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Barfuß –vom Eros der Natur
ОглавлениеWie fühlt sich der Boden unter meinen Füßen an? Wie bin ich geerdet? Wer reinigt meine Fußsohlen für neue Aufbrüche?
Dominik Markl
Jesus sagte zu ihm: Wer vom Bad kommt, ist ganz rein
und braucht sich nur noch die Füße zu waschen.
JOHANNES 13,10
Der Freihut ist einer der unaufdringlichen Berge im Tiroler Sellraintal, wo sich Stille und Einsamkeit finden lassen. Als ich dieser Tage barfuß dort hinaufstieg, staunte ich über die Vielfalt und Fülle der Sinneseindrücke. Nach den sanften Weiden der Gleirschalm führt der Steig über Waldböden und quert Wasserläufe. Kühler, silbriger Gletscherschlick und die warme, braune Hochmoorerde werden da vom frischen Bergwasser zwischen den Zehen herausgespült. Höher steigend spüren die Fußsohlen bald den Teppich duftender Zirbennadeln, bald die feinen Kanten von in Tausenden Frosten zersplittertem Gneis. Umso weicher fühlen sich die knöcheltiefen Polster sibirischer Moose an, bevor an der Bergschulter kühle Büschel von Frauenmantelblättern und samtige Beete von Bergblumen einander abwechseln. Die Beine werden von einem zu querenden Altschneefeld intensiv erfrischt, bevor am blockigen Gratrücken rostig-rotbraune Steinplatten, vor zwanzig Jahrtausenden von Gletschereis geformt, jene Strahlen der Bergsonne weitergeben, die sie in den vergangenen Stunden als tiefe Wärme aufgesogen haben. Als ich auf dem Gipfel die Stille des abendlichen Lichts genieße, wird mir bewusst, wie die Bergwelt zwar Vorsicht und Konzentration verlangt, uns aber freundlich und voll von sinnlichem Reichtum in ihre Arme nimmt.
Am Freihut fühlte ich mich neu geerdet, verbunden mit der Heiligkeit der Natur. Mose kam mir in den Sinn, der sich nur barfuß dem brennenden Dornbusch nähern durfte, als er in der Einsamkeit des Sinaigebirges erstmals den Ruf des Heiligen hörte. Davids Gebet fiel mir ein: Gott »stellte meine Füße auf den Fels, machte fest meine Schritte« (Psalm 40). Und Ezechiel, der sich angesichts der Gotteserscheinung überwältigt zu Boden warf, als er eine Stimme hörte: »Menschensohn, stelle dich auf deine Füße, und ich will mit dir reden!«
Zurück im Tal braucht es eine besondere Fußpflege, was mich wiederum an Abraham erinnert, der seinen drei mysteriösen Gästen als erstes Zeichen der Gastfreundschaft Wasser zum Füßewaschen gab. In der biblischen Kultur, wo das Barfußgehen noch zum Alltag gehörte, war dies allgemeiner Brauch. Wenn Jesus dem Petrus die Füße wäscht, ist dies eine sinnliche Wohltat zum Abschied in einer Freundschaft, deren Umgangston zuweilen rau gewesen war. Indem Jesus seinen Jüngern die Füße wäscht, berührt er die Erinnerungen ihrer Reisen, befreit sie von den Folgen schmutziger und dorniger Wege. Er bereitet sie für eine gepflegte Rast im Haus vor und für neue Aufbrüche.
Unsere geplagten Füße, meist in Socken verpackt und durch Leder und Gummisohlen ihrer alten Heimat entfremdet, bekommen in der Wärme des Sommers und in der Freiheit des Urlaubs die Chance zu atmen, sich mit dem Sand des Meeres oder dem Waldboden der Heimat zu verbinden und die Freundlichkeit der Natur zu erfahren. Endlich wieder Zeit, um zu spüren: Wie fühlt sich der Boden unter meinen Füßen an? Wie bin ich geerdet? Wer reinigt meine Fußsohlen für neue Aufbrüche?