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Weltweite Arbeitsteilung

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Der amerikanische Wirtschaftshistoriker und Sozialwissenschaftler Immanuel Wallerstein hat im Detail gezeigt, wie sich das globale Ausbeutungssystem herausgebildet hat und wie es heute funktioniert.24

Wallersteins Ausgangspunkt war die Kritik an dem bis heute vorherrschenden Modernisierungskonzept, nach dem alle Länder der Welt nach ein und demselben Entwicklungsmuster „erwachsen“ werden müssen. Im Gegensatz zu dieser Modernitäts-„Phrase“ muss, so Wallerstein, der den Marx’schen Ansatz mit dem System-Struktur-Ansatz (vgl. Kapitel 1) verbindet, von der Kategorie der Arbeit ausgegangen und nach den Systemzwängen gefragt werden, |43|die aus der kapitalistischen Organisation der Arbeit folgen. Das Grundmuster, das die sich kapitalistisch entwickelnde Weltökonomie bestimmt, ist Wallerstein zufolge der Gegensatz von Zentrum und Peripherie: Im Zentrum werden mit höher qualifizierten Arbeitskräften und fortgeschrittener Technik höherwertige Waren erzeugt, in der Peripherie die einfacheren Produkte. Der Austausch zwischen Zentrum und Peripherie ist deshalb von Anfang an durch eine fundamentale strukturelle Ungleichheit bestimmt.

Der Aufbau dieser Struktur begann in Europa, als sich der englische Landadel wegen der aufkommenden Textilindustrie auf die Zucht von Schafen zum Zweck der Schafwollproduktion zu spezialisieren begann und gleichzeitig in den Städten Tuchmanufakturen und später Textilfabriken gründete. In anderen europäischen Regionen, zum Beispiel in Polen, konzentrierte man sich auf Getreide und Viehzucht. So wurden im 17. Jahrhundert England zum Zentrum, Polen und andere Regionen zur Peripherie. Zentrum und Peripherie hatten zwar sehr ähnliche geografische Voraussetzungen, aber vor allem wegen der Stärke des englischen Königtums und der Zerstrittenheit des polnischen Adels hatte England einen entscheidenden relativen Vorteil auf seiner Seite. Zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert wurde aus der europäischen Schritt für Schritt eine weltweite Arbeitsteilung. Dabei änderten sich zwar die Konstellationen mehrfach, die Grundstruktur von Zentrum und Peripherie aber blieb bestehen. Seit dem Ersten Weltkrieg bilden die USA, Westeuropa und Japan das Zentrum des kapitalistischen Weltwirtschaftssystems. Wichtig ist, dass es für die Rollenzuweisung eines Landes oder einer Region zunächst auf natürliche Gegebenheiten und historische Zufälle ankommt. Wenn die Rolle aber einmal eingenommen ist, dann ist es das Wirken der Weltmarktkräfte, das die Unterschiede akzentuiert, sie institutionalisiert und für eine geraume Zeit unüberwindbar macht.

Die Sphäre zwischen Zentrum und Peripherie, die Wallerstein Halbperipherie nennt, umfasst jene Schwellenländer, die noch hoffen, irgendwie zum Zentrum aufzuschließen. In der frühen Phase der europäischen Arbeitsteilung war dies der Mittelmeerraum, heute sind dies der Nahe Osten sowie Teile Südostasiens und Lateinamerikas. Zwar stellen wir heute fest, dass Zentren und Peripherien keine geschlossenen Gebilde sind: In New York, Paris und Berlin finden sich bekanntlich Areale, die an Verhältnisse der Dritten Welt erinnern, genauso wie es in Kalkutta, Nairobi und Buenos Aires Villenviertel gibt, die denen der Ersten Welt in nichts nachstehen. Aber die von Wallerstein beschriebene Grundstruktur hat sich auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht geändert, und für die Zukunft ist ein wirklich flächendeckendes Aufschließen der Halbperipherien in die Zentren kaum vorstellbar (vgl. Kapitel 9). Wie sollte ein Land oder eine Region auch aufholen können, wenn Überschüsse tendenziell dort reinvestiert werden, wo die Kaufkraft schon am größten ist?

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