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Gerechtigkeit und Leistung

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Das Lexikon unterscheidet drei klassische Gerechtigkeitsbegriffe: die Bedarfsgerechtigkeit, die Stellungsgerechtigkeit und die Leistungsgerechtigkeit. Die Rechtfertigung von Zigtausenden oder gar Hunderttausenden Euro Stundeneinkommen über das Argument der Bedarfsgerechtigkeit ist absurd – jede Stunde einen Rolls Royce kaufen? Die Rechtfertigung über die soziale Stellung ist ein Rückfall in voraufklärerische Zeiten. Seit der Aufklärung gehen wir zumindest in Europa davon aus, dass Menschen von Geburt an mit der gleichen Würde und dem prinzipiell gleichen Recht, ein zufriedenes und glückliches Leben zu führen, ausgestattet sind. Bei der Rechtfertigung über Leistung muss genauer unterschieden werden, was Leistung ist.11 Misst man sie an der Anstrengung oder am Ergebnis einer Aktivität? Das Kriterium der Anstrengung ist wenig glaubwürdig: Viele Altenpfleger strengen sich mehr an als viele Milliardärssöhne. Und vom Ergebnis her? Wenn der Vorstandsvorsitzende der |31|Deutschen Bank ankündigt, zur Renditesteigerung auf 25 Prozent weitere 6000 Arbeitnehmer entlassen zu müssen und allein durch diese Ankündigung der Aktienkurs der Bank steigt, hat er tatsächlich ein Ergebnis erzielt. Aber dieses Ergebnis kann nur von einem kleinen Teil der Betroffenen, den Aktionären nämlich, als Leistung im positiven Sinn gewertet werden. Die Entlassenen werden diese Leistung kaum wertschätzen.

Wer also die Herkunft des Reichtums wirklich klären möchte, muss sich mit jenen Macht- und Herrschaftsverhältnissen auseinandersetzen, innerhalb derer erst definiert wird, was Leistung ist. Wenn Reichtum ohne diese Auseinandersetzung einfach durch Leistung gerechtfertigt wird, wird er in Wahrheit durch sich selbst gerechtfertigt: Die Reichen kaufen sich Einfluss und Macht, legen mit deren Hilfe fest, was Leistung ist, sorgen dafür, dass die so festgelegte Leistung entsprechend honoriert wird, definieren dazu auch einen Multiplikationsfaktor von 10, 100 oder 1000, kassieren die entsprechende „Leistungsprämie“ und behaupten schließlich, dass diese durch die erbrachte Leistung auch gerechtfertigt sei. Dieser Zirkel funktioniert nur, wenn man von allen Ungleichheiten in den natürlichen, kulturellen und sozialen Voraussetzungen der Aktivitäten und ihrer Bewertung abstrahiert. Am Ende scheint dann tatsächlich der Fahrer eines Formel-1-Rennwagens mehr zu leisten als der eines Schulbusses, der Broker mehr als die Kindergärtnerin.12

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