Читать книгу Mobbing - Gerd Breitenbürger - Страница 11
Оглавление2.3 Frustration ins Unerträgliche
Der Sozialstraftäter im Bereich Mobbing muss Wert darauf legen, sein Opfer in einer alternativlosen Lage zu sehen oder selbst in eine solche zu bringen. Es genügt, wenn es glaubt, in einer Sackgasse zu sein oder nur mit großen Schwierigkeiten sich aus der problematischen Situation ziehen zu können. Entweder findet der Täter heraus, wie es um sein Opfer steht, welche Lebensumstände er hat, oder es gelingt ihm, ihn allmählich in diese Lage zu manövrieren. Es ist möglich, einem Menschen sämtliche Sozialbezüge wegzunehmen, ohne ihn einzusperren. Durch Verleumdung oder durch Bestechung vergrault er ihm die sozial wichtigen Kontakte, auf die er sich eben noch verlassen konnte. Er kann es erreichen, ihm den gesamten Lebenskreis abspenstig zu machen. Wenn die Mutter eines Mannes, den dessen Freundin für einen anderen Mann verlassen hat, sie heimlich aufsucht, um sie zurückzuholen, wird daraus schnell Mobbing gegen den Ehemann. Erst recht, wenn in der Folgezeit immer wieder versucht wird, ihm die weiteren sozialen Kontakte in seinem Städtchen zu verleiden, kann er da eine planvoll durchgezogene Strategie vermuten. Über die Qualitäten ihres Sohnes muss die Mutter ja nicht reden, die kennt die Frau zur Genüge, deswegen hat sie ihn ja verlassen. Es geht nur, wenn mit übler Nachrede gearbeitet wird, den jetzigen Mann mies zu machen. Man soll nicht denken, das mache ein anständiger Mensch nicht. Auch der, der gleich neben der Kirche wohnt und das Neue Testament in Auszügen kennt, kann nicht widerstehen, wenn es ums Opportune geht.
2.3.1 Das Leben in der Sackgasse
In der modernen Soziologie wird betont, wie der moderne Mensch mit seinen Freiheiten, die er gesetzlich und individuell sich erobert hat, seine gesellschaftliche und berufliche Position schafft. Aber diese Freiheiten belasten ihn auch. Wo früher eine soziale und familiäre Einbettung ihn stützte, muss er nun auf sich gestellt Entscheidungen fällen, mit erhöhtem Risiko. Es ist verständlich, dass es ihm nicht gefallen wird, in dieser Situation sein Leben immer wieder neu zu erfinden, wiederholte Male sich eine neue Stelle zu suchen und sich einer neuen Umgebung anzupassen. Auch ist es möglich, dass er bald seine Chancen längst ausgereizt hat. Ein Assistent für frühmykenische Archäologie weiß kaum, wie er eine vergleichbare Stellung finden sollte. Der ehemalige Politiker, heute in Brüssel, ging nicht gleich von der einen in die andere Volkspartei. In beiden musste er sich dem Mobbing stellen. Er konnte nicht gleich in die Spitze gehen wie beim Shifting in den USA. Dort wird der Hochschullehrer Vorstandsvorsitzender, dann Botschafter.
In den meisten Fällen ist die berufliche Position keine Sackgasse für die Existenz, aber wohl ein Hemmnis, noch immer den Geist der Freiheit zu spüren, die bekannte Aufbruchsstimmung der jungen Jahre. Das bedeutet, dass, wenn erst einmal der gewohnte Widerstandskoeffizient des Lebens (so der Philosoph Jean-Paul Sartre), etwa der normale Lebens- und Leidensdruck ist gemeint, sich durch zusätzliche Frustration ins Unerträgliche steigert, die Frage nach Alternativen lebenswichtig wird, und zwar für die Physis wie für die seelische Gesundheit. Wer sie findet oder hat, findet in ihnen eine Art Rettung und den Trost und vermindert so ganz erheblich die nervliche Belastung. „Dann gehe ich eben nach Wuppertal. » Das könnte die Rettung sein, weil man sich denkt, dass damit der Stress der jetzigen Situation abgebaut wird. Disstress, langer und starker Stress, ist, wie man weiß, ein gefürchteter Krankmacher, der meist mit Schlaf- und Konzentrationsstörungen seinen Anfang nimmt. Es geht da schließlich um Geist, Körper, Seele und Normalität.
Das Opfer kann durch das, was man in Analogie zum organisierten Verbrechen organisiertes Mobbing nennen muss, vollständig in die Zange genommen werden. Nicht nur unangenehm, auch gefährlich ist der Umstand, dass in dieser Situation das Denkvermögen in Mitleidenschaft gezogen wird, auf das es jetzt besonders ankäme. Angstgefühle engen das Nachdenken und die Entschlusskraft ein.
Wenn die Welt noch in Ordnung ist, hat man einen ruhigen Schlaf, keine Pistole unter dem Kopfkissen, spürt die Garantie, dass das, was man heute sein Eigen nennt, nämlich Weib und Acker, auch morgen noch besitzt. Man weiß zu schätzen, am Lebensende nicht mit einer eisernen Ration für immer in den tiefen Wald, wie schon mal früher bei manchen Indianern üblich, verabschiedet zu werden, ohne Aussicht auf Wiederkehr. Es wird einem nicht vorgelogen, die Dinge seien so und so und heimlich geschieht dann doch das Gegenteil. Dies sind einige Umschreibungen von frühzeitlichen Regeln, die der Ethologe Irenäus Eibl Eibesfeldt als moral-analoges Verhalten schon im Tierreich ausmacht. Schon dort also die Sehnsucht, die wir heute auch haben, nach den Segnungen von Regulierung und Sitte. Das wäre das alte Lied. Wer in chaotischen Verhältnissen leben muss, ist reif für eine geordnete Welt. Er strebt danach. Er widmet dieser Aufgabe sein ganzes Leben wie der Staatsphilosoph aus China, Konfuzius. Ein wenig sind wir immer noch in der Gilgamesch-Situation. Das Chaos hinter uns treibt uns in die Sehnsucht nach der Utopie, die wir nicht erreichen. Im Gegenteil, wir müssen uns Gedanken über die Effizienz von Aggression und Mobbing machen. Wir sind unsere eigenen Antikörper, wir sind es selbst, die unser Immunsystem angreifen und knacken. Weder die Naturwissenschaftler noch die Bluttransfusionen aus der kreativen Geisteswelt scheinen eine Chance zu haben, da wir es fertigbringen, uns selbst zu mobben statt uns ein Hängemattenleben zu gönnen. Wer gemobbt wird, wird dem besonders freudig zustimmen und sich weitere Regeln vorstellen können. Der Konsens aller würde dem Mobbing den Garaus machen. Was aber Solidarität bedeutet, lässt sich schon mal im Großraumbüro beobachten.
Das einzellige Pantoffeltierchen reagiert auf Widerstand, zieht sich zurück und geht dann in einer veränderten Richtung wieder vorwärts. Eine schwache Form von trial and error, aber irgendwie musste sie erfunden werden. Der Mensch spürte geradezu, dass es günstiges Verhalten gibt und bezeichnete es mit „gut“. Damit war das Schicksal von Chaos und Totschlag, Raub und Diebstahl und Mobbing besiegelt, zumindest der Einschätzung nach. Wenn der Mensch einmal das findet, was ihm als „gut“ einleuchtet, wird er daran festhalten, jetzt schon 5000 Jahre lang. Worauf sich diese Einschätzung bezieht, welche Inhalte gemeint sind, kann variieren. Aber diese Trias scheint nötig zu sein, um Gruppen und Gesellschaften stabil zu halten. Sie müssen wissen, was erlaubt ist und also allgemeine Zustimmung erfährt. Es muss einen Weg geben, über gewohnheitsmäßige Vermeidungsstrategien, Schweinfleisch essen wir nicht aus hygienischen Gründen, zu Tabus und zu Regulierungen zu kommen. Mobbing liegt dazwischen, man weiß, das und das ist verboten und in einer Grauzone liegt das, was einmal verboten werden könnte. Es ist eine Kampfzone, in der die Handlungen des Menschen jeweils das aus- und durchspielen, was eben nicht unter seine klaren Regelungen fällt. Es gibt Kampf, der regulär ist und für den es häufig auch einen Richter und Kampfrichter gibt. Und dann den regellosen Kampf, im Sport recht selten, im gesellschaftlichen Leben sehr häufig. Eine beliebte Beimischung, wie der Pfeifenraucher seinen Würztabak, sein Latakia liebt. Sie wird Mobbing genannt und hat einen Grenzwert, die Kriminalität, und einen Ausgangswert, nämlich Freundlichkeit, wie sie unter Menschen normal sein sollte.