Читать книгу Elijah & seine Raben - Georg Sporschill - Страница 24
Auf wen kannst du dich ganz
und gar verlassen?
ОглавлениеVor zwanzig Jahren haben wir Iulian von der
Straße aufgenommen. Jetzt ist er mein Begleiter auf riskanten Wegen.
Ruth Zenkert
Ihr sagt zu mir Meister und Herr und ihr nennt
mich mit Recht so; denn ich bin es.
JOHANNES 13,13
Es war später Nachmittag, als Iulian mich aus dem Büro holte. Wir wollten eine neue Laufstrecke ausprobieren, in der Ebene, damit es nicht so anstrengend bergauf ging. Wir liefen aus dem Dorf hinaus, am Bach entlang, durch saftige Wiesen, das Laufen fiel leicht, und so bemerkten wir gar nicht, wie schnell wir uns dem Ziel, dem nächsten Dorf, genähert hatten. Schafe blökten, und da sahen wir auch schon die Herde, die uns entgegenkam. Nichts wie weg, war mein erster Gedanke. Wenn die scharfen Hunde uns riechen, bevor der Hirte uns sieht und sie zurückpfeifen kann, wird es unangenehm. Mit Horrorgebell und fletschenden Zähnen rasen sie auf einen zu, und wenn sie die Angst spüren, die man in dem Moment nicht haben soll, steigert sich ihr Eifer noch. So bogen wir auf einen Weg nach links ab, der sich glücklicherweise anbot; weil wir so locker dahingelaufen waren, wollten wir den unbekannten Weg zurück durch den Wald nehmen. Wir kamen auf eine Kuhweide und standen plötzlich vor einem Gestrüpp. Eine kleine Gymnastikübung, sagten wir uns, unten durch, und dann finden wir leicht den Weg durch das schmale Wäldchen. In den letzten Jahren hatte sicher keine Menschenseele diesen Dschungel betreten, Bäume und Büsche waren wild gewachsen, Dornbüsche machten den Urwald fast unbegehbar. Zuerst kämpften wir uns tapfer durch das stachelige Gebüsch, dann war nur noch Kriechen möglich. Es ging so steil hinunter, dass wir uns kaum an den vielen morschen Ästen halten konnten, dann wieder jäh hinauf. Mein Hemd war zerrissen, ich blutete am Ohr, Arme und Beine waren zerkratzt, der Schweiß rann mir von der Stirn. Ich blieb stehen und versuchte mich zu orientieren. Wir waren Richtung Westen weggelaufen, jetzt war die Sonne hinter uns. Wir hätten doch längst aus dem Wald heraus sein müssen, so breit war er nicht. Warum sahen wir nicht die Kirchturmspitze? Warum hörten wir nicht die Autos von der Straße? In spätestens einer Stunde würde es dunkel sein. Wenn wir in die falsche Richtung gelaufen waren, dann mussten wir Stunden, Tage gehen, bis wir wieder in ein Dorf kamen, das wusste ich. Wir liefen weiter, entsprechend dem Sonnenstand; nie die Richtung verlieren, nicht im Kreis laufen! Ich spürte Panik aufsteigen. Wie sollten wir hier übernachten? Es war viel zu kalt, und wenn Wildschweine und Bären kamen? Jetzt keine Angst zeigen, sonst dreht Iulian auch noch durch. Wir liefen und krochen weiter, auf und ab, durch die Dornen. Entdeckten einen kleinen Bach und folgten seinem Lauf, gingen auf einem Pfad mit Tierspuren, kamen auf einen kleinen Weg – und waren plötzlich aus dem Dickicht draußen. Eine Waldlichtung, ein Weg, Menschen! In rasendem Tempo liefen wir nach Hause. Am Tor gestand ich Iulian: Ich hatte eine Wahnsinnspanik im Wald. Er schaute mich verwundert an. Wirklich? Ich nicht. – Hast du nicht Angst gehabt, dass wir nicht mehr aus dem Wald herausfinden und dort übernachten müssen? –Nein. Du warst ja dabei.