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Siebentes Kapitel

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Inhaltsverzeichnis

Es gab im Klostergebäude einen geräumigen Saal, worin man eine Bibliothek aufgestellt fand, theils wie sie beim Ankauf vorgefunden war, theils auch mit Büchern vermehrt, welche Einige aus der Gesellschaft dorthin gegeben hatten. Vor Allem gab es viele Hefte voll alter Sagen und Gedichte, daran sich Alwin außerordentlich ergötzte. Er brachte manchen Tag dabei zu, vom Eismeer bis zum Süden durch alle verschiednen Sprachen hinstreifend, obgleich er die nördlichen Gebilde mit ausgezeichneter Vorliebe umfaßte, und wenn alsdann ein linder Abend von den westlichen Bergen niederschwebte, brach er auf, nur von seinen alten Historien und Träumen begleitet. Durch die pfadlosesten Wälder ging sein Weg, hinab in die verwachsensten Thäler, zu den steilsten Felsen hinauf, so daß ihn oft die Nacht auf seiner Wanderung überraschte, und er einigemal erst mit anbrechendem Morgen zurück kam. Die Gesellschaft verfehlte nicht, ihn deshalb mit allerhand drolligen Namen zu belegen. Nachtwandler hieß er, Eule, Menschenscheu, Hexenmeister. Als man ihn einstmals darüber neckte, sagte Raimund: Wahrhaftig, er ist ein recht eingefleischter, ich möchte noch lieber sagen, eingeeister Nordländer. Aus unserm heitern Süden heraus sendet er all seine Wünsche und Lieder nach der Schneegegend hin, und liest ämsig, was von da herunter kommt, die Edda, den Saxo Grammaticus, und der Himmel weiß was noch für Isländereien. Aber einige recht hübsche Blüthen hat er draus gepflückt, und sie zu artigen Liedern verflochten: das muß man gestehn.

Die Damen schalten, daß ihnen Alwin seine Eisblumen, wie sie es nannten, so lange vorenthalten habe, und auf ihr Verlangen sang er folgendes Gedicht:

Vorbei an manchem fremden Strand,

Durch manch ein fremdes Meer

Schifft Alf, der Held von Dänenland,

Mit seinem Dänenheer.

Steht Lethra doch beinah verwaist,

Klagt um den jungen Herrn,

Jedoch der wackre Weigand reist

Nach seinem eignen Stern.

Und fragst Du, wie der Stern geheissen,

Und sagt's Dir nicht Dein Muth?

Du kennst gewiß sein schönes Gleissen,

Bist Du sonst brav und gut.

Ein Fürstenkind, Alvilda, zart,

Erweckt' ihm solch ein Licht.

Und hatte sie auch sich spröd' verwahrt,

Ließ er sein Hoffen nicht.

Sie floh aus ihrem Königshaus

Vor Alf, dem edeln Freier,

Da ging er kühn nach Thaten aus,

Ein beutegier'ger Geier.

Die Flügel waren die Seegel sein,

Die Krallen sein die Speere.

Und was nur gab auf Wassern Schein

Gewann er sich zur Ehre.

Und stand er nun an Feindesbord,

Im Spiel mit Feindesschilden,

Dann sang er: Thaten send' ich fort,

Sind Boten zu Alvilden.

Hoch nordwärts liegt eine schöne Bucht,

Kann viele Schiff' umfahn.

Dort lagen schnelle Seegler;

Der Alf, der schifft' heran.

Die Seegler waren zum Schlagen fertig,

Und kamen im kecken Lauf,

Und Alf, des Sieges schon gewärtig,

Rief: meine Dänen, drauf.

Die Lanzen flogen hin und her,

Ein Däne sprach: fürwahr!

Ich werf' nur ungern meinen Speer

Auf solche schmucke Schaar.

Seht wie sie all so zierlich stehn,

An Kleid und Stellung fein.

Fiel Eins davon in's Wasser,

Ich spräng' ihm hinterdrein.

Und ob's etwa auch Asen sind,

Auf heimliche Fahrt bedacht,

Da würden wir Alle taub und blind,

Und's gäb 'ne böse Schlacht.

Wolln's proben! rief der junge Alf,

Sprang n'über auf's Verdeck,

Vertrauen dem, der sonst ihm half,

Dem Muthe, frisch und keck.

Die andern nach in dicker Schaar

Die Waffen klangen laut,

Es fiel ein Helm, und wallend Haar

Ward unversehn's geschaut.

Und unterm Haar ein Angesicht,

Wie Blumen hübsch und fein,

Und auch zwei blauer Augen Licht,

Wie's haben die Jungfräulein.

Die Dänen lachten und freuten sich,

Und faßten ihren Feind,

Noch Keiner sah zierlichre Feinde,

Seitdem die Sonne scheint.

Und nahmen's Alle freudig wahr,

Wie lacht' erst Alf der Held,

Sah' er Alvilden doch der Schaar

Als Herrin vorangestellt.

Nun Liebchen bist gefangen,

Nun Liebchen bist Du mein,

Nun schau ich klar der Wangen

Bräutlichen Morgenschein.

Fort Helm, mit argen Tücken

Bargst du all meine Lust!

Fort Panzer! Sollst nicht drücken

Die weiße Schwanenbrust.

Stahlbandschuh wollt noch blinken?

Fort! Deckt dies Händchen nicht,

Weil sich's mit zartem Winken

Viel schönern Sieg erficht.

Die Waffen nahm er siegend

Von dem besiegten Weib,

Doch reichen Schmuck, erliegend,

Schenkt' er dem holden Leib.

Nun heimwärt's zog die frohe Schaar,

Alle Bräutigam und Braut,

Und Lethra hat von jedem Paar

Manch Heldenkind geschaut.

Holt nur viele hübsche Liebes-Geschichten aus dem Norden herunter, sagte eine schöne Frau, so wollen wir Euch die Ausflüge dahin gern erlauben, wenn's doch Eure Natur einmal so mit sich bringt.

Seine Natur! rief Florismarte. Das ist nun einmal wieder eine Raimundische Redensart. Er macht nordische Romanzen, weil er so weit von Dänemark und Schweden abwohnt. Wenn er in Upsala studirte, würde er recht artige Gedichte schreiben, wo Sehnsucht nach dem Süden drüber stände, und vielleicht auch drin enthalten wäre. Nun ist er hier, und sieht nach dem Norden hinaus. Man muß ja einmal aus sich heraus sehn. Da ist nichts Anderes zu machen, weil uns der Schöpfer die Augen in dieser Richtung angesetzt hat. Und wenn es die schon thun, wie viel mehr noch der Geist, ein so ungebändigter Gesell, daß er immer Lust hat, unsern eignen Leib mit Füßen zu treten, und, wie ich glaube, blos deswegen, weil er so nahe mit ihm verwandt ist. Also je ferner, je lieber, und Alwin kann nichts Natürlichers thun, als von hier aus die Norwegischen und Isländischen Sagen studiren; wenn wir von höher herunter welche hätten, wär' es noch besser.

Wir haben auf die Art hier einen poetischen Eiskeller angelegt, sagte Raimund lächelnd, und befinden uns auf dem unrechten Wege, denn wir wollten ja den Süden treffen, und hätten dazu vom Süden weitmöglichst wegfliehen müssen: in einem Russischen Rauchloch fänden wir die herrlichsten Blumen. Wie es sich doch so himmlisch leben muß unter dem Kohlendampf und dem erstickenden Fischgeruch! Da dürfte die Sehnsucht keinen Augenblick Friede halten, und die Poesie wäre eine so nothwendige Sache als Athemhohlen für Jeden, der nicht gradezu ersticken möchte. Hier freilich schläfern uns die Blumendüfte ein, so daß wir Monde leben könnten, ohne daran zu denken, daß unsre Existenz nicht die Poesie selber sei, oder die Sehnsucht nach den Lappländischen Herrlichkeiten müßte uns anwandeln, daß wir sängen:

O der Lust vom Thranfaß nippen,

In der Jurte, stets geheitzt,

Schau'n in Augen, rauchgebeitzt,

Küssen blaugefrorne Lippen!

Ich bleibe bei meinem Sache, antwortete Florismarte. Wir könnten hier die besten nördlichen Gedichte machen, aber auch andere, denn Ihr haltet uns für zu einseitig. Ihr scheint nämlich die irrige Meinung zu hegen, als wohnten wir im Süden, aber das ist keinesweges der Fall.

Wir wohnen wohl am Ende nirgends, sagte Raimund, und sind, wenn man es recht bei Euerm Lichte besieht, gar nicht einmal da.

Das würde eine sehr weitläuftige Untersuchung fordern, erwiederte Florismarte. Was aber unsern Wohnplatz betrifft, so kann ich Euch nicht ganz Unrecht geben. Er schwebt so in der Mitte, daß er beinah für Null gelten mag. Den Norden haben wir schon als fremd anerkannt, und nun fragt Euch selbst, wie es mit dem Süden steht. Nach Indien hinüber, nach der Barbarei sogar schweben Eure glühendsten Lieder, die Spanier selbst fühlen, daß sie durchaus nicht im rechten Sonnenlande daheim sind, denn ihre Gedichte haben es gar zu gern mit Asien und Afrika zu thun. Was den letztern Welttheil betrifft, so streift alle Europäische Poesie freilich nur an seinen Gränzen herum, aus Furcht, sich die Flügel in der wahrhaften innern Mittagsglut zu verbrennen. Aber wer das rechte Herz hat, den Süden zu lieben, der thu' es dort, auf den heißen Ebnen, wo die Sonne Monarchin ist, ohne alle jämmerliche Illusion, ihre Macht, ihren siegenden Glanz unmittelbar zeigt, und den starken Sinn aufzusuchen scheint, der ihr ungeblendet in's Strahlenauge blicken kann. Wie es sich da lebt, Ihr Kinder, wie es sich da liebt, das kann nur der ermessen, der wie ich auf meiner letzten Wanderung dort umhergezogen ist, unter den Mysterien freundlichliebender Gewalten; – Kinder, ich bin fast umgekommen dort vor Hunger, Durst, Ungeziefer, habe keinen vernünftigen Menschen gesehn, höchstens dürre, häßliche Creaturen, und danke allen Heiligen, daß ich wieder hier bin. Um Gotteswillen, Ihr hübschen Frauen, schenkt mir ein, denn ich bin bei der bloßen Erinnerung beinah verschmachtet.

Damit war der Streit abgebrochen, denn Alle lachten über den tollen Schluß dieser Rede, und Raimund sagte: er ist für mich ein wahres Uebel aus der Zauberwelt, ein neckender Zwerg, der einen zum Kampf reizt, und verschwindet, wenn man eben die Waffen heben will, so daß der noch von Glück sagen kann, der bei dem verrückten Spaß ohne Fallen abkommt.

Gesammelte Werke von Friedrich de la Motte Fouqué

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