Читать книгу Die Raben Kastiliens - Gabriele Ketterl - Страница 11

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1. Provinz Toledo, 1690

VORWITZIGE SONNENSTRAHLEN KITZELTEN SEINE NASE. Der Frühling hatte, besonders am frühen Morgen, einen ganz besonderen Geruch. Blütenkelche öffneten sich, die Blumen auf den umliegenden Wiesen und auch das frische Grün der Bäume, all das vereinte sich zu einer Symphonie aus wundervollen Düften.

Angel ließ die Lider geschlossen, verabschiedete sich von seinen letzten, durchaus angenehmen Träumen und genoss die Eindrücke des beginnenden Tages. Erst als sich zaghaft das köstliche Aroma von Kaffee in diese unvergleichliche Komposition der Natur mischte, öffnete er erwartungsvoll die Augen. »Ach nein, der edle Herr geruht zu erwachen und sich, so ich doch hoffe, seinen ergebenen Untertanen anzuschließen?« Xavier, sein langjähriger Freund und zuverlässigster Mitstreiter, hielt ihm grinsend einen Becher entgegen, aus dem verheißungsvoller Dampf aufstieg.

Dankbar ergriff Angel das heiße Gefäß und schälte sich aus den Fellen, in die er sich eingehüllt hatte. Vorsichtig, um nichts von dem Kaffee zu verschütten, rutschte er zu seinen Gefährten ans flackernde, wärmende Feuer.

»Du wirst entschuldigen, mein alter Freund, wenn ich noch ein wenig müde bin. Darf ich dich daran erinnern, dass ich es war, der die erste Wache hatte und ein ganz gewisser Herr erst fast zwei Stunden zu spät zur Ablösung erschien?« Der feixende Unterton, der in Angels Stimme mitschwang, zeigte, dass er nicht ernstlich verärgert war.

Ihrer aller Blick glitt zu einem in eine warme Decke eingewickelten Bündel hinüber. Nur eine Nasenspitze lugte gerade noch so daraus hervor. Der Träger dieser Nase schlief ganz offensichtlich den Schlaf des Gerechten.

Angel lächelte nachsichtig. »Mir war schon gestern Abend klar, dass Manuel und diese hübsche Schwarzhaarige wohl ein wenig länger in, wie sage ich das am besten, nennen wir es ›angeregter Konversation‹ versunken sein würden. Kein Wunder, dass meine Ablösung erst an zweiter Stelle in seinem Kopf stand. Aber gönnen wir es ihm. Er ist jung und er war lange weg von zu Hause.« Seufzend streckte Angel die langen Beine aus und legte die Hände um den wärmenden Kaffeebecher.

»Du bist zu gutmütig, Angel. Aber was soll’s? Eigentlich hast du ja recht. Der Bengel hat auf der Reise gute Arbeit geleistet, gönnen wir ihm den Spaß.« Xavier warf einen neuerlichen Blick auf das Deckenbündel. »Aber irgendwann wird er wohl aufwachen müssen.«

»Lass gut sein. Ich denke, wir haben noch eine Weile.« Angels Blick huschte hinüber zu dem kleinen Gasthaus, in dem ihr Dienstherr sicher noch selig schlummerte. »So wie ich Don Raul kenne, wird er die letzten Tage der Reise, und vor allem die damit verbundene Ruhe, noch genießen. Sobald er wieder bei Frau und Töchtern ist, hat es sich mit Müßiggang und Frieden.«

»Das Argument hat was. Dona Clara ist eine liebe Frau, aber schrecklich anstrengend. Ganz zu schweigen von seinen vier Töchtern. Mal im Ernst, Männer, ich bin verdammt froh, dass ich zwei Söhne habe.«

Jesús, der Vierte im Bunde, kratzte sich lachend an seinem von Bartstoppeln überzogenen Kinn. »Aber selber schuld, was muss er vier Mädchen in die Welt setzen?«

Angel räusperte sich leise. »Das sagt der Richtige! Eine Welt ohne Frauen käme doch für dich dem Fegefeuer gleich. Du kannst von Glück sagen, dass deine Frau andauernd beide Augen zudrückt und eine Engelsgeduld an den Tag legt. Ansonsten hätte sie dich längst in die Wüste geschickt.«

»Einen Mann mit meinen Qualitäten schickt man nicht in die Wüste, mein Lieber. Wie nannte mich die reizende Schankmaid an unserem letzten Rastplatz so richtig? Augenblick, gleich fällt es mir wieder ein: Ein Geschenk Gottes! Lasst euch das gesagt sein. Macht das erst einmal nach.« Genüsslich lächelnd versenkte Jesús die Nase in seinem Kaffeebecher.

Xavier, der Älteste der Truppe, zog eine Grimasse und wandte sich an Angel. »Was ist mit dir? Ich erinnere mich an Fahrten, bei denen du keinen einzigen Frauenrock ausgelassen hast. Seit du verheiratet bist, scheinst du mit Scheuklappen durch die Welt zu laufen. Versteh mich nicht falsch, mein Freund, ich bin der Letzte, der es dir nicht gönnt, wenn du vor Liebe blind bist. Aber es fällt mir schwer, mich an diesen neuen Angel zu gewöhnen. Falls du weißt, was ich meine.«

Angel grinste leise in sich hinein, stellte seinen leeren Becher ab und fuhr sich mit allen zehn Fingern durch das lange, dunkelbraune Haar. »Was soll ich sagen? Ich verstehe es ja selber kaum. Die letzten drei Jahre waren für mich wie ein Wunder. Als ich Sarah erblickte, war es, als ob zum ersten Mal in meinem Leben die Sonne aufgehen würde. Ich hatte nur noch Augen für sie und konnte an nichts anderes mehr denken. In dem Augenblick wusste ich, wie sich echte, wahre Liebe anfühlt. Sie ist alles, was ich je wollte, wonach ich mich je gesehnt habe. Es fühlt sich so absolut richtig an, dass ich das auf gar keinen Fall zerstören möchte. Glaub nicht, dass ich die vielen hübschen Mädchen nicht mehr sehe, aber sie reizen mich einfach nicht mehr. Ich brauche nur noch Sarah und meinen süßen kleinen Sohn. Mehr will ich nicht.«

»Gütiger Himmel. Du klingst wie ein satter, zufriedener alter Mann, Angel. Was ist nur aus unserem wilden Anführer geworden, der zwei Frauen pro Nacht glücklich machen konnte?« Jesús warf Angel einen herausfordernden Blick zu.

»Na, dafür haben wir ja dich, Jesús. Du tust dein Möglichstes, um die Lücke, die ich hinterlassen habe, nach Leibeskräften auszufüllen. Im wahrsten Sinne des Wortes.« Angel schlug seinem langjährigen Weggefährten kräftig auf die Schulter. »Versuch nicht, dich an mir zu messen. Du könntest jämmerlich scheitern, das wäre miserabel für dein ansehnliches Selbstbewusstsein.«

Jesús kam nicht mehr dazu, eine passende Antwort zu finden, denn drüben im Gasthaus öffnete sich die Vordertür und die eindrucksvolle Silhouette Don Rauls erschien in der Morgensonne.

»Guten Morgen, Männer! Kommt herüber und wir essen gemeinsam. Ihr seid sicher hungrig!« Don Rauls tiefe Stimme tönte durch die Stille des sonnigen Morgens.

»Sehr gern, Don Raul, wir kommen sofort!« Angel winkte seinem Herrn erfreut zu. Leise wandte er sich an Xavier. »Wir haben mit ihm wirklich das große Los gezogen. Einen Dienstherrn wie ihn findet man nicht alle Tage.«

»Wie wahr. Glaub mir, ich bin dafür auch sehr dankbar. Los, wecken wir den Jungen auf. Auch wenn er uns verfluchen wird, wer weiß, welche süßen Träume er gerade hat.« Lächelnd erhob sich Xavier und stapfte zu dem schlafenden Manuel hinüber. Ruckartig zog er ihm die wärmende Decke weg.

Der schoss erschrocken hoch. »He, seid ihr verrückt geworden? Ich werde erbärmlich erfrieren.« Schimpfend zog sich der so rüde Geweckte die Decke wieder über den Leib.

»Nichts da! Los, aufstehen. Don Raul hat uns alle eingeladen, mit ihm das Frühstück einzunehmen. Du kommst gefälligst mit.« Angels Stimme duldete keinen Widerspruch.

Der kam auch nicht, im Gegenteil. »Oh, essen? Das ist etwas anderes. Ich bin ja so was von hungrig.« Eilig sprang Manuel auf, rieb sich den Schlaf aus den schwarzen Augen und schüttelte die widerspenstigen Locken. »Gehen wir?«

Jesús runzelte die Stirn. »Weiber und Essen, gibt’s sonst noch was, das dich derzeit beschäftigt?«

Manuel gelang ein – nur leicht – schuldbewusstes Grinsen. »Um ehrlich zu sein, nicht viel. Wozu auch? Das reicht doch vollkommen.«

Angel betrachtete lächelnd seine Männer. »Eure Probleme möchte ich haben. Vorwärts, wir räumen rasch auf und dann essen wir. Ich möchte Don Raul nicht warten lassen.«

In Windeseile löschten sie das Feuer, spülten ihr Geschirr aus und verstauten alles auf dem Wagen mit dem Reisegepäck. Wenige Minuten später liefen sie über den Hof des Gasthauses, wobei der Duft frisch gebackenen Brotes ihre Schritte zusätzlich beflügelte.

B

Don Raul lehnte sich zufrieden in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme über seinem stattlichen Bauch. »Angel, diese Reise geht ihrem Ende entgegen. Morgen werden wir Toledo erreichen. Meine Erwartungen wurden in jeder Weise erfüllt. Ich habe fast meine ganze Ware verkauft und beste neue mitgebracht. Diese Stoffe werden mir die Damen Toledos aus den Händen reißen, lass dir das gesagt sein. Du und deine Männer waren mir eine große Hilfe und ich habe mich, wie immer, vollkommen sicher gefühlt.«

»Es freut mich, das zu hören. Die Reise war friedlich, bis auf einige kleine Strauchdiebe, die glaubten, uns überlisten zu können. Es war schön, wieder mit Euch durch die Welt zu fahren, Don Raul.« Angel sah seinen Herrn fast schon liebevoll an.

Seit mehr als acht Jahren begleitete er ihn nunmehr auf seinen Handelsfahrten. An seinem achtzehnten Geburtstag hatte der Don ihn, den Sohn eines einfachen Tischlers, gefragt, ob er ihn nicht begleiten wolle. Als helfende Hand und zum Schutz der Wagen. Fast jedes Jahr war er seither mit ihm losgezogen und seit fünf Jahren war er gar der Anführer der kleinen Truppe, die den Don begleitete. Don Raul war ihm fast wie ein zweiter Vater und Angel schätzte und liebte den Mann, dessen Haar nun langsam weiß wurde, sehr.

»So soll es sein. Auch wenn ich weiß, dass du derzeit lieber bei Frau und Kind wärst. Freu dich! Morgen wirst du sie wiedersehen. Ich merke doch, dass du es kaum mehr erwarten kannst. Allein wenn ich sehe, wie deine Augen strahlen, wenn ich nur von ihnen spreche. Warte mal.« Don Raul erhob sich dank seiner Leibesfülle etwas mühsam aus dem wuchtigen Lehnstuhl und bedeutete Angel, ihm zu folgen.

Bei den großen Planwagen angekommen, steuerte Raul zielsicher auf das Fuhrwerk mit den Stoffen zu. Er löste die schwere Plane mit sicherem Griff und schlug sie zurück. Rasch hatten seine tastenden Finger gefunden, wonach er gesucht hatte. Vorsichtig zog er einen kleinen Ballen mit burgunderrotem, feingewebtem Stoff hervor.

»Sieh doch, Angel. Ist diese Farbe nicht perfekt für Sarah? Sie wird ihre natürliche Schönheit noch unterstreichen. Hier, nimm. Ich schenke ihn dir. Bring ihn ihr mit, damit sie eine kleine Entschädigung für deine lange Abwesenheit hat.«

Angel nahm das kostbare Geschenk hocherfreut und dankbar an. »Don Raul, Ihr seid zu großzügig. Das ist wirklich sehr freundlich von Euch. Ich weiß, dass Sarah sehr glücklich darüber sein wird.« Vorsichtig glitten seine Finger über den weichen Stoff.

»Dann ist es gut, ich werde auch jedem der anderen noch eine Kleinigkeit für zu Hause mitgeben, aber ich wollte, dass du den hier schon einmal hast. Ich will, dass du weißt, wie sehr ich dich schätze und wie sehr du mir ans Herz gewachsen bist, Angel. Du bist mir zu dem Sohn geworden, den ich nie hatte.« Don Raul ergriff Angels Oberarme und drückte ihn kurz an sich. »Und bevor wir jetzt allzu sentimental werden, brechen wir auf. Ich hole noch rasch meine persönlichen Dinge aus dem Gasthaus. Bitte lass anspannen. Es geht nach Hause, Angel!«

Die Raben Kastiliens

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