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Von der Seele Rechenschaft fordern
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Georg Sporschill
Als er ihnen die Füße gewaschen, sein Gewand
wieder angelegt und Platz genommen hatte, sagte er zu ihnen:
Erkennt ihr, was ich an euch getan habe?
JOHANNES 13,12
Ich besuche Maria, ihr kleinstes Kind ist krank. Ich treffe sie mit besorgtem Gesicht an, das Kind an ihrer Brust mit schweißgebadetem Köpfchen. Sie ist froh, Brot zu bekommen. Schon seit Tagen konnte sie sich keines mehr leisten, sie bekam keinen Kredit mehr beim Kaufmann. Maria gehört zu den »Bekehrten« im Dorf, sie hat sich einer amerikanischen Freikirche angeschlossen, vielleicht auch, weil sie dort immer wieder Spenden bekommt. Jeden Mittwoch kommen in der neu erbauten Kapelle mitten in der Roma-Siedlung viele Arme zusammen. Sie preisen Gott und steigern sich ins Halleluja. Weil sie weiß, dass ich Priester bin, fragt mich Maria, als ich schon weitergehen will: »Können wir miteinander beten?« Daran habe ich nicht gedacht, nur ans Brot und das kranke Kind. Wir sprechen ein Vaterunser, Maria drückt das Kind fest an sich und weint. Wegen der Krankheit oder wegen des Hungers? »Warum weinst du?«, frage ich erschrocken. »Weil Jesus bei uns ist«, antwortet sie und lächelt. Es sind Tränen des Trostes, die über ihre Wangen laufen. Ich dachte an das Elend und die Sorgen um das kranke Kind; nun erkenne ich, dass es viel mehr war. Für die bitterarme Mutter war es ein göttlicher Besuch.
Diese Frau hat tiefere Dimensionen in dem, was geschehen war, erkannt. Ähnliches will Jesus für seine Schüler. Er stellt ihnen die pädagogische Frage: »Erkennt ihr, was ich an euch getan habe?«, nachdem er ihnen die Füße gewaschen, sein Gewand wieder angelegt und Platz genommen hat. So bringt er seine Schüler dazu, innezuhalten und zurückzublicken. Jesus möchte, dass das Erlebte vom Kopf ins Herz sinkt. Erkennen heißt nach der Bibel, mit dem Herzen verstehen. Der Prophet Jeremia hört, wie Gott den verschleppten Israeliten im Exil sagt: »Ich gebe ihnen ein Herz, damit sie erkennen, dass ich der Herr bin.« (Jeremia 24,7) Sie sollen erkennen, wie liebevoll Gott seine Augen auf sie richtet und sie heimkehren lässt. Es geht um mehr als ein intellektuelles Erfassen. Erkennen in der Bibel bedeutet Lieben, bis hin zur körperlichen Liebe. Adam erkannte Eva, Maria antwortete auf die Botschaft, dass sie ein Kind empfangen werde, sie habe keinen Mann erkannt. In unserer Bibelstelle möchte Jesus, dass die Jünger erkennen, was er mit der Fußwaschung an ihnen getan hat; dieselbe Liebeskraft will er in ihnen freisetzen.
Die arme Mutter fand Trost, weil sie im Besuch Tieferes erkannt hat. Aus der pädagogischen Frage, die Jesus stellt: »Erkennt ihr, was ich an euch getan habe?«, macht Ignatius von Loyola eine Übung für jeden Tag: »Von der Seele Rechenschaft fordern: angefangen von der Stunde des Aufstehens bis zur gegenwärtigen Erforschung, von Stunde zu Stunde oder von Zeitabschnitt zu Zeitabschnitt; und zwar zuerst über die Gedanken, dann über die Worte und dann über die Taten.« (Exerzitien 43) Wenn ich innehalte und zurückschaue auf das, was mir gelungen oder misslungen ist, baut sich Sprungkraft auf für den nächsten Schritt. Je mehr ich begreife, was an mir geschieht, desto mehr Kräfte werden wach, selber etwas zu tun.