Читать книгу OPPORTUNITY - The power of resistance - Gabriele André - Страница 25
Оглавление«CARANDIRÚ»
Kapitel 19
Der Höllenknast Carandirú war das größte Staatsgefängnis, es lag im Norden der Metropole São Paulo. Seit 1992 bekannt als «Inferno da Prisão», die grausamste Gefängnishölle Brasiliens in den Schlagzeilen der Welt. Ein Ort den man zweifellos als Hölle benennen muss. Über Jahrzehnte lang herrschte Gewalt, das tägliche Leben war von Angst regiert. Gouverneur Geraldo Alckmin des Bundesstaates São Paulo ordnete den Abriss dieser unmenschlichen Hölle an. Am 08. Dezember 2002, wurde es mit den letzten Worten gesprengt:
«Carandiru endete auf die gleiche Weise, in der
es existierte. Man weint ihm keine Träne nach.»
Dieser Höllenknast galt bis in die 1940er Jahre als Vorzeigeobjekt des modernen Justizvollzugs. 3250 Haftplätze standen zur Verfügung. Jedoch wurden seit 1956 permanent rund 8000 Menschen inhaftiert. Es wurde zur Brutstätte der organisierten Kriminalität und allen nur erdenklichen Gewaltverbrechen. Insassen mussten mit der Brutalität der Wärter rechnen und sich mit der Bandenkriminalität im größten Gefängnis Lateinamerikas arrangieren. Anders hatte man keine Überlebenschance. Ein Leben darin war die pure Hölle. Die Niederschlagung der Revolte am 02. Oktober 1992 forderte 111 tote Gefangene, die durch die Einheiten der brutalen bundesstaatlichen Polícia Militar do Estado de São Paulo, erschossen wurden. Zu diesem Zeitpunkt waren rund 7000 Kriminelle inhaftiert. Ein wahres Schattenreich von Gangstern, regelrechten Clans der Verbrechenssyndikate und korrupten Gefängnisbeamten. In diesem Orkus hatte alles seinen Preis. Ein Essen, Wasser, Kleidung, ein Schlafplatz, ein Mädchen, Drogen, eine Flucht und sogar ein Mord. Wer Geld hatte oder diente, konnte überleben. Brutalität und Vergewaltigung waren tägliche Usancen. Infernalisch herrschten chaotische, bestialische und unfassbar grausam brutale Zustände.
Gangsterbosse nutzten mit den gierigen Beamten die Institution. Verschwundene Insassen wurden erst nach Wochen bemerkt. Von Hygiene und ärztlicher richtiger und ordnungsgemäßer Versorgung gab es nicht einmal den Ansatz. In mehr als überbelegten Zellen wurde in kurzen Schichten geschlafen. Die sogenannten «Fledermaus-Männer», banden sich mit den Füßen kopfüber an die Gitter, um zu ruhen. Essen war knapp und meist verdorben. Natürlich sitzen hier keine Musterknaben oder Unschuldige ein, jedoch belief es sich auf mehr als eine bewusst vergessene, schauerliche Welt heraus. In welcher keinerlei Gesetzesform mehr greife, geschweige Empathie sowie menschlicher Moral.
Über Weisung stürmten 330 Polizisten, schussbereit das Gefängnis, es kam zum weltbewegenden Carandiru-Massaker, 102 Häftlinge wurden erschossen. Die meisten Toten wiesen im Kopf und der Brust Einschüsse auf. Weitere 9 Häftlinge starben an Stichwunden. 87 Gefangene und 22 Polizisten wurden verletzt. Das nachfolgende Inferno hatte weitreichende Folgen weltweit. Es schürte Unverständnis und Misstrauen. Obwohl die Häftlinge weiße Fahnen gehisst hatten und ihre Messer, Machéten und andere Waffen in den Hof warfen, wies der kommandierende Coronel Uribatan Guimarães seine Beamten an, gnadenlos das Feuer zu eröffnen. Hinterher lagen 111 Leichen herum. Die Revolte endete im ruchlosen Massaker. Der kommandierende Coronel Uribatan Guimarães und seine Militärpolizisten mussten sich aufgrund des öffentlichen und politischen Drucks letztendlich doch verantworten. Mehr als zwei Jahrzehnte dauerte die penible juristische Ermittlung.
Der damalige Polizei-Kommandant Ubiratan Guimarães musste sich vor Gericht verantworten, weil er den Schießbefehl gegeben haben soll. Auf groteske Weise wurde er 2006 freigesprochen und war inzwischen Parlamentsabgeordneter. Kurz nach dem Urteil wurde er von Unbekannten ermordet. In weiteren vier getrennten Verfahren wurden im April 2013; 23 Polizisten zu einer Haftstrafe von jeweils 156 Jahren, im August 2013, 25 Polizisten zu jeweils 624 Jahren, im März 2014 9 Polizisten zu jeweils 96 Jahren verurteilt, ein weiterer Polizist zu 104 Jahren und schließlich im April 2014 noch 15 Polizisten zu jeweils 48 Jahren Gefängnis.
Nach brasilianischem Recht dürfen verurteilte Häftlinge maximal dreißig Jahre inhaftiert bleiben. Mitte 2001 gab es einen letzten spektakulären Aufstand. Es war die größte Massen-Erhebung, die umfangreichste Geiselnahme in der Zuchthaus-Geschichte Brasiliens. Auf Befehl der «PCC» hatten zeitgleich 27.000 Häftlinge in 24 Gefängnissen des Bundesstaates 13.000 Geiseln genommen. Die eigenen Angehörigen, die Frauen und Kinder und Alten, die zur Besuchsstunde erschienen waren. Logischerweise hatte Carandiru die meisten Aufständischen und Geiseln, wo die Drahtzieher saßen, die ein größeres Blutbad einkalkuliert hatten. Das Szenario erfolgte um die Verlegung einzelner Paten zu verhindern.
Die Gangster gaben sich PR-bewusst. In den Stunden nach Ausbruch der Revolte ließen sie mit weißem Kalk die Zahlen 15, 3, 3 auf die braune Erde des Zuchthausinnenhofs in Carandiru streuen. Gut sichtbar für die Helikopterteams der Nachrichtensender, die bald das Gefängnis überflogen. Die Zahlen 15, 3, 3 bezeichnet die Stellung der Buchstaben im Alphabet, ein primitiver Code der Gangster für die Initialen ihres gefürchteten Vereins, «PCC».
Das «Primeiro Comando da Capital (PCC)» portugiesisch «Erstes Kommando der Hauptstadt» ist eine brasilianische kriminelle Organisation, die aus São Paulo landesweit operiert. Die Mitgliederzahlen basieren auf Schätzungen. 2006 wurde von ungefähr 100.000 Mitgliedern ausgegangen.
Die Zustände des Vollzugs in Carandiru waren jedoch nur Abbild einer Katastrophe, die das gesamte Justiz-System betrifft. Als «Erstes Kommando der Hauptstadt», die «PCC», wollte mit dem Aufstand die Verlegung von Bandenbossen verhindern. Immer wieder waren Revolten und Massenausbrüche an der Tagesordnung. In Rios Bangú war ein weiterer Flucht-Tunnel rechtzeitig entdeckt worden. Daneben wurde eine wilde Bande geschnappt, die vorhatte, die Mauern der Zellenblöcke 1 und 4 mit tschechischem Sprengstoff in die Luft zu jagen und den berüchtigten «Beira Mar» Mitgliedern, die den Drogenhandel in den Favelas kontrolliert, zur Flucht zu verhelfen.
Aufklärungsraten bei Gewaltverbrechen sind in Brasilien miserabel, noch immer herrscht weitgehende Straflosigkeit. In Metropolen wie Rio de Janeiro sind ganze Stadtteile fest im Griff der kriminellen Parallelgewalt.
Wenn für Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren die brutalen Drogengangster mittlerweile größter Arbeitgeber sind, dann ist etwas faul im System. So empfindet es auch Jóse, der seinen Lebensunterhalt sein Leben lang kriminell bestreitet.