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|35|Die Ware und die abstrakte Arbeit

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Ausgangspunkt der Marx’schen Warenanalyse ist die Unterscheidung zwischen Gebrauchswert und Tauschwert: Waren sind wertvoll, weil sie entweder für die Bedürfnisbefriedigung gebraucht werden oder für den Erwerb anderer Waren getauscht werden können. Während Gebrauchswerte – unabhängig von der Form der Arbeitsteilung – seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte Voraussetzung für das Leben waren, gab es Tauschwerte erst dort, wo die Arbeitsteilung über den Markttausch organisiert wurde. Wichtig zum Verständnis des Marx’schen Begriffes der Ware ist, dass dabei stets auch Dienstleistungen eingeschlossen sind, sofern sie eben gebraucht und getauscht werden. Um das Wesen der warenproduzierenden Gesellschaft zu enthüllen, muss Marx zufolge als Erstes die Frage gestellt werden, wodurch der Tausch zwischen unterschiedlichen Dingen überhaupt möglich wird. Entsprechend dem materialistisch-historischen Erkenntnisprogramm sucht Marx den Grund der Austauschbarkeit der Waren in den materiellen und historischen Voraussetzungen, die in jeder der austauschbaren Waren gleichermaßen enthalten sind. Dazu prüft er mit der Kraft des Gedankens, was zum einen materiell-logisch vorhanden sein muss, damit der Tauschakt möglich wird, und was zum andern dem Tauschakt historisch-zeitlich vorausgeht. Das Ergebnis lautet: Jede Ware, ganz gleich, welche es ist, ist erst durch menschliche Arbeit in die Welt gekommen. Selbst Naturstoffe können erst getauscht werden, wenn sie vom Menschen der Natur abgetrotzt worden sind, in ihnen also Arbeit enthalten ist. Immer dann, wenn zwei Menschen zwei Waren gegeneinander austauschen, unterstellen sie also, dass diese gleichermaßen Resultat menschlicher Arbeit sind, sie setzen also ihre Arbeit gleich. Das heißt, sie sehen von allen Besonderheiten ihrer jeweiligen Tätigkeiten, des Backens, des Schneiderns, des Schmiedens etc. ab, so dass nur noch die Verausgabung von Muskeln, Nerven, Hirn etc. übrig bleibt. Erst die „abstrakte“ Arbeit macht eine Ware also für den Tausch geeignet, macht sie zu einem „Wert“. Das ist der Kern des Geheimnisses der warenproduzierenden Gesellschaft, so wie Marx sie sieht.

Nun stellt sich natürlich die Frage nach der Größe des Wertes. Für Marx, wie übrigens für viele andere Theoretiker seiner Zeit auch, hängt der Wert der Arbeit von der gesellschaftlich durchschnittlich notwendigen Arbeitszeit ab. Dies kann wieder materiell und historisch begründet werden. Fragt man nach der materiellen – im Sinn von logischen – Grundlage des Tausches und macht sich bewusst, dass im Prinzip jede Arbeit gegen jede andere eintauschbar ist, unterscheiden sich die Einzelarbeiten allein in der Zeit, die sie jeweils gedauert haben. Genauer formuliert: Jede Einzelarbeit ist nur ein winziger Bruchteil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit, in jeder Ware steckt also nur ein Bruchteil der gesamten gesellschaftlichen Arbeitszeit. Konsequenz dieser Durchschnittslogik ist, dass nur die durchschnittlich notwendige Arbeitszeit, nicht die individuell |36|tatsächlich aufgewendete Arbeitszeit für die Wertbildung zählt. Ein Produzent also, der im Verhältnis zum Durchschnitt länger braucht, erhält seine Arbeit im Tauschakt nicht voll ersetzt, wer schneller ist, macht einen Extragewinn. Fragt man nach der historischen – im Sinn von zeitlichen beziehungsweise genetischen – Grundlage des Warentausches, so zeigt ein Blick in die Anfänge der Tauschwirtschaft, dass die Tauschenden den durchschnittlichen zeitlichen Aufwand in jener frühen Phase der Arbeitsteilung zum Teil noch aus eigener Erfahrung einschätzen konnten und deshalb zum Maßstab erhoben. Der Schuster zog von Bauernhof zu Bauernhof, führte die Arbeiten vor den Augen des Bauern aus. Ein Bauer hätte wenig Verständnis gehabt, wenn der Schuster für einen Tag Schusterarbeit drei Tage Bauernarbeit hätte eintauschen wollen. Während bei den ersten Tauschakten der in den Waren verborgene Wert noch durch andere Waren, die zudem ständig wechselten, sichtbar gemacht wurde, führte die Entwicklung der Warenproduktion schließlich dazu, dass eine bestimmte Ware sich ganz auf diese Funktion, den Wert zu messen und den Tausch zu vermitteln, spezialisiert hat: nämlich das Geld, zunächst in Gestalt von Gold und Silber. Wichtig ist, dass all dies nicht das Werk einer planenden Vernunft ist, sondern sich „hinter dem Rücken“ der Menschen einstellte, sich aus der materiellen Logik des täglichen Handelns irgendwie von selbst ergab.18

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