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Оглавление2 Das Pöbel-Niveau
Die hier vorliegende Betrachtung dessen, was Mobbing ist und kann, folgt der kulturhistorischen Methode. Vorausgeschickt werden die Gedanken, die als Systematik das Phänomen selbst erst einmal erhellen. Mobbing hat sich als eine anthropologische Invariante im Sinne einer Konstanten der Evolution erwiesen, die aber sehr variabel in ihren Ausgestaltungen ist. Es haftet ihm eine Zwangsläufigkeit an, da sie das Konfliktverhalten des Menschen individuell und in Gruppen begleitet. Um Mobbing nicht zu praktizieren, scheint ein Extraaufwand an Energie notwendig zu sein. Insofern ist es eine Versuchung, aus variablen Motiven heraus. Mobbing ist ein Phantasieprodukt der Kultur des Menschen, geradezu ein negatives Kunststück. Er kalkuliert sein Sozialverhalten und den Vorteil. In ihm drückt sich ein Rest der Amoralität aus, die ein Kennzeichen der Natur ist. „Mobbing ist Missbrauch, der lebenslanges Leid verursachen und lebensbedrohlich sein kann“, so in einem Beitrag in der britischen Zeitschrift Attitude.
Mobbing ist eine „niedrige“ (engl. Mob = Pöbel, Gesindel) Methode, Konflikte herbeizuführen und höchst einseitig zu lösen. Sie ist häufig anzutreffen, und sie ist wirksam. Ursprünglich war der Begriff auf den Konkurrenzkampf am Arbeitsplatz bezogen. Wer den Arbeitsplatz hat, soll ihn verlieren, vor allem, wenn er von einem der eigenen Leute besetzt werden soll. Längst aber wird mit diesem Begriff soziales Verhalten gemeint, das von Heimtücke und Bosheit geschmückt wird. Einfach so, weil sich der Schwache dem Starken auf diese Weise überlegen fühlen kann und ihm ein süßes Machtgefühl beschert. Mobbing ist auch eine simple Möglichkeit für den Schwachen, mitzureden, sich durchzusetzen, wo er sonst, im fairen Kompetenzstreit, kaum eine Chance hätte. In einem Jugendbuch war die Rede von einem Boxkampf, bei dem der Schwächere mit Metall im Handschuh den Kampf gewann. Oder weil es angenehme Begleit-Emotionen gibt, wenn es gelingt, Handlungen im egoistischen Sinn durchzusetzen, deren Erfolg man nicht verdient hat oder den man kaum erhoffen konnte.
2.1 Von den „internen Regeln“ zu System und Gesetz
Die in der von Ali Baba eroberten Räuberhöhle entwickelten räuberischen Techniken, das Leben zu sichern und zu gestalten, sind natürlich völlig in Ordnung. Sie funktionieren aber nur dann, wenn die Räuber eingebettet sind in eine verlässliche Umwelt, die ehrlich ist und die sich deswegen auch räuberisch ausbeuten lässt. Die Outlaws und ihre Führungsfiguren sind so gesehen „Diebe im Gesetz“, weil nur intern ihre eigenen Regeln gelten sollen. Falls es auch der gesamten Umwelt einfallen sollte, dem Charme des Räuberlebens anheimzufallen, wenn also alle Räuber sind im Land, wendet sich das Blatt. So, wenn beinahe alle noch nebenbei einem Staatssicherheits-Ministerium dienen würden oder alle, wie in Orwells „Animal Farm“, zu rosa Schweinchen mutieren. So etwas hat es tatsächlich in der Kulturgeschichte gegeben und wird weiter unten dargelegt. Wenn alle mobben, wird Mobben Standard und niemand kann einen Anlass sehen, sich grundsätzlich über Mobbing zu beschweren. Warum leben wir aber nicht in diesem Gesellschaftsmodell, das täglich und intensiv die Kreativität des Einzelnen im Sinne der Heimtücke stimuliert? Die Menschheit hat es längst durchgespielt und dann verworfen. Als im 3. Jahrtausend vor Chr. der epische Held Gilgamesch, König von Uruk im Zweistromland, des Mordens überdrüssig wurde, das sein Geschäft als kriegerischer Held war, wurde er zum kulturellen Helden, zum „cultural heroe“, der sich um höherwertige Themen wie Wissen und Nachdenklichkeit und geordnete Verhältnisse kümmerte.
Später ließ der Herrscher Hammurapi im 2. Jahrtausend v.Chr. immer noch in Keilschrift auf einer grau-schwarzen Stele auf dem Marktplatz jedem kundtun, dass er sich an Gesetze zu halten hat und nicht behaupten konnte, sie nicht zu kennen. Wer in räuberischer Manier seinen Nachbarn aus dem Leben manipuliert, indem er ihm heimlich oder auch nur geschickt das Wasser stiehlt, das, neben fruchtbarem Schlamm, der Getreideanbau nun einmal braucht, der sei des Todes. Die Stele, in ihrer Öffentlichkeit, war ein Bollwerk gegen das Chaotische, das Räuberische. Man wusste jetzt, was darunter zu verstehen war. Damit war der Tatbestand komplett eingegrenzt. Die Stele symbolisiert aber zugleich ein Dilemma, das bisher nicht gelöst werden konnte. Die Regeln und Gesetze, die schematischen Verhaltensgewohnheiten, nach denen wir uns richten sollen und in der Mehrzahl wohl auch richten, sind der Anzahl nach begrenzt. Sie haben auf einem Stein, wenn auch in minutiöser Keilschrift, Platz gefunden. Alle Verhaltensweisen, die wir entwickeln, entwickeln wir aber eher „natürlich“, aus unseren Bedürfnissen heraus, nicht unbedingt an einem Leitfaden von aufgestellten Regeln entlang. Man kann „rechts“ und „links“ in einem angemessenen Abstand von ihnen handeln, was man Risiko nennt, oft kalkulierbares Risiko. Den Abweichler, der Wasser auf Kosten eines anderen stiehlt und dessen Existenz aufs Spiel setzt, nennt man dann „Räuber“. Da es aber einen Übergang vom Chaotischen zum Zivilisierten gibt, vom heimtückischen Mord zum einfachen Totschlag, gibt es eine Grauzone von Anfang an, in der Handeln zum Schaden eines anderen schon immer möglich ist. Es kann ohne böse Absicht geschehen oder aus Berechnung.
So steht auch Mobbing unter Bedingungen, die wir benennen, aber häufig nicht in ihren Folgen bewerten können. Was ein Mord ist, entnehmen wir dem Strafgesetzbuch, wer ihn begeht, wird entsprechend bestraft. Werden Jagdszenen in einem Dorf veranstaltet, die aus vielen unauffälligen Einzelaktionen bestehen, aber zu einem bitterbösen Ende führen, wird man vor das Problem geführt, dass man wohl kaum eine Ursache benennen kann. Das ganze Dorf hat sie oder ihn lange Zeit gejagt. Wie bewerten wir das Flügelschlagen eines Schmetterlings, das zu einem Orkan auf einem anderen Kontinent sich hochschaukelt. Mobbing, das wie ein beiläufiges Piesacken daherkommt, kann aber diese Qualität haben, die sich auch rekonstruieren lässt. Es gibt Amokläufer, bei denen sich einige wenige kausale Bedingungen aufzählen lassen. Man kann den Suizid nahelegen wie bei der Fuchsjagd dem Fuchs und wie das Amokmorden. Schließlich, wenn alle Schützen eines Hinrichtungskommandos unschuldig am Tod des Delinquenten sind, kann sich dieser gemobbt fühlen, da er theoretisch ganz von selbst umfällt. Niemand weiß, wer die Platzpatrone geladen hat, jeder Schütze glaubt an seine Unschuld. Die Hinrichtung wird zu einer Illusion mit konkretem Ausgang.
Mobbing kann also so angelegt werden, dass es tödlich wirkt. Wer einem Verein angehört, der diese Methoden in seinem Arsenal hat, wird sogar noch viel eher mit Panik reagieren, als wenn er ein « unbeschriebenes Blatt » wäre. Weiß er doch nur zu gut, mit welcher konsequenten Unerbittlichkeit bis zum Ende er selbst eliminiert werden könnte. Intern wird wohl durchschaubar sein, mit welchen Strategien die Anpassung durchgesetzt wird. In allen Räuberhöhlen und in allen mafiosen Männerbünden bis zu extremen Parteien wird auch intern gemobbt. Das ist der Zwang, wider Willen zu handeln. Nicht der Mord aus Eifersucht zählt, sondern aus Parteiräson. Was nicht jedermanns Sache ist. Wer da scheitert, ist, nach Jean-Paul Sartre, « non récuperable. », nicht wieder verwendungsfähig (Les mains sales). Für die Partei nicht wieder und nicht weiter verwendungsfähig. Allen Fernsehzuschauern vor die Augen geführt: Dem auf dem Gesicht liegenden Polizisten tritt ein nicht provozierter Mensch in die Rippen, ohne abschätzen zu können, wie gefährlich das ist. Da gibt es ein Risiko des Täters und seine Angst, mit der ungesetzlichen Tat aufzufallen. Er muss sie aber auch mit der Tat beschwichtigen; denn er festigt seine Position in der Gruppe, aus der er nicht herausfallen will. Er ist nun kompromittiert, straffällig geworden, und er erhält Schutz und Wärme der Räuberbande im Austausch.