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1.2.1 Der pessimistische Ansatz
ОглавлениеHier liegt ein pessimistischer Ansatz unserer Kultur, und dieser Ansatz ist ein praktischer, wie wir unsere Welt gestalten und auf sie reagieren. Der Mensch hat nicht nur eine Geschichte, er hat auch immer gehofft, eine Entwicklungsgeschichte, eine kulturelle Evolution zum Besseren zu besitzen. Die Christenverfolgung im antiken Kolosseum hat aber eine Dimension der Grausamkeit, die von einem modernen Krieg leicht überboten wird. Solche Konstanten im menschlichen Wesen lassen vermuten, dass gerade da, wo wir hoffen und auch hoffen müssen, wir könnten sie verlernen, auch unser Pessimismus eine Konstante sein dürfte.
Ab dem 2. Lebensjahr, so der Verhaltensforscher und Anthropologe Michael Tomasello, weiß das Menschenkind, wie es seinesgleichen ärgern kann, was man später auch grillen nennt. Mit dem Gewissen ist es noch nicht so weit her, sadistische Freude liegt näher, die eher daraus entspringt, dass Empathie ein Empfinden ist, das der Mensch erst entwickeln muss. Wenn hier Kultur zu erwachen beginnt, dann ist die Natur, die hier kontrolliert werden müsste, noch zu stark und wird immer wieder im folgenden Leben die Oberhand gewinnen können. Sobald im Verhalten des Menschen seine variantenreiche Kultur eine Rolle spielt, und das wünschen wir uns ja auch, bekommen wir es mit den Invarianten zu tun, über die sich der Anthropologe freut, weil er so den Menschen wiedererkennen kann. Und der Kulturwissenschaftler verzweifelt, weil die Invarianten, die etwas Fundamentales sind, also die Bereitschaft zur Aggressivität etwa, eben nicht ausgerottet werden können und der Kultur entgegen zu stehen scheinen.
Opportunistisches Interesse ist stärker als der Wille, die zehn Gebote überhaupt ernst zu nehmen. Hohe geistige Kraft ist nötig, wenn Moral gewinnen soll. Anthropologische Invarianten, der Mensch ist wie er ist, mit Nestbau und Fürsorge für den Nachwuchs, haben es immer in sich. Solche Verhaltensweisen sind, kurz gesagt, ewige Schemata und folgenreich. Die Bereitschaft zur Aggressivität kommt der Verteidigung des ewigen Wasserlochs zugute mit allem was dazugehört. Das wären die Bedürfnisse der Horde und der Gruppe, die im Konkurrenzverhältnis zu anderen stehen. Später sind es ganze Kontinente, die überfallen werden und man spricht von Weltkriegen. Aggressivität als präventive, und das heißt auch als willkürlich einsetzbare Möglichkeit, „wir mussten da rein gehen“, eröffnet dann die Loslösung von der Notwendigkeit, sich zu verteidigen und das bedeutet, man landet beim Überfall. Dieser wird kulturfähig, ein bitterer Gedanke, so als wäre er ein positives agonales Element unseres Fortschritts. Da diese Art der Aggression älter als jede Zivilisation ist, entbehrt sie jeder Kultur. Wenn das Mobbing aufkommt, fließen beide, Natur und Kultur, zusammen. Mobbing hat sehr viel mehr von unserer Kultur, als wir wahrhaben wollen.
Aggressivität kommt uns da auch noch beispielhaft für die Ambiguität, die Doppeldeutigkeit bestimmter Phänomene unserer Kultur entgegen. Sobald sie in der Kultur auftaucht, wird sie nämlich doppelwertig. Für Jagd und Verteidigung sorgt die « natürliche » Aggression, in der kulturellen Entwicklung ist es die agonale Aggression, die Wettkampf-Antriebskraft, die die Dinge vorwärts treibt. Es gibt Psychologen, die annehmen, man könne Aggressivität ummünzen, aus dem Rohen etwas Feines machen. Das ist beim Mobbing in der Regel nicht möglich, es besteht nur aus Gemeinheit. Zwar gibt es Situationen, in denen so mancher sagt, hier ist Mobbing die letzte Rettung und das Opfer ist mir egal. Mobbing ist aber eher mit einer Plage zu vergleichen. Einem Heuschreckenschwarm kann man nichts Gutes abgewinnen, noch der Pest und der Cholera.
Wo Natur sich durch kontinuierliche Mutation, Selektion und Anpassung auf dem Niveau ihres Optimums hält oder dieses als Fossil immer schon durchhält, folgt sie einem Prozess-Mechanismus, während die Kultur sich durch die Wahl zwischen Alternativen selbst gestaltet. Für ihre Plastizität gibt es immer ein plus ultra, ein Darüberhinaus, das jetzt aber eine praktische Welt betrifft, die von einer geistig-moralischen Instanz gesteuert wird. Wer wird erster im Dreisprung und wer wird Abteilungsleiter. Weil uns diese Dinge so wichtig sind, gibt es Mobbing. Weil sie nicht aufgrund von Mechanismen entschieden und erledigt werden, gibt es ebenfalls Mobbing.
Entscheiden zu wollen und zu können, was gut und was böse ist, fällt dem Mensch so schwer, weil sich immer konkurrierende Gründe aufdrängen, die Dinge im Lichte eines Opportunismus zu beurteilen. Mein Haus ist meine Burg, sagen die Engländer. Da stellt sich die Frage nicht, ob es gut oder schlecht ist, wie man Außen- und Kolonialpolitik betrieben hat und immer noch betreibt. 2016 wurde die Labour-Abgeordnete Jo Cox von Thomas Mair erschossen. Sie war gegen den Brexit. Sein Schlachtruf: Britain First. Der Mensch will sich Gutes tun, nicht nur heute, und dieses Programm, die entsprechenden Handlungsschemata, sind uralt, stammen aus der biologischen Evolution. Was sich von alters her bewährt hat, der Opportunismus aller Lebewesen, der Individuen und der Gruppen, ist daher unwiderstehlich. Moral ist dagegen ein Kulturpflänzchen aus neuester Zeit, das in der Natur keinen Tag überleben würde. Den jesuanisch denkenden Löwen, der auch noch die andere Wange hinhält, gibt es nicht, hat es nicht gegeben. Wohl aber das Kuckucksei. Immer steht der Mensch also bereit, diese Kultur zu verraten, weil der Eigengewinn zählt. Mobbing ist eine Form, die Urwaldinstinkte ungebrochen in unsere Wohnzimmer hereinzunehmen. So gesehen ist es pure Schamlosigkeit, sich als Verwilderter, als Mobbing-Schurke unter den Gesitteten zu bewegen, so als gehörte ihm die Welt.
Mobbing ist, und das ist traurig aber wahr, in seinen vollendeten Formen ein astreines Kind der Kultur, die ja immer in Spuren von Natur verunreinigt ist. Da gibt es abgefeimtes Auskalkulieren, aber auch eine emotionale Basis von Trieb und Motiv. Allein der Qualitätsbegriff, den jedes Mobbing-Opfer für diese Taktik bereit hält, nämlich « gemein », gibt einen entscheidenden Hinweis. Gemeinheit kommt in der Natur nicht vor. Wenn da lebendig gefressen wird, bei den wilden Tieren wie bei der Gottesanbeterin, dann kann das nicht « gemein » sein, weil Tiere keine Moral haben, auch keine Gebote. Dafür haben sie Verhaltensweisen, mit denen sie an ihrer Umwelt angepasst sind. Wenn sich da im Urwald Vorläufer unserer Gebote, fünf an der Zahl, herausbildeten, dann beziehen sie sich darauf, die Horde intern stabil zu halten und in ihrem Habitat, ihrer Umwelt, überlebensfähig zu halten im Lichte einer frühen Kulturentwicklung. Es ging schon damals darum, Artgenossen nicht zu töten. Es ging um zuverlässige Verständigung, Fragen des Eigentums und sexueller Partnerbeziehungen, um Respekt vor den Alten. Der Humanethologe (Forscher des menschlichen Verhaltens) Irenäus Eibl-Eibesfeldt spricht von « moral-analogem Verhalten bei Tieren ». Was da in einer ersten regulierten Welt als Möglichkeit aber immer mit entsteht, ist das von den Regeln abweichende Verhalten. Wer alternativ handeln kann, entdeckt das Mobbing. Es sind immer die informellen Strategien, die sich am Regulären entlang bewegen. Sobald Verhalten genormt ist und eingeordnet werden kann, von Hammurapi, dem babylonischen König im 3. Jahrtausend v. Chr. kanonisiert und in Stein gemeißelt, sind damit Anhaltspunkte festgeschrieben, um die herum Mobbing möglich ist. Konfuzius, der chinesische Denker und Erzieher aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. sieht die chaotischen Kriegsverhältnisse seiner Zeit um Macht und Vorherrschaft. Er macht die menschliche Ordnung zu seinem zentralen Thema. Mit einem verfeinerten Regelwerk für die Untertanen und einer anspruchsvollen, abgestuften Erziehung einer Elite und ihrer gestaffelten Kompetenz gibt es kaum Alternativen für eigenwilliges, auch mobbendes Verhalten. Sonst gilt ja, wo das « Gute » ist, ist auch immer schon die Phantasie. Wer nicht so handeln will, wie vorgeschrieben, muss an die Möglichkeiten denken, es anders zu machen. Der griechische Philosoph Aristoteles spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die falschen Wege immer zahlreich sind, während es für das richtige Ziel nur einen richtigen Weg gebe. Alle Wege führen nach Rom ist da schon Ideologie. Das Falsche und Böse machen einen starken Gebrauch von der Phantasie, die ja auch ohne Moral auskommt. Sie ist verantwortlich für die erstaunliche Buntheit, ja, Entfesselung auf diesem Gebiet.
Die Einzelfälle der Mobbingaktionen sind unendlich an der Zahl und so, trotz der großen Zahl an Veröffentlichungen zu diesem Thema, nicht darstellbar. Wer von ihnen zu einer Typologie voranschreitet, kann aber seine gewonnenen Typen am ausgesuchten Einzelfall exemplarisch darlegen und somit wenigstens einen Überblick gewinnen. Ganz allgemein für Mobbing ist, dass jemand diskriminiert und aus einer Gruppe ausgeschlossen bzw. an einem Eintritt gehindert werden soll. Er soll seine Stelle aufgeben. Er soll als Konkurrent ausgeschaltet werden. Er soll isoliert werden, indem seine Sozialkontakte gekappt werden. Er soll gequält werden. Er soll zur Verzweiflung getrieben werden, damit das alles erreicht wird.
Fragt man nach der Motivation der Täter, stößt man ebenfalls auf Typen. Ein allgemeiner Oberbegriff ist « Opportunismus », der Eigennutz, der vor asozialem und moralfreiem Handeln nicht zurückschreckt. Opportunismus findet sich beim Einzelnen wie bei Gruppen und Parteien. Die Devise lautet immer « Du oder ich ». Wem gehört das Wasserloch. Das war vor einer Million Jahren noch wörtlich so, heute hat es eine metaphorische Bedeutung, die jeder versteht. Was ich haben muss, muss ich haben. Ein Grund für Mobbing kann etwas anspruchsvoller sein, erst einmal im Vorfeld eine Gruppe zu stabilisieren. Wird jemand, der nach Mottenpulver riecht oder Segelohren hat, mobbend drangsaliert, heißt das, jeder in unserer Gruppe ist nicht so wie der, und wir sind sowieso in jeder Beziehung unanfechtbar anders. Was wir Urteil und Vorurteil nennen, sind Begriffe, die Folgen haben können, die dazu aufrufen.
Schließlich ist die Frage nach dem Ort, an dem mit Vorliebe und Hingabe gemobbt wird, sehr ergiebig. Jeder kennt die Typologie, die vom Kindergarten bis zum Tennisclub, zur politischen Partei und zum Großraumbüro reicht. Das sind relativ intime Zirkel und erinnern an das Mythologische, an die Schlange, an Eva. Mobbing kann leicht ein Einschnitt in das Leben des Betroffenen sein. Obwohl unter Umständen äußerst schmerzhaft, nehmen wir ihn hin; denn wir kennen dieses Schema. Unsere Kultur hat es so wichtig genommen, es uns schon gleich zu lehren. Es genügte ein verleumderisches, heimtückisches Wispern und aus einem glücklichen Leben ohne Verantwortung wurde doch sehr abrupt, eben wie Mobbing so läuft, eine Ackerbau- und Viehzucht-Existenz. Bis heute ist das stehende und schmückende Eigenschaftswort erhalten geblieben, recht karg: „im Schweiße deines Angesichts.“ Das schlimmste, könnte man meinen, haben wir also schon hinter uns. Wer mit Mobbing nicht fertig wird, könnte ja immerhin noch Spargelstecher werden, bevor er vollends die Fassung verliert, oder, so der philosophische Standpunkt, „seinen Garten kultivieren“ (Voltaire).
Wo ein Ort ist, ist auch Ausgrenzung möglich, da findet sie statt. Deswegen heißt unser Sehnsuchtsland auch „Utopie“, Nirgendort. Wem aber Ausgrenzung egal ist, denkt an Eskapismus. Strandwächter auf den Malediven, Studentenkeller und Barkeeper. Kräftigung des Selbstbewusstseins durch Sport. Alles noch im bürgerlichen Rahmen, allerdings ohne sich auf ehrgeizige Ziele festzulegen.