Читать книгу Gesammelte Werke von Friedrich de la Motte Fouqué - Friedrich de La Motte Fouque - Страница 40
Sechstes Kapitel
ОглавлениеAm folgenden Morgen ward Alwin durch einen Chorgesang erweckt, der vor seinen Fenstern heraufscholl. Er konnte sich Anfangs noch nicht recht ermuntern, sondern verflocht die Töne in die Gebilde seines Schlafs. Es war ihm, als wäre er noch ein Kind, und ginge mit seinen Eltern bei sehr schönem Frühlingswetter den Fußsteig aus der Burg nach dem Dorfe hinab, um die Kirche zu besuchen. Sie eilten sich, damit sie noch vor Beginn der Predigt kämen, und die gottesfürchtige Melodie zog ihnen einladend durch die blaue Luft entgegen. Eben wich der Schlummer, als der Träumende in die Kirche zu treten meinte, und er sah erstaunt in dem fremden Zimmer umher. Die Musik währte noch immer fort, und ans Fenster eilend, gewahrte er den Hof des Klostergebäudes voll von geschmückten Landleuten und wehenden Fahnen.
Er sann noch darüber nach, was dies eigentlich bedeute, und wie er Gestern hier hereingekommen sei, als Raimund in das Zimmer trat, und ihm zurief: nun, Langsschläfer? Hast du das Heutige Fest verträumt?
Was denn für ein Fest? Was denn verträumt? fragte Alwin sehr unsicher und langsam, während die Begebenheiten des gestrigen Tages nach und nach vor seinem Geiste wieder heraufstiegen.
Du bist noch ganz irr, sagte Raimund, und es ist am Ende nicht zu verwundern. Florismarte's tolles Feuerwerk hat uns Allen nicht viel besser mitgespielt, und darüber ist es auch wohl vergessen worden, Die zu sagen, daß wir Heut einen großen Kirchengang halten, wobei auch die Bewohner der umliegenden Gegend von den fernsten Punkten her zusammenströmen.
Einen Kirchgang? fragte Alwin von Neuem, immer noch mehr in seinem Traume zu Haus, als in der Welt.
Erschrick nur nicht, erwiederte Raimund lachend. Du wärst im Stande, Dir eine norddeutsche, protestantische Kirchengemeine vorzustellen, und vor der gewohnten Langeweile gleich wieder einzuschlafen. Nein, nein lieber Freund. Es ist auf ganz etwas Andres abgesehn. Hier lernt man erst den rechten Gottesdienst, die rechte himmlische Feier kennen. Du sollst es schon gewahr werden, und zum heitern Verständniß erwachen. Damit zog er ihn mit sich fort, sie traten in den Zug, der eben unter erneuten Gesängen aufbrach, und in begeisternder Festlichkeit vorwärts schritt. Von den Höhen, aus den Thälern durch die Wälder, zeigten sich auf allen Seiten ähnliche Prozessionen; die Gegend war wie von wandelnden Blumengewinden geschmückt, in der Mitte prangte auf einem anmuthigen Hügel ein Münster, als allgemeine Zier. Jemehr man sich ihm näherte, je herrlicher stieg es empor. Alwin mußte unwillkürlich an den gestrigen Feuerdom zurückdenken, der hier verdichtet schien, zu ungeheuern Massen von Quadersteinen. Aber als er nun erst eintrat in die vielverschlungenen Hallen, von deren Bogen herab die schwebenden Ampeln ihm entgegen leuchteten, prächtige Teppiche, schöne Gemälde von den Wänden glänzten, und der ganze Bau von einer wimmelnden Menschenmasse erfüllt, die sich unter den hohen Säulen zusammendrängte, Aller Augen nach dem Hochaltar gerichtet, dem hellerleuchteten Ziel der Kreuzgänge, wie es vorher das ganze Münster für die Prozessionen gewesen war, als nun die Orgel im melodischen Sturm anhub zu klingen, von ungesehnen Sängern begleitet, und vor dem Priester wieder das Meer von Tönen schwieg, und er mit einzelnen, feierlichen Worten entgegnete, – da schwoll Alwin's Brust, er fühlte niegekannte Erscheinungen durch sein Innres ziehn, und beugte voll brünstiger Andacht seine Kniee vor der emporgehaltnen Monstranz.
Der Gottesdienst war vorüber, und alle Wallfarther sammelten sich auf einer Wiese, die unfern des Münsters gelegen war, und voll von Lauben und zierlichen Hütten stand zum Behuf der heutigen Feier. Man zerstreute sich hier und dort, wie es Laune und Zufall mit sich brachten, und bald hatten sich unterschiedliche Gruppen von Tänzern zusammengefunden, die zum Klange der Cithern und Castagnetten ihre Nationaltänze begannen. Vor allen hörte man den Fandango, wie er abwechselnd stolz und zärtlich und lustig und vor Liebe hinsinkend, das Spiel der süssesten Gefühle nachbildet! drein schaute der klare Sommertag, und Lüftchen gaukelten als erfrischende Boten von den waldigen Höhen herunter.
Alwin war in all dieser Freude nicht recht zu Haus. Er fühlte sich verlassen zwischen dem üppigen Leben der Andern, und sehr erschüttert, obgleich auf eine angenehme Weise, aber tanzen mochte er nicht, noch weniger lachen und plaudern. Darum ging er abwärts, und setzte sich unter ein nahes Gebüsch. Die Tanzmusik hatte von jeher, auch in seinen glücklichsten Zeiten, einen zwiefachen Eindruck auf ihn gemacht; es war nämlich, als riefen ihre Klänge ihm nicht nur die gegenwärtige Lust in's Gemüth, sondern auch deren schnelles, ja unwiederbringliches Vorübereilen, so daß er schon immer im Voraus die Wehmuth der künftigen Rückerinnerung ahnte. Hier saß er nun wirklich recht wehmüthig unter dem frohen Gewimmel, und die ihm sonst prophetische Stimmen gewesen waren, lockten ihn nun schmeichelnd in die Vergangenheit zurück. Beatrix, Aline, Mathilde zogen einen Reigen durch alle seine Sinne. Oft wenn freundliche Mädchen an ihm vorüber streiften, dachte er, es müsse Eine von den Dreien sein, und ihn etwa folgendergestalt anreden: Was bleibst Du denn so allein, Alwin, unter dem abgelegnen Gebüsch? Ich bin ja hier. Wir wollen unser ehemaliges frohes Leben wieder erneuern und Du mußt Alles vergessen was Dich gedrückt hält. Dann sollte sie ihn bei der Hand fassen, mit ihm durch die Tänzer fliegen, und ihm den alten Frieden in's Gemüth lächeln. Aber es geschah nichts dergleichen. Alles zog fremd und gleichgültig an dem unbekannten Träumer hin, und er blieb mit seiner herzlichen Sehnsucht allein.
Da rauschte es neben ihm in den Zweigen. Ein schönes Mädchen, von zwei jungen Hirten begleitet, hatte sich aus dem Tanze zurückgezogen, und ließ sich, von dem Einen umschlungen, sehr behaglich in das schwellende Gras nieder. Der Andre stand betrübt vor ihnen. Laß Dich's nicht so anfechten, Antonio, sagte der Erste. Wie spröde Dein Mädchen thun mag, ist es doch damit nicht anders, als mit dem Gebirgsschnee, der vor den Sonnenstrahlen schmilzt, wenn nicht im März, doch gewiß im April. – Es bleibt auch vieler den ganzen Sommer lang oben liegen, antwortete Antonio, und weil es Dir glücklich gegangen ist, Lope, ist es noch nicht ausgemacht, daß es jedem Andern auch so gehn müße. – Ich hatte doch zwei Feinde zu bekämpfen, sagte Lope; Olalla's Sprödigkeit, und noch ausserdem die Luchsaugen ihres Vormundes. Die waren es leider hauptsächlich, fiel Olalla ein: meine Sprödigkeit war geschmolzner Schnee. Ich muß nun meine Thorheit schon bekennen, da es mit dem Läugnen nicht mehr gehn will. Glaube nur, Antonio, wir Mädchen stellen uns alle schlimmer an, als wir sind, und gegen den am schlimmsten, der uns am besten gefällt. So wird es wohl mit Deiner Therese auch sein. Vergiß nur nicht den Heiligen anzurufen. Ich habe es Heute recht inbrünstig gethan, sagte Antonio. Nun dann wird er Dir auch helfen, wie er uns geholfen hat, meinte Lope. Wie das zugegangen ist, fuhr er fort, läßt sich hübsch anhören. Ich dächte, Olalla, wir sängen ihm die Romanze vor, die wir Beide drauf gemacht haben, wenn Du, Antonio, es anders gern hören willst. Es wird mir ein rechter Trost sein, antwortete dieser, und sie fingen ihr Lied an.
Lope.
Wandelnd über schroffe Felsen,
Dicht vorbei wo Schlünde drohen,
Dreist auf morschen Brückenstegen,
Die nachläss'ge Hand geworfen,
Zieht ein Hirte, Lieder blasend,
Lieder singend, weil dort oben,
Oben auf der höchsten Alpe
Liebchen Wohnung hält im Sommer.
Gradaus darf er ja nicht hinziehn,
Nicht mit seiner Werbung kommen,
Denn der Oheim schilt und eifert,
Will sein Mündel nicht verloben.
Armer Hirt! Vergeblich Sehnen!
Liebeschmeicheln unvernommen!
Olalla.
Einsam zwischen Rahm und Wocken,
Schlimm bewacht von Oheims Listen,
Muß ein armes Hirtenmädchen
In der öden Wohnung sitzen.
Andre gehn zu lust'gen Tänzen,
Hören art'ge Liebesbitten,
Können weigern und gewähren,
Schmerzen steigern oder lindern,
Alles wie's die lust'ge Laune,
Wie's erweichter Sinn gebietet.
Nur ich Mädchen, armes Mädchen,
Bleib' allein im engen Zimmer!
Oefters zieht vorbei der Alpe
Jugendschlank ein schöner Hirte,
Bläst und singt verliebte Töne,
Die man gern ihm möcht' erwiedern.
Aber, du mein böser Oheim,
Läßt Dich immer wachsam finden!
Lope.
Heimlich blieb des Hirten Liebe,
Höher trieb die innre Lohe;
Ungeduld'gen Herzens wünscht' er
Schon herauf den klaren Morgen,
Wo zur Wallfahrt unsres Heil'gen
Jeder kommt vom Thal gezogen.
Ach, sie kamen, ach, sie wallten,
Lieder klangen, Fahnen flogen,
Und es blieb in all' dem Jubel
Sein geliebtes Bild verborgen.
Zürnend halb, und weinend halb,
Trat er zu des Heil'gen Throne,
Sagte: nicht 'mal Dir zur Feier
Läßt der Oheim Thüren offen.
Hilf uns Heil'ger! Hilf uns Beiden!
Denn mich dünkt auch sie, die Holde,
Ließe gern ihr Antlitz leuchten,
Und wenn mich ihr Wink erkoren
Soll's Dir nie an Lobgesängen
Fehlen, und an andern Opfern.
Sei uns günstig, lieber Heil'ger,
Mach' den süssen Streit begonnen.
Olalla.
Als vorbei die Hirten zogen,
Saß sie weinend hinter Gittern,
Bat: o lieber, guter Heil'ger,
Hilf mir, hilf! Ich will Dir bieten
Alles was die Heerden schaffen,
Alles was die Felder bringen,
Denn ich bin ein reiches Mädchen,
Habe Aecker, Seen und Wiesen,
Nur daß Vormund geizig Haus hält,
Gern mich stets in Windeln hielte.
Bin doch schon so lang' erwachsen,
Vierzehn Jahr schon aus der Wiege.
Laß nur mal zu Deinem Feste
Wandeln mich; da wird sichs finden.
Beide.
Und der Heil'ge sah hernieder,
Wollte was die Beiden wollten,
Denn wo Länder fernhin liegen
Große Länder, reich an Golde,
Dorthin zogen große Schiffe,
Mit sich fort den Vormund lockend.
Und beim nächsten Fest als Pilger
Trafen sich die beiden Holden,
Lachten, scherzten, küßten, liebten,
Frei auf seinen Liebeswogen.
Auch erfanden sie ein Liedchen
Feiernd die ersehnte Wonne,
Sangens oftmals, sangens wieder
Eben jetzt vor Euern Ohren.
Die drei gingen hierauf wieder vergnügt zum Tanze, und Alwin zur Kirche, wo er dem Heiligen sich selbst und sein ganzes Leben verlobte, für die Gewährung seiner glühenden, halb unverstandnen Sehnsucht.