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2.9 Der antike Liebesdichter
ОглавлениеVor 2000 Jahren erließ Kaiser Augustus Gesetze, um die römische Hautevolee-Jugend in ihren Ausschweifungen zu bremsen. Ovid, ein gefeierter Dichter, der ausgerechnet mit Liebespoesie die Römer unterhielt, wurde alsbald in einem Nachtclub mit der Enkelin des Kaisers gesehen. Ob da in der Halböffentlichkeit noch mehr zu sehen war, ist nicht so genau überliefert, muss auch nicht. Aber es ist wahrscheinlich, dass eine Vorschädigung der ovidschen Reputation durch seine zum Teil konkrete Liebesdichtung eine Rolle spielte. Man kannte nur zu gut die Dichtung dieses Feingeistes und auch seine Heilmittel gegen die Liebe, die vieles noch viel schlimmer machte. Wem die Geliebte abhanden gekommen war und nicht darüber hinwegkam, empfahl er, sich gleich zwei neue Freundinnen gleichzeitig zu suchen. Das mildert den Schmerz und den Kaiser wird es erfreut haben, der dabei war, die Sittengesetze zu überarbeiten.
Wenn ausgerechnet einer der berühmtesten Dichter mit des Kaisers Enkelin in doch wohl halbseidener Verfassung sich öffentlich zeigt, hat er das Problem, das jeder Hordenchef auch hat. Der Pascha, der den Non-Respekt seiner Regeln längere Zeit toleriert, ist längste Zeit Pascha gewesen. Ein Kaiser, der sich von diesen bekannten Personen vorführen lässt, kann seine Sittengesetze ad acta legen. Wenn diese, dann braucht er auch in Zukunft keine Gesetze zu erlassen. Denn er hat keine Zukunft, wenn die Adressaten sowieso auf Krawall gebürstet sind, und er sich nicht wehren kann.
Augustus schätzte den Dichter als Dichter, als einer, der versucht hatte, ihn zu mobben, musste er zu einer Belastung werden. Er nötigte ihn zur Strenge. Ovid wurde an die äußerste Grenze des Reichs verdammt, wo die Winde rauer als in Rom wehen und es keine lukullischen Erdbeeren zum Nachtisch gibt. Das Essen recht einfach, es war Barbarenland, so auch Kleidung und Wohnen. Die Sprache verstand Ovid nicht, die geliebte Frau blieb daheim. Ein Römer wusste, Verbannung kann nur schlimmer als der Tod sein. Ovid schrieb Briefe an Augustus, widmete ihm eine Dichtung und versuchte, dessen Ehefrau für seine Sache zu gewinnen. Er sah Rom und seine geliebte Frau nie wieder. Lernte aber die Sprache von Tomis am Schwarzen Meer und dichtete in ihr. Eine elende Geschichte und das Ende einer schönen Dichterbiographie. Er wollte nur einmal den Kaiser mit unkonventionellen, mobbenden Mitteln kurz nehmen, mit dem Applaus seiner römischen Freunde konnte er dabei rechnen. Abgesehen von einer diebischen Freude, falls es gelingt, wäre mit einer sehr einfachen und auch sonst erfreulichen Aktion das Gesetz und ihr Urheber ad absurdum geführt worden. Was er tat, war aus freien Stücken. Die bittere Mobbing-Retourkutsche seines Kaisers hat er aber doch erzwungen. Ein Gesetz lag nicht vor, aus dem Ovid eine mögliche Bestrafung hätte auskalkulieren können. Er hatte seinen Freiraum als selbstverständlich gesehen und benutzt, aber damit auch den Kaiser provoziert. Augustus hatte ebenfalls einen Freiraum und benutzt ihn im Sinne seiner Herrschaft. Er mobbt seinen Dichter politisch, ein Exempel statuierend. Eine Rechtsfreiheit wird völlig legitim in Anspruch genommen. Der Einzelne in seinem Egoismus kann nicht mit Applaus rechnen. Für einen niedersächsischen Politiker endete der mobbende Alleingang fatal, ebenso für Politiker in London, die völlig unverfroren ihre politischen Gegner um die Macht betrügen wollten, indem sie sie sexuell verleumdeten. Das Schlimmste für Ovid war die Ausgrenzung aus seiner heimatlichen Gesellschaft, heute würde man sagen, aus seiner in-group. In einem Gedicht über seine letzte Nacht in Rom bringt er seinen Schmerz bewegt zum Ausdruck. Ausgrenzung ist die Form des Urmobbing, die schon von afrikanischen Stämmen benutzt wurde, um ihn überlebensfähig zu halten. In einem nächsten, historischen Schritt wurde sie „salonfähig“ überall. In der Schule muss sich das Kind in die Ecke stellen. Der Sportler, eine ganze Sportnation wird von olympischen Wettkämpfen gesperrt. Britische Gentlemen mit Schirm und Melone scheuen nicht die Urwaldmethoden, wenn es um Macht und Einfluss geht und verleumden den Gegner ins Aus.