? Hörst du die zirpenden Grillen?«
Andi hat aufgegeben, weiterzulesen, oder vielleicht hat er auch gemerkt, dass seine Frau gerade Redebedarf hat. Er nimmt sein Lesezeichen und steckt es zwischen die Seiten seines Krimis. Aus dem Augenwinkel erkenne ich, dass er heute fast das halbe Buch lesen konnte.
»Liebling, ganz ehrlich: Im Moment bin ich froh, nicht dankbar, aber einfach zufrieden damit, dass wir kein Kind haben. Und dass wir zusammen trotzdem glücklich und entspannt sein können. Es war ein langer, harter Weg für uns beide, aber auch für jeden einzelnen von uns und ich war wirklich sehr oft unsicher, ob wir ein Leben ohne Kind würden führen können. Aber es klappt – und das ist das Schönste, was ich sagen kann. Lass es uns genießen – mit ganzem Herzen«, sagt Andi mit tiefer, nachdenklicher Stimme und ich weiß wieder einmal genau, warum ich ihn und niemand anderen geheiratet habe.
Die Zeit vergeht und die Ferien neigen sich dem Ende zu. Irgendwann ist es Zeit, unsere Koffer wieder zu packen. Wir sind braungebrannt, haben den Bauch voll mit gutem Essen und die Herzen voll wunderbarer Erinnerungen. So machen wir uns gut erholt und fröhlich auf den Weg zurück aus unseren Sommerferien nach Hause.