Читать книгу Seewölfe Paket 33 - Fred McMason - Страница 10

6.

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Die Kerle starrten ihn erwartungsvoll an, als Ribault zum Land deutete. Da war nur Wasser zu sehen, aber keine Untiefen. Auch kein Kräuseln der See verriet, daß es hier sanft ansteigende Sandbänke gab.

Ribault kannte sich nur nicht an dieser Küste aus.

„Daß der Kerl stinkwütend auf uns ist, dürfte klar sein“, sagte Jean. „Er hat uns erkannt und unter Feuer genommen, aber er hat keine Ahnung, was hier wirklich passiert ist. Außerdem ist er seinen wertvollen Geleitzug los, und so wird er alles dransetzen, um uns zu erwischen. Er muß das einfach tun, und ihm bleibt keine andere Wahl, als uns Tag und Nacht zu folgen, wenn er uns haben will. Natürlich weiß er auch, daß wir schneller sind. Ich selbst würde vor Wut platzten, wäre ich an seiner Stelle, und ich würde die Scharte auswetzen.“

Er stemmte sich mit der Hüfte so an das Schanzkleid, daß er das nördliche Land und einen Teil des Meeres dicht unter der Küste gut überblicken konnte.

„Wie sieht der Küstenverlauf hier unter Wasser aus?“ fragte er den Schwarzen, der unmerklich zu grinsen begann.

„Oh, das ist ganz einfach“, erwiderte Dogon, der Karl von Hutten laufend zeigte, wie er den Kurs anzulegen hatte, um nicht über die Untiefen zu schrammen. „Hier verläuft ein langer Rücken von Sandbänken, der sich tief vom Süden nach Norden hochzieht. Man kann auf der äußeren oder inneren Seite gut entlangsegeln, aber in kurzer Zeit müssen wir entscheiden, auf welcher Seite wir segeln, sonst gelangen wir nicht mehr hinaus, wenn wir innen bleiben. Es gibt dazwischen nur noch ein paar schmale Durchfahrten.“

„Kennst du die Durchfahrten?“

Der Schwarze reckte die Brust raus und lachte dröhnend.

„Dogon kennt alle Durchfahrten. Ich habe hier gefischt. Ich finde sie sogar bei Dunkelheit.“

„Und wo segeln wir augenblicklich?“

„Innen natürlich, aber nicht mehr lange.“

„Aber wir gelangen jederzeit wieder hinaus?“

„Allein nicht“, meinte der Schwarze grinsend. „Dann geht es immer weiter unter Land, und die Rinne wird enger. Und dann – bummrummsrumms – ist Schluß.“

Er zeigte mit der Hand an, daß sich das Schiff überschlagen würde, und wollte sich kranklachen. Für ihn und die anderen Schwarzen war das offenbar ein ganz toller Spaß.

„So schlimm wird es wohl nicht“, meinte Jean und stimmte in das belustigende Gelächter ein. „Aber wenn sich ein Kasten von dieser Größe auf eine Sandbank schiebt, dann sitzt er erbarmungslos fest, denn das gewaltige Gewicht und die Fahrt schieben ihn immer höher hinauf.“

„Was dann?“ fragte Dogon neugierig.

„Dann sitzt er fest und kann uns nicht mehr folgen. Die Spanier haben tagelang zu tun, ihr Schiff wieder flott zu kriegen. Womöglich passiert aber noch mehr, ich habe da so eine Idee.“

„Bis jetzt folgt er uns noch fast im Kielwasser“, sagte von Hutten. „Und er hat auch alle Rohre wieder ausgerannt. Ich glaube, er wird seinen Kurs auch nicht mehr ändern.“

„Dann beginnen wir damit, ihn ein bißchen zu nerven“, meinte Jean. „Wir markieren den Flügellahmen. Soll er annehmen, wir hätten etwas ins Ruderblatt gekriegt, sozusagen als Spätfolge seines Beschusses. Wir werden ein bißchen im Zickzackkurs segeln, als hätten wir Schwierigkeiten.“

Er ließ sich von Dogon noch einmal ganz genau die Untiefen erklären.

„Wenn etwas schiefgeht dabei“, kündigte er dem Schwarzen an, „dann holt nicht nur uns der Teufel. Er holt euch dann auch, wenn du dich geirrt hast und wir plötzlich festsitzen.“

Dogon hieb sich vor Lachen auf die Schenkel. So fröhlich wie heute hatten sie ihn noch nie gesehen.

„Nichts geht schief, Masterkapitän, nichts. Dogon kennt ganz genau alle Sandbänke.“

„Gut, dann lassen wir uns noch etwas Zeit, bis sich unser Vorsprung weiter vergrößert hat, damit es wirklich keine Pleite gibt. Aber mit dem Zickzackkurs können wir ganz allmählich beginnen. Die Kerle werden uns sowieso pausenlos durch den Kieker beobachten.“

Der erste wohlberechnete Schlenker zur Küste hin erfolgte ein paar Augenblicke später. Die „Isabella“ brach aus, gierte nach Osten und wurde wieder auf Kurs gebracht. Das Schauspiel wiederholte sich in unregelmäßigen Abständen.

Der Viermaster folgte unter vollem Preß. Auch die Dons hatten jeden Fetzen Tuch gesetzt, um den Gegner nicht aus den Augen zu verlieren. Allerdings lag sie jetzt schon fast um eine Meile zurück.

Jean Ribault löste von Hutten am Ruder ab und beobachtete das Wasser. Von den Sandbänken war absolut nichts zu sehen. Das Wasser schien auf der inneren Rinne ziemlich tief zu sein. Die „Isabella“ hatte auch nicht viel Tiefgang, die schwerarmierte Galeone lag aber gut und gern ihre acht Yards tief im Wasser.

Später, als sich der Abstand noch mehr vergrößert hatte, ließ Jean Ribault Vorbram- und Vormarssegel wegnehmen. Auch das Großbramsegel mußte schließlich dran glauben. Der Besan stand voll und bei, um bei den Dons den Eindruck zu erwecken, sie steuern die Galeone mit zusätzlicher Hilfe des Besans.

Die „Casco“ hatte inzwischen auch wieder den Besan angeschlagen. Sie hatten in aller Eile geflickt und repariert.

Der Vorsprung verkleinerte sich, und prompt ließ Jean wieder auftuchen, als ginge er dabei ein Risiko ein. Erneut gierten sie auf die Untiefe an Backbord zu.

Der Durchschlupf befand sich nach Dogons Worten etwas weiter nördlich. Es war der letzte. Wenn die Kriegsgaleone ihn verpaßte, dann rannte sie sich hoffnungslos fest.

„Es muß wieder nach einem Schlenker zur offenen See hin aussehen“, sagte der Schwarze, der jetzt ganz angespannt war. „Wir rutschen dicht über die Sandbank und sind draußen. Ich werde scharf aufpassen.“

„Tu das, in eurem eigenen Interesse“, riet Jean.

„Jetzt zum Meer abbiegen“, sagte Dogon etwas später. „Wir müssen auf der Außenseite ganz scharf über den Grund segeln, sonst merken die Spanier was.“

Der Schlenker sah wiederum so aus, als hätte die „Isabella“ große Schwierigkeiten. Sie fiel nach Backbord hin ab, und da hielten sie unwillkürlich den Atem an.

Nur der Profos stieß pfeifend die Luft aus.

„Da saust doch was“, sagte er unbehaglich.

Die Blasen im Kielwasser schienen kleiner zu werden. Der Bart, den die Galeone vor sich herschob, wurde für Augenblicke noch gewaltiger.

Sie hörten es leise knirschen, als streiche jemand mit feinem Schmirgel über den Kiel.

„Mann, o Mann“, sagte der Profos. „Das ist wie bei einem wunden Affenarsch, auf den man Salz streut.“ Dabei griff er sich unwillkürlich an den Achtersteven, als sei der bereits am Qualmen.

„Wieder dort hinüber“, sagte Dogon heiser, „aber ganz schnell. Wir sind gleich durch.“

Es war eine Nervenprobe, als erneut ein Knirschen hörbar wurde und sie dicht über Grund schrammten. Eine Wolke von Sand wurde aufgewirbelt, von der Ribault hoffte, der Spanier würde sie nicht bemerken. Aber das war bei dem gleißenden Wasser nicht anzunehmen.

Einmal riskierte er einen Blick durch den Kieker und sah, daß die Lotgasten auf dem Kriegsschiff emsig beschäftigt waren. Früher oder später mußten sie die Untiefe loten. Diese Bedenken teilte er auch dem Schwarzen mit.

Aber der lachte schon wieder und hieb sich auf die glänzenden Oberschenkel.

„Zu spät“, sagte er grinsend, „viel zu spät. Aber du solltest jetzt zum Meer hin abdrehen, Masterkapitän, sonst ist es für uns auch bald zu spät.“

Ribault schluckte und legte eilig Ruder.

Sie waren draußen und hatten es geschafft. Don Julio jedenfalls stand noch ein schmerzlicher Tag bevor.

Der Kommandant war längst wieder an Deck erschienen und beobachtete mit einem immer hämischer werdenden Grinsen die Galeone. Er vermutete genau das, was Jean Ribault ihm unterstellt hatte, als er die Segelmanöver bemerkte.

„Sie haben Schwierigkeiten“, sagte er zu Pergoza. „Offenbar ist sein Ruder angeschlagen, sonst würde er nicht mit dem Besan steuern. Ein kleiner Treffer von den Fünf-Pfündern vielleicht. Na, jetzt schnappen wir sie wahrscheinlich doch noch.“

„Ja, sie scheinen große Schwierigkeiten zu haben“, bestätigte der Erste. „Daher segeln sie auch so dicht unter Land, um sich jederzeit absetzen zu können, falls das Ruder ausfällt.“

Er, der sich sonst so etwas nie erlaubte, rieb sich kichernd die Hände. Er vergaß allerdings nicht, sich laufend von den Lotgasten die Tiefe melden zu lassen und hörte sehr aufmerksam zu.

Das Wasser war tief genug. Es bestand nicht der geringste Anlaß zur Sorge, und so segelten sie unter vollem Preß hinterher und freuten sich über jeden Schlenker der Galeone, die mitunter flügellahm und leicht angeschlagen durch die See trieb. Einmal nach Backbord, dann wieder nach Steuerbord.

Als sich der Abstand unmerklich verringerte, setzten die Kerle in ihrer Angst wieder alle Segel und torkelten nur noch schlimmer durch die See.

In Don Julio kehrte so etwas zurück, was er als gute Laune bezeichnete. Sein Blick wurde wieder gallig und bösartig, und die Lippen verzogen sich zu einem boshaften Grinsen. Er rieb mit der Linken aufgeregt seine rechte Hand und trat weiter aufs Achterdeck vor, damit er die Galeone gut im Blickfeld hatte.

„Nicht mehr lange, dann ist der Tag für sie zu Ende“, sagte er optimistisch. „Immer auf Kurs bleiben, genau im Kielwasser.“

Mit dem Spektiv nahm er wieder seine Beobachtungen auf. Er sah die Männer an Deck einigermaßen deutlich. Sie schienen aufgeregt zu sein, doch das war schließlich kein Wunder. Sie waren angeknackst und nicht mehr voll manövrierfähig mit ihrem Schiffchen, und natürlich saß ihnen auch gewaltige Angst im Nacken, doch noch von den Kanonen zusammengeschossen zu werden.

Wieder registrierte er mit einem bösen Grinsen, daß die Galeone nach Backbord ausschor und alle Mühe hatte, auf ihren Kurs zurückzukehren.

Sie brauchte eine ganze Weile, bis sie etwas versetzt auf ähnlichem Kurs weitersegelte.

Seltsamerweise schienen damit die Schwierigkeiten vorerst überwunden zu sein, denn jetzt gierte sie nicht mehr so hin und her. Aber sie nahmen wieder ein paar Segel weg, also war der Druck auf das beschädigte Ruderblatt wohl doch etwas zu stark.

Don Julio de Vilches hatte nicht die geringste Ahnung, daß er quasi in einen unsichtbaren Schlauch segelte, der sich bedrohlich verjüngte und aus dem es für ihn keinen Ausweg mehr gab.

Sie lagen noch fast im Kielwasser der „Isabella“.

Pergoza lauschte indessen aufmerksam den Lotgasten. Die Tiefe betrug immerhin fast achtzehn Faden. Also bestand nicht der geringste Anlaß zur Sorge.

Genau das war der Schlauch, in den sie jetzt segelten. An seinem Ende lief eine langgestreckte Sandbank in einer Krümmung zur Küste hin. Da war der Schlauch zu Ende, und vor ihnen endete er in einer Untiefe von knapp fünf Yards, tiefer war die Lücke nicht. In diese Lücke hinein wies auch das Kielwasser der Galeone. Es war nur noch ein schmaler, kaum sichtbarer Schaumstreifen.

Die „Casco de la Cruz“ lief unter vollem Preß auf die Sandbank, die unvermittelt auftauchte. Ein paar winzige Wirbel zeigten wohl noch etwas an, aber die sahen selbst die Ausgucks nicht, weil das Sonnenlicht auf dem Wasser sie blendete. Es wäre auch viel zu spät gewesen.

Die ungeheure Masse des Schiffes wälzte sich auf die Sandbank und blieb abrupt stehen. Sie lag so plötzlich fest, als hätte sie eine Riesenfaust in voller Fahrt gestoppt.

Die Kerle, die in den Webeleinen der Wanten hingen, verloren übergangslos den Halt, weil niemand mit einem Aufprall gerechnet hatte. Sie flogen mit einem erstaunten Aufschrei wie große Spinnen aus einem Netz und gingen brüllend über Bord.

Das war aber nicht alles, was über Stag ging.

Der baumlange, schlappe und dürre Don Julio de Vilches, der keinen festen Halt auf den Planken hatte und sich neugierig vorbeugte, um die Galeone besser sehen zu können, fühlte sich ebenso plötzlich von einer unwiderstehlichen Gewalt nach vorn getrieben.

Er ruderte mit den Armen und sah das Quarterdeck auf sich zurasen, aber davor war noch die große Balustrade mit den kunstvoll gedrechselten Streben und Hölzern.

Er krachte der Länge nach auf die Planken, rutschte darüber hinweg und landete vierkant vor der mittleren Schmuckbalustrade. Sehr schmerzhaft prallte er mit dem Kreuz dagegen. Seine Nase war gleichfalls lädiert und fing an zu bluten, denn auf ihr war er zuerst entlanggeschrammt.

Pergoza wurde ebenfalls jäh von den Beinen gerissen und leistete seinem Kapitän unfreiwillig Gesellschaft.

Sie lagen noch auf den Planken, während ein nervtötendes Krachen und Bersten den gesamten Rumpf der Galeone erbeben ließ.

Der Fockmast hielt dem mörderischen Anprall nicht stand. Er schwang zweimal hin und her und brach dann wie ein morscher Besenstiel ab. Dabei nahm er das stehende und laufende Gut mit und schlug auf dem vorderen Deck alles kurz und klein.

Viele der großen Geschütze waren dem stürmischen Anprall ebenfalls nicht gewachsen. Zwei Vierzig-Pfünder-Stücke rissen sich los, polterten durch das Batteriedeck und zertrümmerten durch ihr enormes Gewicht etliche Schotten.

Das Rumoren nahm kein Ende. Die „Casco“ schien sich noch einmal gewaltig aufzubäumen. Ihr Rumpf knirschte und krachte entsetzlich laut, und durch die starke Belastung barsten ein paar Planken.

In den Quartieren geriet alles in Unordnung. Was nicht niet- und nagelfest war, verselbständigte sich.

Die Hölle war los an Bord. Niemand wußte so recht, was eigentlich geschehen war. Das Aufbrummen hatte sie alle überrascht.

Don Julio erhob, sich schniefend und mit blutiger Nase. Er begriff die Welt nicht mehr und sah sich fassungslos um.

Sein Schiff glich einem erbärmlichen Trümmerhaufen. Viele Segel waren aus dem Liek gefetzt worden und baumelten wie Leichentücher an den Spieren. Vorn sah es ganz besonders schlimm aus. Der Fockmast ragte nur noch als splittriger Stumpf aus dem Deck. Die Segel, Spieren, Rahen und das Gut waren bis über die Kuhl verstreut.

Er hörte das entsetzte Wimmern von Männern, die sich verzweifelt abmühten, unter den Trümmern hervorzukriechen. Manche irrten unter riesigen Segelfetzen wie Maulwürfe herum und fanden nicht mehr heraus.

Pergoza berappelte sich und stand benommen auf. Über dem linken Auge hatte er eine Platzwunde. Er sah Don Julio kläglich an.

Dem Alten tat das Genick erbärmlich weh, und sekundenlang verschlug es ihm die Sprache. Er fühlte eine heiße Welle des Zorns und der Ohnmacht in sich aufsteigen und lief knallrot an.

„Madre Maria!“ schrie er gequält in den blauen Himmel. „Laß es nicht wahr sein, bitte!“

Er sank langsam auf die Knie und faltete die Hände. Seine Augen schimmerten feucht, bis ihn der Zorn hochriß. Da brüllte er seine hilflose Wut hinaus.

„Was sind das hier für Arschlöcher von Offizieren!“ keifte er anklagend. „Ihr habt mir mein schönes Schiff ruiniert, ihr erbärmlichen Versager. Zur Hölle mit euch! Ich lasse euch alle vor ein Kriegsgericht stellen. Aufhängen wird man euch Bastarde.“

Pergoza taumelte quer über das Achterdeck. Er hatte die Orientierung verloren, fand sie aber sehr schnell wieder, als er Don Julios greinende Stimme hörte.

„Furchtbar“, stammelte er. „Furchtbar, der Satan hat sich an Bord eingeschlichen, ich habe es gewußt.“

„Der Satan? Ja, es muß wohl der Satan gewesen sein.“

Don Julio tappte davon, schreiend und immer wieder auf brüllend, als er die Verwüstungen sah.

Jetzt war alles ruiniert, der Konvoi war verschwunden, und die große Kriegsgaleone war so gut wie beim Teufel. Wie ein Gebirge lag sie auf einer Sandbank. Don Julio wußte noch nicht, daß sie ausgerechnet bei Flut aufgelaufen waren, was alles noch verschlimmerte.

Unter dem herabgefallenen Segeltuch befanden sich immer noch Männer, die über die Planken krochen und nicht herausfanden. Dort robbten Körper entlang und suchten einen Ausweg.

Sein Zorn war unendlich und riesengroß. Einer der kriechenden Beulen unter dem Tuch gab er voller Wut einen Tritt. Die Beule zuckte zusammen und bewegte sich vor Schreck nicht mehr weiter.

Er gab alles und jedem einen Tritt, was seinen Kurs kreuzte. Unter seinen Schuhen flogen Trümmerstücke davon, und dann ließ er sich dazu herab, einen verstörten Kerl zu ohrfeigen, der sich mit offenem Mund ungläubig nach allen Seiten umsah. Der Mann war so verblüfft, daß er keinen Ton hervorbrachte und seinen Kapitän völlig entgeistert anglotzte. Und weil er so dämlich stierte, gab Don Julio ihm noch eine Ohrfeige, ehe er zum Vorschiff ging.

Hier waren die Verwüstungen am schlimmsten. Es sah aus wie nach einem schweren Gefecht. Mitunter lagen die Trümmer so hoch herum, daß er sie nicht übersteigen konnte.

Pergoza, dem alle Hochnäsigkeit aus dem Gesicht gewischt war, folgte ihm zögernd wie ein Hund, der von seinem Herrn eine Bestrafung erwartet.

Er schniefte hörbar und wischte sich das Blut von der Stirn. Dabei verschmierte er sein Gesicht entsetzlich.

„Es ist alles so schrecklich“, stammelte er. „Wie konnte das nur passieren?“

„Unfähigkeit!“ schrie der Kommandant. „Ich bin von Idioten umgeben, die nicht in der Lage sind, ein Schiff zu führen. Scheren Sie sich zum Teufel, Señor. Die Angelegenheit wird für Sie ein mehr als übles Nachspiel haben.“

Der Erste wurde jetzt aufsässig, weil er sich ungerecht behandelt fühlte. In seinen Augen funkelte Zorn.

„Sie können nicht einfach alle Schuld den anderen zuweisen, bei allem Respekt nicht, Don Julio. Sie haben befohlen, der Galeone im Kielwasser zu folgen, und das haben wir getan. Niemand hat damit gerechnet, plötzlich auf eine Untiefe zu geraten. Die Ausgucks waren alle doppelt besetzt, und die Lotgasten haben nicht geschlafen. Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie alle Schuld den anderen überlassen.“

Don Julio fuhr herum und musterte Pergoza, als sähe er ihn zum ersten Male. In seinen Blicken loderte heller Zorn. Er riß den Mund auf und wollte losbrüllen, doch dann sanken seine Schultern kraftlos nach vorn, und das Feuer in seinen Augen erlosch.

„Sie haben recht“, sagte er mit müder Stimme. „Sie haben recht, Pergoza, tut mir leid. Natürlich will ich die Schuld nicht auf andere abwälzen, aber Sie müssen auch mich verstehen. In den letzten Tagen und Wochen habe ich eine Pleite nach der anderen erlebt. Es gelingt mir nicht, das so einfach wegzustecken. Es war zuviel auf einmal.“

Die Erregung der beiden Männer klang langsam ab. Ernüchterung überfiel sie. Es war alles so deprimierend.

Der Dritte Offizier näherte sich zögernd. Er erwartete einen tobsüchtigen Kommandanten, doch jetzt bemerkte er einen alten, gebrochen wirkenden Mann vor sich, der unsäglich müde und traurig aussah.

Don Julio schaute ihn fast unbeteiligt an. Dann wanderte sein Blick weiter und verlor sich in Richtung offenes Meer.

„Diese Bastarde“, sagte er leise, „diese gottverdammten und dreimal verfluchten Bastarde. Die haben uns auf die Untiefe gelockt. Und wir können es ihnen nicht einmal heimzahlen.“

„Sie sind mit ihrer leeren Galeone zwischen den Untiefen gerade noch so durchgesegelt, wenn ich das bemerken darf“, erklärte der Dritte. „Es sieht ganz danach aus, als hätten sie uns bewußt in die Irre gelockt.“

„Das sagte ich bereits eben“, erwiderte Don Julio. „Quatschen Sie mir nicht immer das nach, was ich gerade betonte. Die Erkenntnis ist nicht mehr neu, Señor Quieras.“

„Ja, ich weiß, entschuldigen Sie bitte. Ich muß erst mit der neuen Situation fertig werden.“

„Dann fangen Sie am besten gleich damit an.“

Don Julio drehte sich wieder zur Seite und blickte der Galeone nach, der sie ihr Desaster zu verdanken hatten.

Er glaubte, ein fernes Gelächter zu hören, ein Gelächter voller Schadenfreude. Die Kerle standen ausnahmslos an Deck und blickten neugierig herüber.

Voller Wut registrierte er, daß ein paar der Schwarzen wild hüpfend über die Decks sprangen und die Arme hochrissen.

Augenblicklich übermannte ihn wieder ein heilloser Zorn, und er schlug voller Wut auf den Handlauf des Schanzkleides.

Auf dem Schiff wurde es jetzt lebendig. Die meisten hatten den schweren Schock verdaut und sahen, was passiert war. Anfangs wollte es gar nicht in ihre Köpfe.

Jetzt versammelten sie sich auf dem Deck. Don Julio ließ sofort alle höheren Chargen zusammentreten.

„Wir beginnen sofort mit den Aufräumungsarbeiten“, ließ er über seinen Ersten Offizier verbreiten. „Wenn die Decks aufgeklart sind, wird mit allen Mitteln versucht, das Schiff vom Grund zu bringen. Dazu wird erforderlich sein, die Galeone zu leichtern. Wir beginnen nach den Aufräumungsarbeiten mit den schweren Kanonen. Sie werden nach achtern gebracht. Lassen Sie die Küste beobachten, Señor Quieras. Ich möchte wissen, ob wir bei Ebbe oder Flut aufgelaufen sind. In einer halben Stunde will ich Ihre Meldung, weil sie von allergrößter Wichtigkeit ist.“

Der Dritte salutierte und verschwand augenblicklich, er war heilfroh, etwas tun zu können und nicht in Don Julios unmittelbarer Umgebung zu stehen.

So ließ er von zwei Männern beobachten, ob der Wasserspiegel sank oder noch anstieg.

Die anderen begannen inzwischen damit, die Spieren, Hölzer, Segeltuchfetzen und Rahen zu bergen. Der Schiffszimmermann schlug vor, aus dem abgebrochenen Fockmast einen neuen, leider etwas kürzeren zu erstellen, der als Notbehelf vorerst ausreichen würde.

„Wie lange wird das dauern?“ wollte der Kommandant wissen.

„Etwa zwei Tage, es ist eine Menge Arbeit.“

„Schaffen Sie sie in einem Tag und einer Nacht. Bis dahin steht der Mast wieder. Nehmen Sie sich so viele Leute, wie Sie brauchen.“

Auf der Galeone wimmelte es jetzt wie in einem Ameisenhaufen.

Noch bevor die halbe Stunde vergangen war, kehrte der Dritte Offizier zerknirscht aufs Achterdeck zurück, wo Don Julio stand und aus schmalen Augen zu der Gegnergaleone blickte. Seine rechte Hand trommelte dabei ungeduldig auf dem Handlauf der Balustrade.

„Nun?“ fragte der Kommandant ungeduldig.

„Wir sind offenbar beim höchsten Punkt der Flut aufgelaufen“, teilte er zerknirscht mit. „Das Wasser läuft ab, wie ich eindeutig festgestellt habe.“

„Auch das noch. Ein Unglück kommt selten allein“, schnaubte Don Julio ärgerlich. „Wie hoch ist der Tidenhub an dieser Ecke?“

„Das haben wir noch nicht herausgefunden in der kurzen Zeit. Er scheint jedoch beträchtlich zu sein.“

„Natürlich, alles andere hätte mich auch sehr gewundert. Wir sind auf dieser Reise vom Pech verfolgt.“

Der trommelbäuchige Dicke bestätigte das eifrig. Don Julio hatte ja nur allzu recht!

Er verschwand eiligst, um weiterhin das Wasser zu beobachten, obwohl das kaum noch Sinn hatte.

Unter der riesigen Blinde, die jetzt ebenfalls größtenteils nur noch aus Trümmern bestand, konnte Don Julio etwas später die Sandbank erkennen, die ihnen zum Schicksal geworden war. Sie war breit und ausladend und zog sich bis zum Ufer hin.

Sie saßen in einer schmalen Rinne fest und würden sich wahrscheinlich noch tiefer in den Untergrund bohren, wenn die Ebbe ihren niedrigsten Stand erreicht hatte.

Feine Aussichten waren das.

Don Julio ließ die Arbeiten unterbrechen, um zu retten, was noch zu retten war. Zuerst mußte umgestaut und geleichtert werden, oder sie mußten auf den nächsten Höhepunkt der Flut warten. Jetzt aber waren erst mal die schweren Geschütze an der Reihe, die von vorn nach achtern gebracht werden mußten.

Eine Schinderei ohnegleichen begann für die schwitzenden und verzweifelten Spanier.

Seewölfe Paket 33

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