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Siebzehntes Kapitel

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Inhaltsverzeichnis

Die Thore seines väterlichen Wohnsitzes blieben für Alwin lange verschlossen, wie laut er auch an die nördliche Pforte klopfte. Schon war die Sonne beinah hinunter, feuchte Nebel zogen vom Thale heran, und lagerten sich auf den Gipfeln der höhern umstehenden Berge, und noch immer harrte der Wandrer uneingelassen vor seiner Heimath. Er blickte nach der Mutter Gemach hinauf; kein Licht sah durch die Scheiben. Sie wird noch sinnend in der Dämmrung sitzen, dachte er, wie sie's gern zu thun pflegt. Wenn ich nun in's Gemach träte, welch freudiges Erschrecken würde sie ergreifen. Es ist immer gut, daß ich vorher lärmen muß; die Ueberraschung hätt' ihr geschadet. Und damit fing er von neuem an, zu pochen, und an dem bekannten Thürschlosse zu klingen.

Es ging endlich ein Fenster über ihm auf. Ja, ja, sagte Einer zum Andern, es ist Jemand draussen; das hat seine Richtigkeit.

Alwin schauderte in sich zusammen; etwas ähnliches hatte sein Vater gesagt, als der fremde Thorwald Einlaß begehrte, und nun wiederhohlte es eine fremde Stimme, und er selbst war es, der draussen stand.

Langsame Tritte kamen die Stiegen herunter, ein lautes Hundegebell erhob sich im Hofe. Das ist doch Waidewuth nicht mehr, der alte getreue Hund, sagte Alwin; mich hätte er wohl an der Stimme erkannt, und pflegte sich auch niemals so arg zu geberden.

Er hatte recht gerathen, denn durch die geöffnete Pforte schoß eine Dogge feindselig auf ihn los; und ward durch einen unbekannten ältlichen Mann zurück gerufen.

Was soll's denn, sagte dieser, junger Herr, mit Eurer seltsamlichen Erscheinung. Man möchte sich erschrecken, wie ihr im Abenddunkel da so ganz unversehns vor der Burg steht in Euern Kriegsgeschmeide, ganz allein, die flatternde Fahne in der Hand. Soll das eine Neckerei sein? Die Berggeister treiben ohnehin wohl hier manchmal wunderliches Spiel, und brauchen Euch nicht dazu.

Wohnt denn hier nicht der alte Rudolph? fragte Alwin, halb verwirrt.

Ja, der hat hier gewohnt, sagte der Mann sehr gelassen. Nach seinem und seiner Hausfrauen Tode ward ein Verweser des Vermögen ernannt, und der verkaufte das Schloß an meinen Grafen, als dessen Castellan ich es nun verwalte. Der einzige Sohn des alten Rudolph treibt sich in der Welt herum.

Der bin ich ja, unterbrach ihn Alwin mit leiser Stimme, als zweifle er an sich selbst.

Das verändert die Sache, sagte der Castellan. Da kann ich Euch mit gutem Gewissen hier aufnehmen und bewirthen. Mein Herr wird vollkommen damit zufrieden sein. Kommt nur! kommt! Er faßte ihn bei der Hand, und Alwin folgte widerstrebend. Nicht klar bewußt alles dessen, was er that und mit sich geschehn ließ, ging er mit dem Castellan fort, endlich aber brach er in die Worte aus: Nein! Nein! So laßt mich doch! Ich will nicht dahinein. Ihr sollt mich erst zu meinen Eltern führen.

Ja so, sagte der Castellan. Nun, ich kann Euch ihren Ruheplatz von aussen zeigen, denn den Schlüssel zum Gewölbe hat der Pfarrer des Dörfchens unten in Verwahrung.

Sie gingen an der verfallenden Kapelle hin. Durch die gemahlten Fenster blickte Alwin hinein, und sah die alten Waffen dorten noch immer aufgehäuft liegen, wie es ihm sein Vater geschrieben hatte. Sie kamen endlich an's Familienbegräbniß. Da stehn die Särge Eures Vaters und Eurer Mutter, sagte der Castellan, indem er durch ein kleines Gitter in der Thür zeigte, und sich wieder nach dem Schlosse zurück wandte, um, wie er sagte, noch einige Anstalten zur Aufnahme seines Gastes zu machen.

Alwin lehnte sein Gesicht an die eisernen Stäbe. Ein dumpfer Todtengeruch drang ihm entgegen; aus dem tiefen Dunkel leuchteten die messingnen Zierrathen der beiden Särge herauf. Er stand lange still und betäubt. Endlich sagte er: sie haben es so herzlich gut mit mir gemeint; sie haben sich so innig auf mein Wiederkommen gefreut. Die Mutter wird mir nun kein Licht mehr in die Kammer reichen können, wenn ich wieder abreise. Damit brach er in helle Thränen aus, und sagte immer wie in jener Nacht vor seiner Abreise: o Mutter! O liebe, liebe Mutter!

Etwas gefaßter stellte er zuletzt sein Pannier an die Thüre des Gewölbes. Sie sollen's Dir auf den Sarg legen, mein tapfrer Vater, sagte er, und hob sich empor, um nicht von dem Castellan in seinem Jammer betroffen zu werden. Indem er um sich blickte, gewahrte er eines Rasenhügels unter einer alten, wohlbekannten Buche. Hier muß doch auch schon einer gern geweilt haben, sprach er zu sich selbst, und ließ seine ermatteten Glieder darauf niedersinken. Es ruhte sich hier so behaglich, die Gräser kühlten ihm die glühende Wange, von der Ebne herauf kamen Lüfte gezogen, die ihn, wie einen alten Spielgesellen, begrüßten. Da sagte plötzlich dicht neben ihn Jemand: ich glaube am Ende, daß Du der junge Kunrath bist.

Alwin fuhr entsetzt in die Höhe. Ein bleicher Jüngling hatte sich an seine Seite gesetzt, der mit wahnsinnigen Lächeln auf ihn herabblickte, und durch eine tiefe, häßliche Stirnwunde entstellt war. Ja, wahrhaftig, fuhr er fort, indem er starr in Alwin's Augen sah, ich glaub', Du bist's, oder sonst bin ich's. Einer von uns ist es außer allem Zweifel. Oder sind wir's vielleicht Beide? Das wär' ein Spaß.

Er sprang hierauf einigemal mit gräßlichen Geberden im Kreise herum, und fragte nachher wieder: kennt Ihr die Geschichte vom jungen Kunrath?

Alwin bejahte es zitternd, und indem trat der Castellan zwischen sie. Marsch! rief er dem Wahnsinnigen zu! In's Bett!

Nicht noch ein Bischen hier bleiben? fragte dieser weinend und schmeichelnd wie ein Kind. Alwin bat für ihn, und der Castellan erlaubte es, indem er sich zwischen ihn und seinen Gast setzte.

Er ist manchmal ganz klug, sagte er, aber die Nebel thun ihm Schaden, wenn sie so feucht und wunderlich vom Harzgebirge herunter ziehn. Da liest er dann den ganzen Tag lang in einer alten Handschrift, die wohlverwahrt in einem Wandschrank der großen Halle gefunden ward, als wir das Schloß übernahmen. Er ist ein Verwandter meines Herrn, und heißt Friedebert. Eine Stirnwunde, die er bei einem Zweikampf in Braunschweig empfing, versetzt ihn öfters in diesen Zustand.

Ach Gott! seufzte Alwin, und sah schaudernd vor sich nieder.

Hier soll er sich nun ausheilen, fuhr der Castellan unbefangen fort. Ja! Es heilt sich nicht so schnell. Das sollte auch mit meiner Gräfin geschehn, der zu Liebe eigentlich dies Schloß gekauft ward, weil es ihr besonders wohl gefiel. Sie kam mit der Schwindsucht hierher, und zehrte hier noch ein paar Monate lang an ihrem schwächlichen Leben. Dann starb sie, wohl etwas früher, weil sie sich um den Tod ihres Vaters so sehr abhärmte, der ein tapfrer Kriegsoberster war, und in der letzten Hauptschlacht unter Herzog Christian blieb. Wir sitzen eben auf dem Grabe der schönen Frau. Mit dem Vornamen heißt sie Aline.

Alwin sank ohnmächtig zurück. Wenn er sich manchmal wieder erhohlte, stand das fremde Gesicht des Castellans über ihn, der ihm Riechwasser vorhielt. Um sich her sah er den tollen Friedebert tanzen, und schloß willig die Augen, das Gesicht in die Gräser drängend, die auf Alinens Grabe wuchsen.

Gesammelte Werke von Friedrich de la Motte Fouqué

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