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Eine Republik im Umbruch

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1962 war eines dieser Jahre mit einer Vielzahl von politischen Resolutionen, Eingaben und unzähligen Demonstrationen. Die immer noch junge Bundesrepublik tastete sich diplomatisch vorsichtig weiter vor in die internationale Staatengemeinschaft, ratifizierte Doppelbesteuerungsabkommen mit Dänemark und Island oder schloss Wirtschafts- und Handelsabkommen mit Taiwan, was noch bis heute in die Textil- und Spielwarenindustrie ausstrahlt. Gebhard Weigele und Johann Sulzberger meldeten das erste Patent über eine Waschanlage für Kraftfahrzeuge an: Zwei Bürsten umfahren dabei das stehende Auto – eine Revolution!

Der Deutschlandfunk nahm seinen regulären Sendebetrieb auf, der Mindesturlaub von 15 Tagen pro Jahr wurde festgeschrieben, und die Beatles provozierten einen Großteil der deutschen Eltern mit diesen »Pilzkopffrisuren« und ihrer »Hottentotten«-Musik. So bezeichnete das damals auch gern mein Vater. Vor allem, wenn meine ältere Schwester ein paar Jahre später das kleine Transistorradio in ihrem Zimmer wie zum Protest extrem laut aufdrehte und ich voller Freude und in dem spannenden Bewusstsein, vielleicht sogar bei etwas Aufrührerischem mitzumachen, demonstrativ mit dem Kopf im Takt der Musik wackelte und hoffte, dass auch ich bald so lange Haare haben würde. Dazu gehört auch die Geschichte der Beatles, die am 1. Januar 1962 ihre ersten richtigen Probeaufnahmen bei der Plattenfirma Decca machten und – man glaubt es kaum – abgelehnt wurden! Begründung: Gitarrengruppen seien nicht mehr modern.

Gerade die sechziger Jahre erschienen mir als ein ständiger Kampf des Neuen gegen das Alte und umgekehrt. Eine Zeit, in der Kritik an sich schon einen Lebenszweck darstellte. Bereits in der Grundschule lernten wir eine Parole, die mir schon immer gefiel: »Wir sind dafür, dass wir dagegen sind!« Sicher auch kein Wunder, dass im Oktober 1962 die »Spiegel-Affäre« begann. »Spiegel«-Redakteur Conrad Ahlers hatte sich in einem Artikel kritisch zum Verteidigungskonzept des damals zuständigen Ministers Franz Josef Strauß geäußert und wurde tatsächlich deshalb wegen angeblichen »Landesverrats« gesucht und im Urlaub in Spanien verhaftet. Mit ihm kam auch Herausgeber Rudolf Augstein in Untersuchungshaft. Eine Ära, in der als Folge viel für die Stärkung der Pressefreiheit erreicht wurde!

Vielleicht wird anhand dieser wenigen Ausschnitte deutlich, dass sich auch der deutsche Fußball im Umbruch befinden musste und dass natürlich auch die Einführung der Bundesliga alles andere als unumstritten war. Wie bereits erwähnt, machte sich damals nach der WM in Chile auch der hoch angesehene Sepp Herberger für die neue Liga und die damit verbundenen Statuten stark. Daneben Franz Kremer, der Präsident des 1. FC Köln, der schon 1949 erstmals ernsthaft eine solche nationale Liga hatte auf den Weg bringen wollen und nun als führender Kopf der Bundesliga-Gründungskommission angehörte. Zudem ein gewisser Hermann Neuberger, DFB-Präsidiumsmitglied aus dem Saarland und später sogar DFB-Präsident. Sie alle einte der Gedanke einer Professionalisierung und damit Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Fußballs. Denn in den Oberligen herrschte oftmals Langeweile, weil einige regional dominante Vereine keine Konkurrenz zu fürchten hatten. Und darüber hinaus lockte den einen oder anderen herausragenden Spieler das Ausland, wie zum Beispiel Horst Szymaniak, der 1961 nach Italien zu Catania wechselte. Genau wie Helmut Haller (1962 nach Bologna), Albert Brülls (im selben Jahr nach Modena) oder Karl-Heinz Schnellinger (1963 nach Mantova), die in »Bella Italia« deutlich großzügiger entlohnt wurden.

Ich erinnere mich sehr genau an die Enttäuschung, die ich als kleiner Steppke verspürte, als ich bei unseren alltäglichen Straßenkicks aufmerksam das Gespräch zweier älterer Spieler verfolgte, die sich voller Entrüstung darüber unterhielten, dass Helmut Haller dem deutschen Fußball und damit auch dem »Vaterland« – so sah man das damals tatsächlich – den Rücken gekehrt hatte. »Der hat sich kaufen lassen«, fügten sie – voller Verachtung, aber auch in einem Tonfall, der ihre Enttäuschung über den Weggang eines ihrer Idole erahnen ließ – hinzu.

50 Jahre Bundesliga – Wie ich sie erlebte

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